Russland und die zentralasiatischen Autokratien

Nervöse Autokraten

Die zu aggressive russische Ukraine-Politik gefährdet die Zusammenarbeit mit den Herrschern Zentralasiens.

Im patriotischen Überschwang kann man schon einmal über das Ziel hinausschießen. So sinnierte Wladimir Schtygaschew, Parlamentssprecher der russischen Republik Chakassien, Anfang April, man könne auch einige Territorien Kasach­stans per Referendum wieder an Russland anschließen. Er musste sich entschuldigen, das russische Außenministerium verurteilte »unverantwortliche« Kommentare von »Repräsentanten regionaler Körperschaften«.
Offiziell unterstützt das Regime Nursultan Nasarbajews in Kasachstan die russische Politik im Ukraine-Konflikt. Die Abscheu vor einem Regimewechsel teilt der seit 1990 herrschende Autokrat mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin. Dass im April landesweit Manöver von Polizei und Armee stattfanden, in deren Rahmen zur Demonstrantenbekämpfung ausgerüstete Polizisten in Kleinstädten mit einer überwiegend russischsprachigen Bevölkerung aufmarschierten, etwa in der Bergbaustadt Ridder, und separatistische Forderungen mit zehn Jahren Gefängnis geahndet werden sollen, zeigt jedoch, dass Nasarbajew ein wenig nervös ist und Putin deutlich machen will, wo die Grenzen liegen.
Die Stärke einer von Russland geführten Wirtschaftsunion kann nur in der Kontrolle eines möglichst großen Anteils der globalen Energie­vorräte liegen. Daher sind die öl- und gasexportierenden Staaten Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan für Putin von größerem Interesse als die Ostukraine. Die zentralasiatischen Autokraten werden jedoch auch vom Westen umworben und haben wenig Verständnis für großrussische Sowjetnostalgie. Sie werden nur insoweit mit Russland kooperieren, wie es in ihrem Interesse liegt, und unter ihrer straffen Führung ist die Infiltration zur Anstachelung separatistischer Bestrebungen wesentlich schwieriger als in der Ukraine.
Dass eine Fortsetzung der Annektionspolitik die Herrscher ehemaliger Sowjetrepubliken in Zentralasien in die Arme des Westens treiben könnte, dürfte Putin eher zur Mäßigung bewegen als diplomatische Protestnoten. Überdies ist wohl der Moment gekommen, an die Wirtschaft zu denken. Ein gewisses Maß an Sanktionen ist vermutlich im Interesse Putins, der hoffen kann, dass die Angst um ihr Vermögen im Westen seine Oligarchen zum Patriotismus erzieht und zu verstärkten Investitionen in Russland motiviert. Dass Standard & Poor’s die Kreditwürdigkeit Russlands herabgestuft hat, kann er ignorieren, da die Staatsschulden mit nicht einmal 60 Milliarden Dollar nach heutigen Maßstäben sehr gering sind. Die Schulden staatlicher Banken und Konzerne sind allerdings mehr als zehnmal so hoch. Vor allem aber muss Putin befürchten, dass man sich im Westen nach anderen Energielieferanten umsieht.
So wird es im Ukraine-Konflikt wahrscheinlich bei der Strategie der Spannung bleiben, die Russland dauerhaften Einfluss sichert. Für die Ukrainerinnen und Ukrainer bedeutet das allerdings, dass Oligarchen, Einschränkungen der Bürgerrechte und rechtsextreme Gewalt bleiben, die Reformen des Internationalen Währungsfonds (die Putin als dessen Anteilseigner mitträgt) aber kommen werden, während der Westen noch we­niger bereit sein wird, die zentralasiatischen Autokraten auch nur durch Mahnungen in Sachen Menschenrechte und Demokratie zu verärgern.