Vor 20 Jahren wurde Sven Beuter von einem Neonazi erschlagen

20 Jahre reuelos

Ein Nazi erschlug im Jahr 1996 den Punk Sven Beuter in Brandenburg an der Havel. Zum 20. Jahrestag der Tat wollen Antifaschisten an den Ermordeten und weitere Todesopfer rechtsextremer Gewalt in Brandenburg erinnern.

Sven Beuter wäre mittlerweile 43 Jahre alt. Doch am 15. Februar 1996 attackierte ein Neonazi den arbeitslosen Dachdecker in Brandenburg an der Havel und verletzte ihn schwer. Nach fünf Tagen im Koma erlag Beuter am 20. Februar 1996 im Krankenhaus seinen Verletzungen. Sein Tod jährt sich demnächst zum 20. Mal.
Es war nicht das erste Mal, dass Beuter von einem Nazi angegriffen wurde. Bereits 1993 war er mit Baseballschlägern derart verprügelt worden, dass er einen Schädelbruch und Hirnverletzungen erlitt. Von den Folgen des Angriffs erholte er sich nie wieder vollständig. Das Gleiche gilt für einen Angriff im Jahr darauf, bei dem der rechte Arm des jungen Mannes so schwer verletzt wurde, dass er ihn von da an nicht mehr bewegen konnte. Der Grund für die wiederholten Angriffe lag wahrscheinlich schlicht und einfach darin, dass Beuter Punk war und damit in den Augen der örtlichen Neonazis »asozial«.

Kein Angriff war jedoch so schwer wie der im Februar 1996. Hirnquetschung, Schädelbrüche, die Milz gerissen, die Leber angerissen – die Folgen der Schläge und Tritte, die der damals 21jährige Nazi-Skinhead Sascha Lücke aus dem nahegelegenen Ort Kloster Lehnin dem körperlich deutlich unterlegenen Dachdecker zugefügt hatte, waren tödlich. Lücke hatte Beuter nicht nur einfach verprügelt. Als dieser bereits bewusstlos am Boden lag, schleifte der Nazi ihn noch etwa 50 Meter weiter durch den Schnee, eine blutige Spur hinterlassend, um ihn in einer Seitenstraße ungestört weiter malträtieren zu können. Für seine grausame Tat wurde Lücke zwar wegen Mordes angeklagt, aber nur wegen Totschlags zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt. Weil er zur Tatzeit einen Alkoholpegel von 2,33 Promille im Blut gehabt hatte, befand ihn das Gericht nach drei Verhandlungstagen für vermindert schuldfähig.
Lücke bemühte sich, während des Prozesses Reue zu zeigen. Doch von der Neonaziszene hat er sich offenbar nie distanziert. In den Jahren 2011 und 2012 sowie zuletzt mehrmals 2015 nahm er an rechtsextremen Demonstrationen in Brandenburg an der Havel (Jungle World 45/2015) und anderen Orten teil. Während einer Demonstration des Pegida-Ablegers »Brandenburger für Meinungsfreiheit und Mitbestimmung« (Bramm) in Brandenburg an der Havel wurde er am 27. Januar 2015 beim Zeigen des sogenannten Kühnengrußes fotografiert. Am 30. Juni wurde er dafür zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung und zu einer Geldstrafe von 300 Euro verurteilt. Im Internet kursiert zudem ein Bild von Lücke, das ihn mit einem T-Shirt der Neonazi-Band »Tätervolk« zeigt. Auf einem anderen Foto ist die Tätowierung auf seinem Rücken zu sehen. »No Remorse« steht da – keine Reue. So hieß auch eine der bekanntesten britischen Rechtsrock-Bands.

Für Beuters Todestag, den 20. Februar, ruft die Antifa-Jugend Brandenburg unter dem Motto »Fighting for Twenty Years« zu einer antifaschistischen Demonstration in Brandenburg an der Havel auf. Neben Beuter soll auch des am 7. November 1992 in Lehnin von Neonazis ermordeten Wohnungslosen Rolf Schulze gedacht werden. Seine drei Mörder waren Mitglieder der »Schönefelder Sturmtruppen«, zwei von ihnen zudem auch der Ludwigsfelder Ortsgruppe der kurz darauf verbotenen »Nationalistischen Front«. Beuter und Schulze sind zwei von mindestens 21 Menschen, die im Bundesland Brandenburg seit 1990 von Neonazis oder Rassisten ermordet wurden. Der letzte dokumentierte Fall ereignete sich 2001. Damals prügelten zwei Männer den alkoholkranken Klaus-Dieter Harms aus Wittenberge tot.
Harms’ Tod liegt bereits mehr als 13 Jahre zurück. Dennoch kann keine Rede davon sein, dass rechtsextreme Gewalt in Brandenburg kein Problem mehr darstellt. Zahlen des Bundesinnenministeriums zufolge gab es 2014 73 rechtsextrem motivierte Gewalttaten in dem Bundesland. Im Jahr zuvor hatte die Zahl noch bei 45 gelegen, was einen Anstieg von 62 Prozent bedeutet. Diesen Zahlen zufolge liegt Brandenburg mit 2,98 Gewalttaten pro 100 000 Einwohner bundesweit an erster Stelle vor Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Der Verein Opferperspektive kommt allerdings auf noch höhere Zahlen und hat für 2014 sogar 92 Gewalttaten dokumentiert. Die Zahlen für 2015 dürften kaum besser aussehen.
Auch in Brandenburg an der Havel gab es 2015 mehrere rassistisch motivierte Angriffe. So zündeten Unbekannte in der Nacht zum 26. Juli eine mit Brandbeschleuniger getränkte Zeitung vor der Wohnungstür einer geflüchteten Familie an. In der Nacht zum 27. November kam es zu einem weiteren Brandanschlag in der Stadt. An einer ehemaligen Schule, in die eineinhalb Wochen später Geflüchtete einziehen sollten, entstand dabei leichter Sachschaden.
Die NPD als parlamentarischer Arm der extremen Rechten erhält in der Stadt keine auffällig große Unterstützung. Zwar holte sie dort bei der Landtagswahl und der Europawahl 2014 mit jeweils 1,4 Prozent ein leicht überdurchschnittliches Ergebnis. Deutlich besser jedoch schnitt mit 10,3 beziehungsweise 7,8 Prozent die rechtskonservative Alternative für Deutschland ab, die seit Mai 2014 auch drei Abgeordnete im Stadtrat stellt.

Deutlichstes Zeichen der rassistischen Mobilisierung in der Stadt sind jedoch die zahlreichen rechtsextremen Kundgebungen und Demonstrationen. Anfang 2015 fanden in Brandenburg an der Havel fünf Aufmärsche der Bramm statt. Ein weiterer folgte im Juni. Am 18. April gab es zudem eine Kundgebung der neonazistischen Kleinpartei »Der III. Weg«, die am selben Tag die Gründung eines Stützpunktes Potsdam/Mittelmark bekanntgab. Am 29. Oktober schließlich hielt die NPD, die in der Gegend zunehmend an Einfluss verliert, eine schlechtbesuchte Kundgebung ab.
Es wäre also falsch zu behaupten, in Brandenburg an der Havel sei der Einfluss von Nazis besonders hoch. Angesichts der regelmäßigen Aufmärsche, der guten Wahlergebnisse rechtsextremer Parteien und der langen Liste neonazistischer und rassistischer Gewalttaten handelt es sich vielmehr um eine ganz normale Stadt in Brandenburg wie viele andere auch. Eine auffällige Abweichung wäre es da, wenn am 20. Februar eine große Zahl an Menschen den Weg dorthin finden würde – um der Ermordeten zu gedenken und dafür zu demonstrieren, dass es in Zukunft keine weiteren von Rechtsextremen verübte Morde gibt.