Die tunesischen Jihadisten und ihre Verbindungen

Die Spannung steigt

Die Festnahme eines militanten Islamisten heizt in Tunesien den Konflikt um die »Ligen zum Schutz der Revolution« an.

»Im Jahr 2011 gab es eine Fehleinschätzung des Terrorismus«, sagte der tunesische Präsident Moncef Marzouki in einem Fernsehinterview am Sonntagabend. »Wir waren mental und militärisch nicht vorbereitet.« Eine späte Einsicht?
Hatte es in den Jahren 2011 und 2012 nur gelegentlich Zusammenstöße mit Jihadisten gegeben, mit offiziell sechs Toten auf Seiten der Sicherheitskräfte, kam es im vorigen Jahr, insbesondere nach der Ermordung des linken Oppositionellen Chokri Belaïd im Februar, zu einem rasanten Anstieg jihadistischer Attacken und Anschläge. 24 Tote werden für 2013 auf Seiten der Sicherheitskräfte aufgelistet. Die Serie hat sich im laufenden Jahr fortgesetzt.
Bereits Anfang Februar kam es zu einer stundenlangen Schießerei zwischen etwa 150 Nationalgardisten und Jihadisten, die sich in einem Haus in Raoued nahe Tunis verschanzt hatten. Nach Angaben des Innenministeriums wurden dabei sieben Jihadisten erschossen, unter ihnen Kamel Gadhgadhi, ein Anführer der im vorigen Jahr von der Regierung als »terroristisch« klassifizierten jihadistischen Gruppe Ansar al-Sharia. Gadhgadhi wird verdächtigt, der Mörder von Chokri Belaïd zu sein, und soll sich nach dem Mord an den Kämpfen auf dem Berg Chaambi beteiligt haben. Kaum eine Woche danach meldete ein Sprecher des Innenministeriums, vier »Terroristen« seien in Ariana nahe Tunis festgenommen worden, unter ihnen der Hauptverdächtige im Fall der Ermordung von Mohammed Brahmi, der nach dem gleichen Muster wie Chokri Belaïd im Juli 2013 erschossene linke Abgeordnete.
Aber die Aufklärung der Morde an Belaïd und Brahmi stockt. Unklar ist, wer die Auftraggeber der Morde waren. Die eher säkulare Opposition vermutet, dass eine von der islamistischen damaligen Regierungspartei al-Nahda installierte Parallelstruktur im Innenministerium dabei eine Rolle spielte. Nicht aufgeklärt ist auch, inwieweit die Mörder von Chokri Belaïd Verbindungen zur sogenannten Liga zum Schutz der Revolution aus Kram, einem Vorort von Tunis, hatten.
Im Land existieren rund 180 dieser Ligen, die die säkulare Opposition und der Gewerkschaftsverband UGTT als »Milizen al-Nahdas« bezeichnen und deren Auflösung sie seit langer Zeit fordern. Die Liga aus Kram galt als eine der militantesten.
Mitte voriger Woche wurde Imed Dhegij, der Vorsitzende der Vereinigung »Männer der Revolution« aus Kram, die aus der Liga von Kram entstanden sein soll, brachial festgenommen, unter anderem wegen Aufrufs zur Gewalt. In Kram kam es deswegen zu Auseinandersetzungen mit der Po­lizei. Fast 30 Abgeordnete aus der verfassunggebenden Versammlung – Mitglieder der islamistischen al-Nahda, der Präsidentenpartei »Kongress für die Republik« und einer Abspaltung derselben – protestierten mit Mitgliedern der Ligen am Freitag vor dem Innenministerium und forderten eine Untersuchung über die Gründe und Umstände der Festnahme Dhegijs. Diese Parteien hatten sich in der Vergangenheit gegen die Auflösung der Ligen ausgesprochen. Die Polizei trampelte auf dem Protest herum, die Journalistengewerkschaft beklagt polizeiliche Aggression gegen sechs Journalisten. Am Dienstag wurde ein Haftbefehl gegen Dhegij verhängt.
Ob Ermittlungen gegen Dhegij Licht in die nebulösen Verbindungen zwischen Jihadisten, Ligen und al-Nahda bingen, steht allerdings in den Sternen. Es steht viel auf dem Spiel. Nicht zuletzt für Präsident Marzouki, der Mitglieder der Ligen im Januar 2013 im Präsidentenpalast empfangen hatte.