28.08.2014
Worauf es beim Fußball ankommt

Es geht nicht nur um Ballannahme

Alle reden vom ersten Bundesligaspieltag. Unsere Autoren nicht. Sie erzählen lieber, was ihnen am Fußball wichtig ist.

Wieder da

Der FC, wie man ja kurz sagt und womit wir gerne auf die Fußballhistorie verweisen, als der 1. FC Köln der erste Bundesligameister war, was zur Folge hatte, dass sich alle anderen Vereine, die ein F und ein C im Namen führten, irgendwo dahinter einordnen mussten: der »Club« oder der FCK und wie sie alle heißen; der FC also ist nicht nur in die erste Bundesliga aufgestiegen, er hat ja noch viel mehr.
Ein Präsidium zum Beispiel. Dem steht zwar leider nicht mehr der Wolfgang Overath vor, der das bis 2011 noch gemacht hatte, sondern ein Mann, der auf den schönen Namen Werner Spinner hört. Da sich Namenswitze verbieten, hat Werner Spinner zwei Vizepräsidenten: Dat ess d’r Tünn, wie man in Köln zum Harald »Toni« Schumacher sagt, der unvergesslich das Tor des FC gehütet hat, bis er sich zur Karriere als Sachbuchautor entschied (»Anpfiff«), woraufhin er sofort aus Verein und Nationalelf flog. Und das ist ein Markus Ritterbach, der Präsident des Festkomitees Kölner Karneval ist und zu den Vergebern der Willy-Millowitsch-Medaille gehört. Ob trotz oder wegen dieses fußballerischen Dreigestirns der Aufstieg geklappt hat, ist ziemlich egal. Wichtig ist, dass der FC mit genau dem, was den Verein und die Stadt auszeichnen, wieder ganz oben ist.
Der FC ist nicht irgendein wirtschaftlich geführter Club, der künftig mit den ganzen anderen wirtschaftlich geführten Clubs um die besseren Einnahmen in der Champions- und Europa-League konkurriert. Dieser Befund ist ziemlich eindeutig. Man muss sich nur das großartige Lied »1.-FC-Kölle-Alaaf« anhören, der offizielle Karnevalssong des FC, der nicht von irgendjemandem gesungen wird, dem man das besonders gut zutraut, sondern von der Lebensgefährtin des Trainers Peter Stöger, Ulrike Kriegler.
Das ist der FC, wie man ihn kennt. Es ist der FC, der sich nicht nur als Maskottchen den Geißbock Hennes hält, sondern diesen auf einem eigenen Geißbockmobil huldvoll die Ovationen abschreiten respektive -fahren lässt. Es ist auch der FC, dessen Spiele, versteht man sie als kulturelle Ereignisse, mindestens eine halbe Stunde vor dem Schiedsrichterpfiff beginnen, weil die Tribünenfans so lange brauchen, um das großartige kölsche Liedgut zu schmettern. Dieser FC ist also zurück in der ersten Bundesliga und wird uns sehr viel Freude bereiten. Zumindest mir. Dä!

Martin Krauß

 

Mehr Audiolith, bitte

Nur ein bisschen Normalität – das wünschten sich viele Fans des FC St. Pauli während der regelmäßig wiederkehrenden Chaostage, wenn der Zeckenverein mal wieder rumschnorren musste. Aber wie geht ein bisschen normal? Ist das nicht wie ein bisschen erwachsen werden? Die wilde Jugendzeit tobte in den achtziger Jahren am Millerntor, alles längst Legende: Totenkopf, Hafenstraße, Klassenkampf. Auf den sumpfigen Traversen der Gegengerade explodierte eine Mischung aus Hafenromantik, Gras und Politik – der Urknall der neuen Fan-Bewegung. Das ist über ein Vierteljahrhundert her. Der FC St. Pauli entwickelte sich danach zum Berufsjugendlichen und ist nun erwachsen: Die einst schmuddeligen St. Paulianer mutierten zu Hanseaten, die im Gegensatz zum HSV sorgfältig wirtschaften. Das alte St. Pauli verschwindet indes; am Millerntor lässt sich das gut verfolgen: Nur die schiefe Nordkurve trotzt noch der Arena – eingeklemmt zwischen imposanter neuer Gegengerade sowie steriler Haupttribüne. Keine Frage: Veränderung ist gut, verklärte Vergangenheit furchtbar – aber dem neuen St. Pauli fehlt noch die Seele, ein Soundtrack. Den soll ein junger Präsident komponieren: Oke Göttlich kommt aus der Indie-Musikbranche, hat Finetunes aufgebaut. Cash from Chaos 2.0 sozusagen. Ey, DJ Göttlich, ich wünsche mir mehr Audiolith, weniger ollen Rock. Sonst wird St. Pauli zu den Scorpions der Fußballvereine: international total bekannt, aber hochnotpeinlich überlebt. Dann wären wir nicht nur die neuen Hanseaten, sondern nähmen den Rauten auch noch den Titel des Dinos ab. Die Optionen sind also klar: Entweder die Midlife-Crisis bewältigen und mit gestärkter innerer Reife daraus hervortreten – oder sich in eine verblödete Riesenechse verwandeln. Kein trantütiger Wind of Change, lieber FC St. Pauli, das Motto muss lauten: Just doin’ our thing!

Patrick Gensing

 

Große Namen, kein Kommerz

Viel geschimpft wird in letzter Zeit mal wieder auf den bösen Kommerzfußball. Viel von diesem Geschimpfe ist sehr verständlich: teure Tickets und miese Bratwürste, langes Schlangestehen, intimes Abgetastetwerden durch unsympatische Stiernacken-Securitytypen, um am Ende zu sehen, wie sich weltmeisterlich-perfekte Abwehrreihen gegenseitig ein taktisch anspruchsvolles, aber irgendwie dann doch langweiliges Null-zu-Null abtrotzen. Dabei liegt das Gute so nah: Der nächste Amateurkick wartet oft nur wenige hundert Meter von der eigenen Haustür entfernt. Bezahlbare Eintrittspreise, oft sehr originelles Catering und manchmal sogar große Namen.
Zum Beispiel in Berlin. In der sechstklassigen Verbandsliga, hier Berlin-Liga genannt, kämpfen mit Tennis Borussia und Tasmania gleich zwei ehemalige Bundesligisten um die Meisterschaft. Als neulich die Tennis-Borussen bei den Tasmanen gastierten, gabs von den tasmanischen Teufeln in der Halbzeitpause sogar Kuchen für den lila-weißen Anhang. Dass beide Fanszenen sich gegen Rassismus, Sexismus und andere Geißeln der Menschheit engagieren, macht die Sache noch sympathischer.
Gut, meistens ist halt auch die Qualität des dargebotenen Fußballs nur sechstklassig. Aber irgendwas ist ja immer.

André Anchuelo

 

Wir haben ja sonst nix

Mail von Elke Wittich: »1 000 Zeichen. Warum Fußball im Ruhrgebiet wichtig ist. Zack zack.« Das lässt sich einfach erklären: Wir haben sonst nix. Arbeit gibt es schon lange keine mehr. Rauchen in den Kneipen haben die Grünen verboten. Für Urlaub fehlt uns das Geld. Kultur ist für Touristen – da stören wir Eingeborenen nur, weil wir uns nicht benehmen können. Lesen ist auch keine Alternative. In den meisten Haushalten steht sowieso nur ein Buch: Das Parteibuch der SPD, und damit ist man schnell durch.
Unser Dialekt ist so komisch, dass wir uns nicht miteinander unterhalten können. Und Sex ist fast unmöglich. In dem dichten Nebel, der hier das ganze Jahr herrscht, findet man sich nämlich nicht so leicht. Womit sollten wir also unsere viele, von den Süddeutschen finanzierte Zeit verbringen? Besuche beim VfL Bochum, bei Rot-Weiß Oberhausen oder dem MSV Duisburg sind natürlich wenig beglückende Ereignisse, aber sie sind die einzige Abwechslung für uns, die wir in unseren Zechenhäusern sitzen und auf den Scheck vom Arbeitsamt warten. Wir haben ja sonst nix. Gar nix. Wirklich.

Stefan Laurin

 

Keine Hülle

Da sitzt er bei der Pressekonferenz, der Körper wippt unruhig, die Augen wandern hin und her. Fragen beantwortet er nur schubweise, weil er seine Sätze noch nicht vorab ausformuliert hat. Und immer wieder gibt es in der Branche so seltene Momente besonderer Tiefe und Offenheit.
In den Zusammenfassungen der Medien sieht man diese Passagen nie. Stattdessen gibt es eine Rubrik der lokalen Zeitung, die immer mit dem angeblich lustigsten Spruch der Woche befüllt wird, im Fernsehen wird im Zusammenschnitt der Spiele seiner Mannschaft nur der »Verrückte« gezeigt, der an der Außenlinie wie ein Rumpelstilzchen herumtobt. Um diese Verkürzung weiß er jedoch selbst, so sagte er einmal dem Magazin 11 Freunde: »Aber man hat oft das Gefühl, nur eine Reproduktionsfläche zu sein, eine Hülle.«
Wer diese Verkürzung akzeptiert, verpasst einen Trainer, der seinen Spielern große Freiräume lässt. »Aber ich bin der festen Überzeugung: Ein Mensch bringt am meisten von seiner Persönlichkeit ein, wenn man ihm so viel Freiheit wie möglich gibt. Dann fühlt er sich am wohlsten.«
Und nicht zuletzt wird das gezeichnete Bild seiner Weltoffenheit und seinem Interesse an Menschen nicht gerecht. Oder hat man ähnliche Worte schon einmal von einem deutschen Trainer gelesen? »Eine Fußballmannschaft ist ein heterogenes System, die Spieler kommen aus unterschiedlichen sozialen Schichten und Kulturen. Ich finde es wichtig, wenn sie merken, dass ich mich für sie interessiere und nicht nur für ihre Ballannahme.«
Vielleicht sollte man Christian Streich, Trainer beim SC Freiburg, einfach öfter zuzuhören. Schaden würde es jedenfalls nicht.

Sven Metzger