Europas Rechte gegen Europa

Das Europa der Antieuropäer

Rechtsextreme Parteien agitieren im Wahlkampf gegen den Euro und gegen Migranten. Viel mehr Einigkeit unter den EU-Rechten gibt es nicht. Ein Überblick.

Aller Voraussicht nach werden die »nationalen Kameraden« im nächsten Europaparlament nicht alle symbolträchtigen Gesten vorführen können, die sie in ihren Ländern eingeübt haben – trotz der Tatsache, dass sie in der nächsten Legislaturperiode im Parlament in Straßburg wohl stärker vertreten sein werden als bisher.
Am 13. Februar zum Beispiel hängten zwei rechtsextreme Abgeordnete im ungarischen Parlament, Tamás Gaudi-Nagy von der Partei Jobbik und Balázs Lenhardt, parteilos und ehemaliges Jobbik-Mitglied, gemeinsam die beiden dort ­befindlichen EU-Flaggen ab und warfen sie zum Fenster hinaus. Gaudi-Nagy erklärte dazu, die Sternenflagge sei ein Symbol der »Kolonisierung Ungarns«. Entfernt werden sollen auch die beiden EU-Flaggen, die bislang auf dem Balkon des Rathauses der südfranzösischen Stadt Fréjus und im Amtszimmer des dortigen Bürgermeisters hängen. Bevor der 26jährige David Rachline vom Front National Ende März zum Bürgermeister gewählt wurde, hatte er erklärt, die EU-Symbole hätten zu verschwinden: »Sie haben dort nichts verloren.« Auch andere vergleichbare Parteien teilen ihre Kritik an einem supranationalen Zusammenschluss, dem vorgeworfen wird, dass ihn nicht Blutsbande noch »kulturelle Ideale«, sondern allein der Markt beziehungsweise »technokratische Regeln« zusammenhielten.
Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) etwa bewirbt ihre Liste zur Europawahl mit dem Slogan: »Österreich denkt um: Zu viel EU ist dumm!« Die Partei der Freiheit (PVV) des Niederländers Geert Wilders wirbt nicht nur mit einem ähnlichen Wahlkampfslogan – »Minder EU«, also »Weniger Union« – für sich. Im Februar hatte die Partei eine von ihr bei der britischen Wirtschaftsberateragentur Capital Economics bestellte Studie präsentiert, die angeblich belegt, dass es den Niederlanden im Falle eines Austritts aus der Europäischen Union wirtschaftlich besser gehen würde.
Mehrere der rechtsextremen Parteien in Europa waren in den vergangenen Jahren an Regierungen oder zumindest an der Bildung parlamentarischer Mehrheiten beteiligt. So war die FPÖ von Anfang 2000 bis im Jahr 2005, ihre Abspaltung, das Bündnis Zukunft Österreichs, noch bis zur Wahl 2006 aktiv im Regierungsgeschäft. Die dänische DFP und die PVV in den Niederlanden beteiligten sich in jüngerer Zeit an der parlamentarischen Mehrheitsbildung, waren jedoch nicht mit eigenen Ministern im Kabinett vertreten. In Dänemark unterstützte die DFP von 2001 bis 2011 eine konservativ-liberale Minderheitsregierung. Diese verlor dann die Wahl zugunsten der Sozialdemokraten, während die DFP vor drei Jahren leicht verlor und nur noch zwölf Prozent der Stimmen erhielt; mittlerweile liegt sie in Umfragen aber bei etwa 20 bis 25 Prozent.

Im Europäischen Parlament ist nicht zu erwarten, dass die rechtsextremen Parteien an der Bildung einer Exekutive, also der künftigen EU-Kommission, beteiligt sein werden. Dort werden sie sich eher darauf konzentrieren, sich in der Opposition gegen die EU-Institutionen zu profilieren. Neben der Agitation gegen die Einheitswährung und unterschiedliche Aspekte der Krisenpolitik – nordeuropäische und deutsche Rechtsparteien dürften eifrig gegen die »Griechenlandhilfe« wettern – wird die Hetze gegen Einwanderung im Mittelpunkt stehen.
Dieses Thema ist für alle rechten Wahlparteien zentral. Die italienische Lega Nord wollte etwa beweisen, wie unverantwortlich es angeblich sei, ein Gesetz aus dem Jahr 2006 abzuschaffen, das »illegale Einwanderung« zum Straftatbestand erhoben und mit mehrjährigen Haftstrafen belegt hatte. Der italienische Senat hatte im Januar beschlossen, die Gefängnisstrafe im Strafrahmen aufzuheben, außer für »Rückfalltäter«. Im vergangenen März wollten, so jedenfalls berichtete Malta Independent, sieben Mitglieder der Lega Nord zudem zeigen, wie einfach es inzwischen sei, mit dem Schlauchboot über das Mittelmeer zu fahren und ganz risikofrei in Italien einzuwandern. Die sieben sollen auf dem Wasserweg in Richtung Tunesien losgefahren sein. Auf der Höhe von Malta seien sie allerdings in Seenot geraten und hätten ein pyrotechnisches Alarmsignal gezündet. Da sie es so geschickt anstellten, dass der Leuchtstern dabei auf ihr Boot fiel, sei es gekentert. Alle Beteiligten drohten angeblich zu ertrinken, seien jedoch gerettet worden. Die Lega Nord hat den Vorfall wiederum nicht bestätigt und es bestehen Zweifel daran, ob es sich tatsächlich so zugetragen hat.

Mehrere Rechtsparteien dürften sich im nächsten Europaparlament zusammenschließen. Am 15. November hatten bereits sechs Parteien in Wien ein Wahlbündnis vereinbart: die FPÖ, der Front National, die Lega Nord, der Vlaams Belang aus Belgien, die Schwedendemokraten (SD) und die Slowakische Nationalpartei SNS. Zwei Tage zuvor hatten der französische FN und Wilders’ Partei PVV ihrerseits einen Pakt geschlossen, anlässlich eines Besuchs von Marine Le Pen in Den Haag.
Am 15. Februar erklärte die Vorsitzende des Front National auch, mit welchen Parteien sie künftig im Europaparlament nicht zusammenarbeiten möchte. Das betrifft die ungarische Partei Jobbik. Diese sei einerseits, ähnlich wie die griechische Goldene Morgenröte, die in Europa mit der deutschen NPD verbündet ist, zu offen pro-nazistisch und antisemitisch. Andererseits tritt Jobbik ­außenpolitisch durch eine Vorliebe für asiatische Nationalismen hervor. Ein alter Hut, seitdem ungarische Nationalisten sich über den Vertrag von Trianon von 1919 empörten, den Westeuropäern deswegen eine »Mitschuld an der Zerstückelung Ungarns« vorwarfen und daraufhin den türkischen Kemalismus und den japanischen Militarismus verherrlichten. Heutzutage schwärmen Jobbik-Politiker von der türkischen AKP oder mitunter vom iranischen Regime. Beim französischen FN kommt dies schlecht an, wie bei vielen »abendländisch« orientierten Rechtsparteien in Westeuropa.
Marine Le Pen will auch von der rassistischen und geschichtsrevisionistischen British National Party (BNP) nichts wissen. Der Grund dafür ist nicht nur der Verbalradikalismus des BNP-Vorsitzenden Nick Griffin, sondern auch Le Pens Am­bitionen, mit einem attraktiveren Bündnispartner aus Großbritannien ins Geschäft zu kommen. Denn der französische FN umwirbt derzeit, ebenso wie Teile der Alternative für Deutschland (AfD), die britisch-nationalistische Partei UKIP von ­Nigel Farage. Ihr prognostizieren Umfrageinstitute hohe Wahlergebnisse, das Institut ComRes sagte ihr Anfang April sogar einen Anteil von 30 Prozent voraus. Die Partei profilierte sich im vergangenen Jahrzehnt vor allem mit EU-Kritik, hat ihr Repertoire aber in jüngerer Zeit um deutliche Agitation gegen Einwanderer erweitert. Bislang will die UKIP allerdings offiziell von Parteien wie dem Front National nichts wissen: Ihr offizieller Bündnispartner in Frankreich ist der bürgerliche Nati­onalist und »Spätgaullist« Nicolas Dupont-Aignan. Dass dessen Liste unter der Bezeichnung Debout la République! (ungefähr: »Hoch die Republik!«) ins Europaparlament einzieht, ist jedoch ausgesprochen unwahrscheinlich. Wenn die genaue Zusammensetzung des Parlaments in Straßburg nach der Wahl Ende Mai feststehen wird, könnten die Karten neu gemischt werden. Dann wird es auch interessant sein, an wessen Seite sich die möglichen AfD-Abgeordneten stellen werden.