Der Wahlerfolg der AfD verschärft die wirtschaftlichen Probleme in Sachsen-Anhalt

Der Harz ist keine Reise wert

Nicht nur der regionalen Tourismusbranche bereitet das Wahlergebnis der Alternative für Deutschland in Sachsen-Anhalt Sorgen.

In Sachsen-Anhalt geht die Angst um. Nach dem hohen Wahlergebnis der Alternative für Deutschland (AfD) sei den Landtagswahlen sorgt sich vor allem die Tourismusbranche um den Ruf des Bundeslandes. Die ersten Stornierungen von Urlaubern erreichen Hoteliers und Gastwirte. Der Vorsitzende des sachsen-anhaltinischen Landestourismusverbandes, Lars-Jörn Zimmer, ein ehemaliger Landtagsabgeordneter der CDU, berichtete Regionalzeitungen von »enttäuschten, aber auch wütenden Protestbriefen«. Er befürchtet, dass die Zahl der Urlauber nun wegen des Wahlergebnisses nicht weiter steigen werde. Zimmer geht davon aus, dass es »ein schwieriges Reisejahr« wird.
Als mahnende Beispiele werden in Artikeln zum Thema immer wieder das Nachbarland Sachsen und ganz besonders Dresden genannt. In der Stadt ist die Zahl der Übernachtungen 2015 im Vergleich zum Vorjahr deutlich zurückgegangen, nämlich um ganze drei Prozent. Die Verantwortlichen in der sächsischen Landeshauptstadt sehen darin den sogenannten Pegida-Effekt: Die beinahe wöchentlich in der Innenstadt verbreiteten fremdenfeindlichen Parolen sorgten langfristig für einen enormen Imageverlust.
Persönlich betroffen machte Zimmer ein Schreiben aus den Niederlanden. Darin erklärte eine Familie mit zwei nicht-weißen Kindern, dass sie angesichts des Wahlergebnisses nicht in den Harz fahren werde, weil sie sich Sorgen um ihre Sicherheit mache. Erdmute Clemens, die Geschäftsführerin der Wernigerode Tourismus GmbH, ist mehr als besorgt. Die Stadt wurde gerade erst zum beliebtesten Ferienort in Deutschland ernannt. »So ein Titel nützt uns nichts, wenn das von solchen Mitteilungen überschattet wird«, sagte Clemens dem Naumburger Tageblatt. Zumindest sei sie froh darüber, dass viele auswärtige Gäste die Stadt im Harz nicht sofort mit dem Land Sachsen-Anhalt in Verbindung brächten. Eine Besserung der derzeitigen Lage erwarte sie erst, wenn sich Sachsen-Anhalt »wieder im demokratischen Fahrwasser« bewege. »Einen Rückschlag kann die Branche in Sachsen-Anhalt wirtschaftlich kaum verkraften«, bekräfigt der Hauptgeschäftsführer des Hotelverbandes Dehoga in Sachsen-Anhalt, René Kauschus, gegenüber der Mitteldeutschen Zeitung. Mit einer Auslastung von 30 Prozent liege man im Vergleich zum restlichen Bundesgebiet weit hinten. Dies sei die untere Grenze für die Rentabilität von Betrieben. Das »Land der Frühaufsteher« hat darüber hinaus grundsätzliche Probleme. Ganze Regionen sind wirtschaftlich und strukturell abgehängt, ohnehin können nur einige wenige Gebiete des Bundeslandes vom Tourismus profitieren. In einem Interview mit der Journalistin Monika Zimmermann nannte der ehemalige Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) einige Gründe dafür: »Dass wir einen hohen Bevölkerungsanteil haben, der sich daran gewöhnt hat, subventioniert zu werden. Dass wir eine hohe Zahl von Schulabbrechern haben.« Auch wenn man »nicht alles auf einen Nenner bringen« könne, so Böhmer weiter, müsse man feststellen, dass vor allem »die Eigenverantwortung deutlich geschrumpft ist«.
Bei den Wahlen war die AfD überdurchschnittlich erfolgreich bei Arbeitern und Arbeitslosen. »Der typische AfD-Wähler ist«, so der Wahlforscher Roberto Heinrich von Infratest Dimap, »eher männlich, eher mittelalt«. Er sei ein »Zukunftsskeptiker« und »sehr beunruhigt über die Verhältnisse im Land«. In Sachsen-Anhalt wählten jedoch auch viele Wahlberechtigte unter 30 Jahren die AfD. Während die CDU im Norden des Bundeslandes, also in der Altmark, in der Magdeburger Börde und in der Landeshauptstadt, ihre Wahlkreise bis auf einen verteidigte, siegte die AfD vor allem im Süden rund um Halle und im Mansfelder Land – also genau in jener Gegend, in der sehr viele der großen DDR-Kombinate standen und nach 1990 vor allem der Bergbau und die Chemieindustrie abgewickelt wurden. Von ehemals 2,8 Millionen Einwohnern zur Wendezeit sind mittlerweile noch 2,2 Millionen in Sachsen-Anhalt übrig geblieben.
»Ich sage es mal so: Nicht die Schlechtesten sind gegangen«, sagt der Landtagsabgeordnete Sebastian Striegel (Bündnis90/Die Grünen) über die derzeitige Situation. In seinem Wahlkreis liegt die Arbeitslosigkeit unter dem Landesschnitt. Industrie habe sich angesiedelt, Milliarden seien in den Aufbau Ost geflossen. »Die große Unzufriedenheit im Lande« komme daher, dass man »hier nie gelernt« habe, »wie man politisch streitet«. Die Hiergebliebenen hätten eine Erwartungshaltung an die etablierte Politik, die »schon irgendwie irrwitzig« sei. Faktenresistenz treffe hier auf Forderungen, die schwerlich zu befriedigen seien. »Die Welt ist nicht komplizierter geworden«, sagte Striegel der Berliner Zeitung. »Das war sie immer schon. Es wollen nur immer mehr Leute immer einfachere Antworten.« Diese einfachen Antworten liefert der neurechte Flügel der AfD weitaus erfolgreicher als der etwas gemäßigtere. »Der Landesverband Sachsen-Anhalt gehörte unter der Führung André Poggenburgs sehr früh zum rechten Flügel der Partei«, sagt Torsten Hahnel von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus des zivilgesellschaftlichen Vereins Miteinander im Gespräch mit der Jungle World. Die enge Verbindung Poggenburgs zum Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke sei kein Zufall. Auch der sachsen-anhaltinische Landesvorsitzende pflege Kontakte zu den Netzwerken der »Neuen Rechten«. So war Poggenburg mehrfach bei Veranstaltungen des neurechten »Instituts für Staatspolitik« zugegen. Im Mai vergangenen Jahres saß der gelernte Apparatebauer auf einer Veranstaltung des Magazins Compact in Tröglitz nicht nur neben dem Chefredakteur Jürgen Elsässer, sondern auch neben einem wegen Volksverhetzung verurteilten Neonazi aus Thüringen auf dem Podium. Keinerlei Berührungsängste mit dem rechten Milieu hat auch der neue Landtagsabgeordnete der Partei, Hans-Thomas Tillschneider. Der Islamwissenschaftler trat zuletzt als Berater und Mitorganisator der rechtsextremen Gruppe Legida, des Leipziger Ablegers von Pegida, in Erscheinung. In seiner Funktion als Sprecher der »Patriotischen Plattform« in der AfD kritisierte er die Ablehnung des Aufnahmeantrags des neurechten Verlegers Götz Kubitschek und dessen Frau Ellen Kositza durch den Bundesvorstand.