Der universitäre Mittelbau klagt über schlechte Arbeitsbedingungen

Unmut beim Uniprekariat

Wegen befristeter Arbeitsverträge, geringer Aussichten auf eine Festanstellung, Konkurrenzdruck und Hierarchien an deutschen Hochschulen regt sich Unmut. Derweil arbeitet der deutsche Bundestag an einer Gesetzesnovelle, die sich vorgeblich dieser Probleme annimmt.

Nach 16 Zeitverträgen und mehr als zehn Jahren Arbeit an der Uni Gießen hatte der Mathematiker Alfons Hester auf Festanstellung geklagt. Das hessische Landesarbeitsgericht wies jedoch seine Klage in zweiter Instanz ab. Hester sagte laut Spiegel Online dazu: »Dieses Urteil bedeutet: Die Unis können mit ihren Mitarbeitern machen, was sie wollen. Im öffentlichen Dienst gibt es eine schlimmere Hire-and-fire-Kultur als in der Wirtschaft.«
Für die Wissenschaft gilt in Deutschland ein Sonderarbeitsrecht, welches im Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) festgelegt ist. Das Gesetz umfasst Regelungen zur Befristung von Arbeitsverhältnissen. Es sieht vor, dass innerhalb von zwölf beziehungsweise in der Medizin von 15 Jahren befristete Anstellungen möglich sind, wobei eine darüber hinausgehende Befristung bei Finanzierung aus Drittmitteln auch möglich bleibt. Inzwischen hat sich die Befristungspraxis an den Hochschulen und weiteren Wissenschaftseinrichtungen zu einem öffentlich wahrnehmbaren Problem entwickelt. Das liegt zum einen an der Arbeit von Erwerbstätigenorganisationen wie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die sich für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen, und zum anderen an der Abwanderung von Wissenschaftlern ins Ausland. Dort sind oft bessere Arbeitsbedingungen zu erwarten.

Der sogenannte Wissenschaftsstandort Deutschland profitiert von der Möglichkeit der kurzzeitigen Befristungen zahlreicher Wissenschaftler unterhalb der Professur. Doch ist der Nutzen dieser Profitabilität nicht ohne Einschränkungen zu haben; neben der Abwanderung ist auch der Unmut der befristet Beschäftigten festzustellen. Deswegen hat Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) eine Neufassung des WissZeitVG entworfen. Die liegt inzwischen zur Beratung im zuständigen Fachausschuss des Bundestages. Der Entwurf sieht vor, die »vereinbarte Befristungsdauer jeweils so zu bemessen, dass sie der angestrebten Qualifizierung angemessen ist«. Auch sollen nichtwissenschaftliche Mitarbeiter in Drittmittelprojekten künftig von der Befristung ausgenommen werden. Das wären aber keine einschneidenden Änderungen.
Die Unbestimmtheit des Gesetzentwurfes ist eine Folge der Interessenlage in der Wissenschaft. Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen, ein Zusammenschluss der bedeutendsten Forschungsinstitutionen, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) über das Max-Planck-Institut bis zur Fraunhofer-Gesellschaft, hatte einen Brief an Wanka geschrieben, in dem eine »wissenschaftsfreundliche Ausgestaltung der Novelle« gefordert wurde.
Zuspruch gab es aus den Regierungsparteien. SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil sagte laut Tagesspiegel, dass »Selektivität und Konkurrenz auch Merkmale von Wissenschaft« seien und CDU-Bildungsexperte Michael Kretschmer ergänzte: »Wissenschaft lebt vom Wechsel und von der Bestenauswahl, Menschen müssen auch wieder aus dem System ausscheiden können.«
Das sehen jene, die da ausscheiden sollen, naturgemäß etwas anders. Die Gewerkschaften kritisieren, dass das Gesetz in Bezug auf gesetzlich festgelegte Mindestbefristungen nicht konsequent ist. Auch dass die im Gesetz festgelegte Tarifsperre unangetastet bleibt und die »familienpolitische Komponente« nicht verbindlich ausgestaltet sei, nimmt die GEW nach eigener Aussage »mit Enttäuschung« auf.

Tatsächlich wird eine Novelle des WissZeitVG an den grundsätzlichen Verhältnissen in der Wissenschaft und an den Hochschulen nichts ändern, denn dass es naheliegt, zahlreiche Wissenschaftler befristet arbeiten zu lassen, ergibt sich aus der hierarchischen Struktur der Hochschulen und Forschungsprojekte. Die Professur ist das einzig mögliche Berufsziel in der Wissenschaft. Und gleichzeitig ist es für viele unerreichbar. Bis zur Professur befindet man sich in der Qualifizierungsphase, ist wissenschaftlicher Nachwuchs und wird von Doktorvätern und -müttern betreut. Der Professorenschaft, die verhältnismäßig gute Arbeitsbedingungen hat und in der Regel sowieso aus den oberen Gesellschaftsschichten kommt – wie unter anderem eine voriges Jahr in der Fachzeitschrift Soziale Welt erschienene Studie zeigt –, steht eine Masse von Menschen gegenüber, die faktisch kaum eine Möglichkeit haben, eine Festanstellung mit der Freiheit zur Forschung im Gebiet der Wissenschaft zu erringen.
Hat man es doch bis zur Habilitation geschafft, ist man lange noch nicht auf einem Lehrstuhl. Mit dem Erhalt der Lehrbefugnis als Privatdozent, der venia legendi, geht das Recht, vor allem aber die Pflicht einher zu lehren. Die sogenannte Titellehre umfasst in der Regel zwei Semesterwochenstunden und erfolgt unentgeltlich. Kommt man dieser Pflicht nicht nach, so droht der Entzug der Lehrbefugnis und die Berufung auf einen Lehrstuhl ist unmöglich.

Angesichts der Verhältnisse an den Hochschulen und in den Forschungseinrichtungen sind Karrierismus und Zynismus verbreitet. Bei der verschärften Konkurrenz sind persönliche Kontakte und Opportunismus hilfreicher als die Vertiefung in einen Gegenstand. Deprofessionalisierung ist die Folge der außersachlichen Vermittlung der Konkurrenz, akademische Moden und Rituale karikieren das Ideal wissenschaftlichen Arbeitens. Und weil die sachliche Auseinandersetzung leidet und es nichts mehr zu vermitteln gibt, verkümmert die Lehre. Diese Leere des akademischen Betriebs wird allerdings verdeckt von einer romantischen Ideologie. Selbstverwirklichung wird propagiert, wo es kaum zum Leben reicht. Sinn wird behauptet, wo es um Lohn gehen müsste. Und statt es Arbeit zu nennen, ist alles bis zur Professur Bildung – oder euphemistisch ausgedrückt: Qualifizierungsphase oder Durchgangsstation. Und diese Umstände wird keine Novelle des WissZeitVG ändern. Im Gegenteil: Die Novelle täuscht Veränderung vor, wo keine stattfindet und stattfinden soll.
Doch es regt sich Unmut. In Berlin veranstaltete das Undercurrentsforum für linke Literaturwissenschaft im Juli eine Tagung unter dem Titel »Nicht berufen. Arbeitsverhältnisse im Literaturwissenschaftsbetrieb und politische Organisierung«. Die GEW hat für Anfang November eine Aktionswoche zum Thema »Traumjob Wissenschaft« angekündigt. Auch die studentisch Beschäftigten in Berlin streben eine Neuverhandlung ihres seit 2003 unveränderten Tarifvertrages an, denn sie haben durch die steigenden Lebenshaltungskosten in den letzten Jahren effektiv einen nicht unbeträchtlichen Teil ihres Lohns verloren. Ein Streik ist beim Lohnkampf denkbar. Und die studentischen Hilfskräfte wären bei weitem nicht die einzigen, die an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen dazu Grund hätten.