Der argentinische Comic »Eternauta« erscheint auf Deutsch

Ein kleiner Trupp von Überlebenden

»Eternauta«, Argentiniens bekanntester Comic von Texter Héctor Germán Oesterheld, ist erstmals ins Deutsche übersetzt worden. Eine Ausstellung in Berlin zieht Analogien zwischen der fiktiven Geschichte und dem tragischen Schicksal des Autors während der Militärdiktatur von General Videla.

»¿Donde está Oesterheld?« – Wo ist Osterheld? – steht in großen Buchstaben über dem Eingang des Literarischen Colloquiums Berlin, das in einer geradezu herrschaftlichen Villa am Berliner Wannsee residiert. Héctor Gérman Oesterheld, der bekannteste Comic­zeichner Argentiniens, zählt zu den Opfern der Militärdiktatur von General Videla in dem südamerikanischen Land. Niemand kennt die genauen Umstände seiner Ermordung, die wohl im Jahr 1978 in einem der vielen geheimen Folterlager im Land stattgefunden hat. Sein Körper wurde bis heute nicht gefunden. Er ist »verschwunden«.
»2009 habe ich zu deutschen Verschwundenen in Argentinien recherchiert. Oesterheld hatte auch deutsche Vorfahren. In diesem Zusammenhang habe ich Fotos von ihm und seinen vier Töchtern gesehen. Die Bilder dieser so lebendigen Mädchen haben mich von da an nicht mehr losgelassen«, erzählt die Journalistin Anna Kemper. Denn auch Marina, Diana, Estela und Beatríz Oesterheld wurden damals verschleppt und ermordet. Aus der einst großen Familie überlebten nur die Mutter, Elsa Oesterheld, später eine Wortführerin der »Abuelas«, der Großmütter des Plaza de Mayo, sowie die zwei Enkel Fernando und Martín.
Fünf Jahre später fährt Anna Kemper erneut nach Buenos Aires und schreibt eine längere Geschichte über das Schicksal der Familie Oesterheld, die Anfang vergangenen Jahres im Zeit-Magazin erschien. Verbunden wird darin die Biographie des Comiczeichners mit seinem bekanntesten Werk: »Eternauta« – eine Wortschöpfung, die im Deutschen etwa mit »der ewig Reisende« übersetzt werden kann. Gezeichnet wurde »Eternauta« von Francisco Solano López.
In dem Comic, der in Argentinien als Fortsetzungsgeschichte zwischen 1957 und 1959 in der Zeitschrift Hora Cero erschien und auch in dieser Zeit in Buenos Aires spielt, kämpfen der Protagonist Juan Salvo und seine Freunde gemeinsam gegen eine außerirdische Invasion, die mit einem geheimnisvollen Schnee die Erde vergiftet und fast alle ihre Bewohner auslöscht. Die kleine Gruppe, neben Salvo ist hier der Wissenschaftler Favelli besonders eingehend dargestellt, erkennt die Gefahr rechtzeitig. Die Freunde stellen luftdichte Anzüge her und beschließen, gegen SIE, die anonyme Übermacht, zu kämpfen, die ihnen auf den folgenden fast 400 Seiten in Form von Rieseninsekten, versklavten Wesen anderer Planeten und dem immer wiederkehrenden heftigen Schneefall gegenübertritt. Dazu sollte man vielleicht noch wissen, dass es in Buenos Aires etwa alle 100 Jahre einmal schneit. Juan Salvo wird von weißen Flocken eingerahmt und blickt, bewaffnet, mit Schutzanzug bekleidet und zu allem entschlossen, durch seine Taucherbrille.
Der Comic hat noch eine weitere zeitliche Ebene. Denn der Eternauta erzählt seine Geschichte einem argentinischen Comicautoren – Oesterheld selbst. Stattgefunden hat die Invasion 1963, doch wir befinden uns erst im Jahr 1959. Der Eternauta wurde in die Zukunft katapultiert. Wird Oesterheld, der die spätere Invasion dokumentiert, die Katastrophe auch verhindern können?
Eine Geschichte von geradezu prophetischer Dimension. Oesterhelds Töchter und später auch er selbst waren in der linksperonistischen Bewegung aktiv, bei den argentinischen Achtundsechzigern. »Die Familie war sehr offen, sehr intellektuell, es wurde viel über Politik diskutiert. So sind diese Mädchen aufgewachsen. Ich habe mit vielen Freunden von ihnen gesprochen, die mir gesagt haben: Damals schien einfach eine andere Welt möglich, es lag so was Revolutionäres in der Luft«, sagt Kemper.
Kurz bevor sich im März 1976 die Militärs in Argentinien an die Macht putschen, gehen die vier Oesterheld-Schwestern in den Untergrund. Wenig später folgt ihnen ihr Vater, der Comicautor Héctor Oesterheld. Gemeinsam kämpfen sie gegen die Militärdiktatur – einen übermächtigen Gegner. »Eine Analogie zwischen Fiktion und Wirklichkeit ganz am Anfang ist die, dass dieser kleine Trupp von Überlebenden überlegt: Wollen wir jetzt wirklich aktiv in den Kampf ziehen, wollen wir uns gefährden, wollen wir unsere Familien gefährden? Denn auch die Oesterhelds, die Töchter und er selbst, wussten, worauf sie sich einließen. Dass das ein Kampf ist, den sie wahrscheinlich nicht gewinnen werden«, erzählt Kemper. »Und deshalb hat der Eternauta später dann auch so eine Art mythische Bedeutung bekommen, weil man ihn lesen kann, als hätte Héctor Oesterheld sein Schicksal vorweggenommen.«
Kempers bewegender Artikel über das Werk und seinen Autor gab Anstoß für das Literaturhaus Stuttgart bei ihr eine Eternauta-Ausstellung in Auftrag zu geben, die zuerst in der baden-württembergischen Hauptstadt und seit dem 10. Mai für zwei Monate in Berlin zu sehen ist. In diesem Zusammenhang wurde in Kooperation mit dem Berliner Avant-Verlag der gesamte »Eternauta« erstmals ins Deutsche übersetzt und als überaus gelungener Bildband mit mehreren Begleittexten veröffentlicht.
Johann Ulrich, der Leiter des Avant-Verlags, kennt den Eternauta bereits aus Jugendzeiten. »Als ich in den achtziger Jahren nach Spanien oder Italien in den Urlaub gefahren bin, trugen dort Comic-Magazine seinen Namen.« Vor 15 Jahren hat er »Eternauta« dann in einer italienischen Übersetzung gelesen. »Seitdem spukte die Geschichte in meinem Hinterkopf rum«, so der Comic-Verleger.
Doch warum erscheint Oesterhelds Klassiker erst jetzt, fast 60 Jahre nach seiner Erstveröffent­lichung, auf Deutsch? »Einerseits war Deutschland, vor allem in den achtziger und neunziger Jahren, ein Comic-Entwicklungsland. Das Medium hat hier einfach nicht den Stellenwert wie im restlichen west­europäischen Ausland. Dann ist der ›Eternauta‹ sehr lang und ausgesprochen textlastig. Ohne externe Partner kann die ­Herausgabe eines solch umfangreichen Werks einen Verlag auch ruinieren«, gibt Ulrich zu bedenken.
Einen Vorteil hatte das Warten doch. Die Originalzeichnungen wurden für die deutsche Edition neu eingescannt, Lopez’ sehr realitätsnahe Schwarzweißzeichnungen sind an Schärfe und Kontrast kaum zu überbieten und besitzen eine weit bessere Qualität als frühere Ausgaben. Auch wer nie in Buenos Aires war, bekommt eine Vorstellung von den Straßen und charakteristischen Orten der Stadt, in der die Geschichte spielt, von den Menschen und der Kultur Argentiniens zu dieser Zeit. Das Querformat des Buches entspricht der Originalausgabe.
»Eternauta« ist zweifellos eines der bekanntesten argentinischen Bücher überhaupt und wird bis heute in seinem Entstehungsland häufig aufgegriffen – auch von offizieller Seite. »Vor allem in den letzten Jahren der Regierung von Cristina Fernández de Kirchner war der Eternauta für eine neue Generation von politischen Aktivisten ein Symbol für Widerstand und Politisierung. Zugleich wurde das kulturell Eigene betont, frei nach dem Motto, Science-Fiction-Geschichten können auch bei uns stattfinden, mit unseren lokalen Helden«, beschreibt die Soziologin Estela Schindel die Deutungsmuster. Und doch sieht sie auch mit Blick auf den Ort der Ausstellung direkte Anknüpfungsmöglichkeiten für das deutsche Publikum. »Die Ausstellung findet hier in dieser Villa statt. Und da musste ich daran denken, dass eine von den wirklich sehr gelungenen Sachen im ›Eternauta‹ ist, wie er zeigt, dass auch eine anscheinend harmlose Stadt, so ein Vorort von Buenos Aires, Schauplatz für den Horror sein kann. Und wenn ich daran denke, dass ganz in der Nähe von hier, auch in so einer tollen Villa, nämlich im Haus der Wannsee-Konferenz, die Entscheidung für die Ermordung von Millionen von Menschen aus rassistischen Gründen getroffen wurde, dann denke ich, dass es schon einiges gibt, das auch in Deutschland rezipiert werden kann.«
Die Ausstellung »Héctor Germán Oesterheld: Der Mythos Eternauta« ist noch bis zum 10. Juli im Literarischen Colloquium Berlin zu sehen.
Héctor G. Oesterheld/Francisco Solano López: Eternauta. Aus dem argentinischen Spanisch von Claudia Wente, Berlin 2016, Avant-Verlag, 392 Seiten, 39,95 Euro