Die US-Behörden erhöhen den Druck auf VW

Existenzängste bei VW

Die Stilllegung seines VWs wegen illegal erworbener Betriebserlaubnis muss in Deutschland niemand fürchten, zumal ein großer Teil der deutschen Polizei ohne die VW-Fahrzeuge nicht mehr einsatzbereit wäre. Doch während die deutsche Politik den Konzern gewohnt kulant behandelt, erhöhen die US-Behörden den Druck. Denn aufgeklärt ist das Ausmaß des Betrugs noch lange nicht.

Rund zwei Monate nach dem Auffliegen der Manipulation Test­ergebnissen im VW-Konzern steht fest: Das Ausmaß der Betrügereien ist noch immer nicht abzusehen. Neben weiteren Vorwürfen von Abgasmanipulationen an Dieselfahrzeugen aus den USA kamen neue Hiobsbotschaften aus dem Konzern selbst. Ein Ingenieur hat gestanden, Angaben über den CO2-Ausstoß in großem Stil gefälscht zu haben. Insgesamt sind 800 000 Fahrzeuge betroffen, darunter auch Autos mit Benzinmotor.
Der ehemalige VW-Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn hatte 2012 angekündigt, dass VW den CO2-Ausstoß seiner Motoren bis 2015 um 30 Prozent senken werde. Doch die Ingenieure sahen sich nicht in der Lage, das technisch zu erreichen. Angeblich waren sie zu feige, es ihren Vorgesetzten zu sagen. Also fälschten sie ab 2013 Tests. Sie erhöhten den Reifendruck bei Prüffahrzeugen oder mischten Diesel ins Motoröl, damit die Wagen weniger Treibstoff verbrauchten und der CO2-Ausstoß geringer war. Golf- und Polo-Modelle sollen 15 beziehungsweise 18 Prozent mehr Sprit verbrauchen als deklariert. Vor Winterkorn und seinen Managern hatten die Ingenieure dieser Darstellung zufolge mehr Angst als vor dem Kraftfahrtbundesamt, das für die Kontrollen der Herstellerangaben zuständig ist. Sie wussten, dass die dem Bundesverkehrsministerium unterstellten Beamten nur nach Aktenlage kontrollieren.
Die Behörden überlassen die Abgasmessungen generell Dienstleistern, die sich die Autohersteller selbst aussuchen können. Dieses System wird nicht in Frage gestellt, obwohl es offenkundig versagt hat. Doch als Konsequenz aus dem Skandal will Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) nicht etwa das Kontrollsystem reformieren. »Wir entwickeln die PKW-Abgastests auf EU-Ebene weiter«, sagte er.

Auf europäischer Ebene hat gerade Deutschland immer wieder dafür gesorgt, dass Abgasgrenzwerte nicht verschärft werden. Wenig glaubwürdig ist daher der Einsatz der Bundesregierung für schärfere Tests. Die Autolobby ist in Berlin und Brüssel ungeheuer stark. Doch auch ohne Fürsprecher wie den ehemaligen Verkehrsminister und heutigen Präsidenten des Verbands der Automobilindustrie Matthias Wissmann (CDU) kümmern sich deutsche Ministerpräsidenten und Politiker von SPD und Union rührend um die Branche. Denn sie gilt als Schlüsselindustrie. Deshalb unternimmt die Regierung auch mehr zur Eindämmung der Krise als zur Aufklärung des Skandals. Sie fürchtet ein Übergreifen auf andere Unternehmen. »Ein Generalverdacht gegen die gesamte Automobilbranche ist vollkommen unangemessen«, behauptet Dobrindt immer wieder. Etliche Umweltverbände hatten kurz nach Beginn der VW-Affäre vorausgesagt, dass von weiteren Autoherstellern ähnliche Enthüllungen zu erwarten seien. Doch bislang ist daraus nichts geworden. Entweder sind die anderen Hersteller schlauer als Volkswagen und lassen sich nicht erwischen oder sie sind technisch einfach besser.
Der geständige VW-Ingenieur soll nicht entlassen werden. VW will damit ein Zeichen setzen, dass es mit der allseits beschworenen »Angstkultur« im Konzern vorbei ist. Nach Bekanntwerden der CO2-Manipulationen hat der neue VW-Vorstandsvorsitzende Matthias Müller einen Brief an die europäischen Finanzminister geschrieben und darum gebeten, eventuell anfallende Steuernachzahlungen für Fahrzeuge mit manipulierten Abgaswerten bitte dem Konzern in Rechnung zu stellen und nicht den Kunden. Für neuere Wagen hängt die Höhe der Kfz-Steuer von den im Typenschein des Autos eingetragenen CO2-Werten und den Angaben zum Spritverbrauch ab. Für VW wäre der Imageschaden noch größer, wenn die Halter für den Betrug zahlen müssten. Denn die höheren Steuern sind auch rückwirkend fällig. Dobrindt signalisierte Entgegenkommen. Sein Ministerium arbeite gemeinsam mit dem Finanzministerium »an einer Gesetzgebung, die dafür sorgt, dass nicht der Kunde durch diese Mehrkosten bei der Kfz-Steuer belastet wird, sondern der Volkswagen-Konzern«, erklärte er im Bundestag.

Während in Deutschland die Sorge um die Zukunft des Autobauers Beißhemmungen auf Seiten der Politik auslöst, wird die Salamitaktik bei der Aufarbeitung der Affäre in den USA mit wachsendem Unmut registriert. Die Leiterin der kalifornischen Umweltbehörde (CARB), Mary Nichols, ist davon überzeugt, dass dem Management in Wolfsburg das Ausmaß des Skandals noch immer nicht bewusst ist. Das CARB hatte mit der US-Bundesumweltbehörde EPA die systematische Manipulation des Konzerns aufgedeckt. Nichols geht davon aus, dass VW in den USA eine hohe Strafe zahlen muss – wie hoch genau, hängt auch von den Maßnahmen ab, die der Konzern ergreift, um die zu hohen Schadstoffemissionen zu senken. Bislang haben die Manager aus Sicht der Umweltaufseherin nicht angemessen auf das Auffliegen der Betrügereien reagiert. »Sie haben Rückstellungen für den finanziellen Schaden ­gebildet und haben eine Untersuchung begonnen. Ihnen geht es dabei darum, sich den Aktionären gegenüber gut darzustellen«, urteilte sie. Die Behörden in den USA fühlen sich von den VW-Managern schlecht informiert. Das lassen sie sich allerdings nicht gefallen. Einem hochrangigen VW-Manager wurde bereits der Pass abgenommen, damit er sich nicht aus dem Staub macht – eine in Deutschland undenkbare Maßnahme. Sie hinterlässt Eindruck: VW-Vorstandsvorsitzende Müller wird anders als geplant wohl nicht Ende November in die USA fliegen, um dort direkt mit Aufsehern und Politikern über das weitere Vorgehen zu verhandeln.
Analysten schätzen die drohenden Strafzahlungen und Kosten etwa für Rückholaktionen und Umbauten für VW mittlerweile auf gewaltige 32 Milliarden Euro. Das ist auch für den größten europäischen Autokonzern viel Geld. Schlimmer ist aber der Einbruch der Verkaufszahlen. Die ersten Hiobsbotschaften kommen aus Japan. Dort hat sich die Zahl der verkauften Autos im Oktober im Vergleich zum Vorjahr fast halbiert. Kein anderer Hersteller aus dem Ausland hat früher so viele Wagen in Japan verkauft wie VW. Mit einer landestypischen Geste hatte sich der Direktor von VW-Japan, Sven Stein, bei einer großen Automobilschau in Tokio entschuldigt. Er verbeugte sich mehrere Sekunden sehr tief. »Auch die große Demut kann VW nicht helfen«, spottete das Handelsblatt.

Für die Beschäftigten von VW ist das Desaster groß. Das Management verordnet dem Unternehmen harte Kürzungen. Eine Personalie gibt eine kleine Vorahnung davon, was der Belegschaft blüht: Der Betriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh galt als Kandidat für die Nachfolge des VW-Personalvorstands Horst Neumann, der Ende November in den Ruhestand geht. Aufgrund der engen Verquickung von Gewerkschaft und Unternehmen ist so etwas bei VW nicht unüblich. Aber: Osterloh will nicht. »Ein Wechsel auf den Posten des Personalvorstands kommt für mich nicht in Frage. Wir erleben derzeit, wie der Vorstand agiert und dabei die Interessen der Beschäftigten vollkommen außer Acht lässt«, schrieb er an seine Kollegen. Er will offenbar nicht derjenige sein, der gegen den Widerstand der Arbeitnehmer die Kürzungsprogramme durchsetzt. Aufgrund des VW-Gesetzes haben die Betriebsräte weitaus mehr Mitspracherechte als in anderen Unternehmen. Bei Produktionsverlagerungen, Standortentscheidungen und anderen Fragen haben sie mitzureden, sie können Entscheidungen blockieren. Oder besser: konnten. »Der Betriebsrat wird bewusst außen vor gelassen. Der Vorstand verkündet Sparmaßnahmen einseitig und ohne Grundlage«, so Osterloh. Konfrontation statt Kooperation – das ist neu im Verhältnis zwischen Betriebsrat und Konzernführung. Für das Management gab es noch nie eine so gute Gelegenheit, die Arbeitnehmervertreter in die Mangel zu nehmen, wie jetzt. Die wird es nutzen.