Die FDP lebt

Die Nacht der leidenden Reichen

Die FDP kann derzeit einen bescheidenen Aufwärtstrend verzeichnen. Sorgen machen muss man sich aber noch nicht.

Es ist die Zeit der Auferstehung: Die Natur erwacht aus dem winterlichen Scheintod und Christen in aller Welt feiern eine der ältesten Zombiegeschichten der Menschheit. In diesem Jahr ist der wandelnde Untote sogar persönlich anwesend, zumindest im Städtchen Davidson, einer wohlhabenden Gemeinde in North Carolina: Auf einer Parkbank vor der örtlichen Episkopalischen Kirche lagert dort seit Februar, eingehüllt in eine Decke, ein Obdachloser, der erst bei näherem Hinsehen als Skulptur und nur durch die Löcher in seinen Füßen als der Althippie aus Nazareth zu erkennen ist. Die ebenso christlichen wie um ihr Eigentum besorgten Nachbarn riefen prompt die Polizei.
Womit sie ganz im Geiste einer weiteren Totgeglaubten gehandelt haben dürften, die dieser Tage Lebenszeichen von sich gibt: Die FDP liegt einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA zufolge erstmals seit Monaten wieder bei fünf Prozent. Bevor die Leser nun Trinkwasser und Lebensmittel bunkern, den Werkzeugschuppen nach waffentauglichen Gerätschaften durchsuchen und sich in der Wohnung verbarrikadieren, sei dazugesagt, dass sich die Umfrage auf die Bundestagswahl bezog, und bis zu dieser dauert es bekanntlich noch eine Weile.
Dass der Auftraggeber der Studie Bild heißt und INSA mit methodologisch umstrittenen Online-Befragungen arbeitet, sind weitere Gründe, nicht vorschnell in Panik auszubrechen. Alle übrigen Erhebungen sehen die FDP bei der Sonntagsfrage zur Bundestagswahl bei etwa vier Prozent, die Werte für die Europawahl im Mai schwanken zwischen drei und vier Prozent. Damit könnte sie wohl auch dann wieder ins Europaparlament einziehen, wenn das Bundesverfassungsgericht die bisher geltende Dreiprozenthürde kürzlich nicht ohnehin gekippt hätte.

Dass die Liberalen das für sie vorteilhafte Urteil kritisieren, könnte man für Selbstüberschätzung angesichts des bescheidenen Aufwärtstrends halten, tatsächlich aber steckt die nackte Existenzangst dahinter: Wenn jetzt auch Kleinstparteien ins Europaparlament ein, koste das die FDP Mandate, so ihr Spitzenkandidat für die Europawahl, Alexander Graf Lambsdorff. Man will es ja auch nicht übertreiben mit dem freien Wettbewerb, zumindest, wenn man dabei zu den Verlierern gehört. Der Name Lambsdorff wird den nicht mehr ganz so Jungen bekannt vorkommen; sie dürften dabei aber weniger an den aufstrebenden Uradelsspross denken als an Otto Graf Lambs­dorff, den 2009 verstorbenen früheren Wirtschaftsminister, Onkel des Grafen Alexander und ebenfalls FDP-Politiker. Der Neffe hat es auf dem Familienticket an die Spitze der FDP-Gruppe im Europaparlament geschafft; ob es aber klug von der Partei war, jemanden in den Wahlkampf zu schicken, dessen Namen viele noch immer mit einem vorbestraften Steuersünder verbinden, sei dahingestellt. Ein Name, den man in der FDP derzeit definitiv gerne seltener hören würde, ist der ihres ehemaligen Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Rainer Brüderle. Der hat gerade ein Buch mit dem Titel »Jetzt rede ich« veröffentlicht, in dem er sich gegenüber dem Bild-Kolumnisten Hugo Müller-Vogg als Opfer einer »Medienkampagne« inszenieren darf. An seinen Äußerungen über die Oberweite der Stern-Journalistin Laura Himmelreich, die im vorigen Jahr die ganze Affäre auslösten, kann er – Überraschung – weiterhin nichts Sexistisches finden. Seine Partei kann nur froh sein, dass der Markt für Literatur narzisstisch gekränkter alternder Männer derzeit so übersättigt ist, dass es für Brüderle nicht einmal zu einem anständigen Shitstorm reichte.

Letztlich wird die FDP nicht an ihren Problempolitikern zugrunde gehen, die größte Gefahr, da hat Lambsdorff recht, ist die Konkurrenz. Ein nicht unerheblicher Teil derer, die der FDP bei der vorletzten Bundestagswahl noch ein Rekordergebnis bescherten, dürfte inzwischen mit der AfD sympathisieren. Deren Führungspersonal zeichnet sich zwar durch geballte politische Unfähigkeit aus, aber auch Zombies sind ja nicht gerade für ihre überragenden Denkleistungen bekannt. Angesichts der stabil bei fünf Prozent oder darüber liegenden Umfragewerte der Populisten ist es vielleicht doch keine schlechte Idee, langsam mal Fenster und Türen zu verrammeln.