Proteste gegen die Ökosteuer in Frankreich

Schweine statt Steuern

In der französischen Bretagne wird gegen die geplante Ökosteuer und für Agrarsubventionen protestiert. In der Bewegung mischen sich Rechte, Gewerkschaften und Linke.

Bewegungen, die besonders militant auftreten, sind nicht unbedingt inhaltlich radikal. Oft ist bekanntlich das Gegenteil der Fall. Ein besonders auffälliges Beispiel dafür ist die soziale Bewegung, die seit einigen Tagen die westfranzösische Re­gion Bretagne ergreift. Sie fand ihren Ausdruck unter anderem in einer Demonstration am Samstag mit 15 000 bis 30 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in der westbretonischen Bezirkshauptstadt Quimper. Dort wurde zum Auftakt des Protestzugs versucht, die Präfektur zu besetzen, was die Polizei unter Einsatz von Tränengas verhinderte. Und in der Nacht vom Montag zum Dienstag wurde die Unterpräfektur von Morlaix, eine nachgeordnete Bezirksverwaltung, von protestierenden Arbeitern, die um den Verlust ihrer Arbeitsplätze fürchten, für einige Stunden besetzt. Sie hatten jedoch die Unterstützung ihres Arbeitgebers: Der Generaldirektor des Unternehmens Tilly-Sabco, Daniel Sauvaget, sprach im Fernsehen im Namen seiner Beschäftigten, bevor die Besetzung auf seine Aufforderung hin wieder beendet wurde. Auch das Demontieren oder Niederbrennen von mehreren Mautstellen, an denen die von der Regierung geplante »Ökosteuer« (écotaxe) auf Waren transportierende LKW erhoben werden soll, steht mit den politisch eher diffusen Protesten in Zusammenhang.

Doch worum genau geht es den Protestierenden? Unmittelbare Gründe für die derzeitige Mobili­sierung in der Bretagne sind die ursprünglich für Januar geplante Einführung der Ökosteuer einerseits und die drohenden Entlassungen vor allem in der Lebensmittelindustrie andererseits. 8 000 Menschen könnten ihre Jobs verlieren. Es gibt jedoch noch eine andere, tieferliegende Ursache: die Krise des als »produktivistisch« bezeichneten Agrarmodells. Es ist auf einen möglichst inten­siven und gewinnbringenden Betrieb ausgelegt, jedoch in jeglicher Hinsicht kurzfristig konzipiert.
Die Bretagne war bislang berüchtigt für die Ni­tratverschmutzung ihrer Gewässer aufgrund von Überdüngung und überintensiver Viehzucht. Sie exportierte um jeden Preis in andere Regionen Frankreichs, die Europäische Union und andere Staaten. Schweinefleisch niedriger Qualität, dessen Produktion von der EU hochgradig subventioniert wurde, und Hühnerfleisch aus Massentierhaltung wurden massenhaft ausgeführt. Wichtige Absatzmärkte lagen vor allem im Nahen Osten und in Afrika, wo die örtliche Hühnerfleischerzeugung mit dem hohen, durch Subventionen gestützten Produktivitätsniveau nicht mithalten konnte. Zahlreiche afrikanische Bauern mussten deswegen aufgeben.
Seit Juli hat die EU jedoch ihre Subventionen für die Exportproduktion gesenkt. Die französischen Lohnabhängigen fürchten nun um ihr Auskommen. Sie fordern neue, dieses Mal staatliche Subventionen zur Kompensation der ausfallenden EU-Zahlungen. Vom Anspruch auf eine gesellschaftlich sinnvolle und längerfristig angelegte Produktion, wie sie auch die Gewerkschaften fordern, ist diese Herangehensweise weit entfernt.
Hinzu kommt nun die ursprünglich für Januar angesetzte Einführung der Ökosteuer. Diese soll nach dem Verursacherprinzip besonders umweltschädliche Aktivitäten besteuern, etwa den Transport von Waren mit LKW statt mit Zügen. Die Pläne für die Ökosteuer gehen auf die frühere konservative Regierung unter Nicolas Sarkozy zurück.

Einige in der Protestbewegung nutzen nun Symbole der Revolten der frühen Bourgeoisie gegen Steuern der Monarchie. Manche unzufriedenen Bretoninnen und Bretonen demonstrieren mit roten Zipfelmützen. Diese tauchten erstmals 1675 bei einem Protest gegen Steuern auf, später spielten sie als bonnet phrygien (»Jakobinermütze«) während der Revolution ab 1789 eine Rolle. Dahinter verbirgt sich aber eine politisch ziemlich fragwürdige Mischung. Den Protest bündeln nämlich beileibe nicht in erster Linie die Gewerkschaften, auch wenn diese teils mitziehen. Tonangebend sind viele kleine und mittlere Unternehmer. Diese gehen gleichermaßen gegen die Ökosteuer, die ihrer Meinung nach die Exporte aus der Bretagne verteuere und dadurch Fuhrunternehmer und die Agrarindustrie bestrafe, und gegen angeblich »zu hohe Arbeitskosten« und »zu viele bürokra­tische und arbeitsrechtliche Zwänge für die Unternehmen« auf die Straße und sprechen sich für die Anhebung von Subventionen zu ihren Gunsten aus.
Zu ihnen gesellen sich zahlreiche Konservative, die von der politischen Verantwortung ihrer eigenen früheren Regierung für Beschlüsse etwa zur Ökosteuer nun nichts mehr wissen wollen. Aber auch die organisierten Gruppen der Bewegung gegen die Homoehe vom Frühjahr und andere Rechte beteiligen sich. Nicht zuletzt mischen auch organisierte Rechtsextreme mit, die versuchen, den Protest für sich zu vereinnahmen. So waren bei der Demonstration in Quimper einige Dutzend Anhänger des außerparlamentarischen neofaschistischen »Bloc identitaire« dabei.

Verschiedene Linke und einige Gewerkschaften, etwa Seeleute und Mitarbeiter von Agrarunternehmen aus dem Allgemeinen Gewerkschaftsbund CGT, nahmen ebenfalls an der Demonstration teil, »um die Arbeiter nicht den Rechten in die Arme zu treiben«. Eine Teilnehmerin spricht jedoch gegenüber der Jungle World von der »schlimmsten Demonstration in meinem Leben«. Das linke und gewerkschaftliche Lager war zudem gespalten: Mehrere Gewerkschaften, darunter die Mehrheit der CGT, die linke Basisgewerkschaft SUD-Solidaires und die linke Agrargewerkschaft Confédération paysanne, organisierten parallel zur Demonstration vom Samstag in Quimper eine eigene Demonstration in Carhaix, am anderen Ende des Départements, die einen inhaltlichen Gegenpunkt setzen und auf größerer politischer Klarheit basieren sollte. Sie hatte nur rund ein Zehntel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Einige Linke und Gewerkschafter kritisierten jedoch diese Separation, da sie viele von Jobverlust bedrohte Lohnabhängige »den Rechten und ihrer Demagogie überließen«.
Auch der rechtsextreme Front National (FN) steht bereit, sich den Protestierenden als Alternative auf dem Wahlzettel anzubieten. Die Medien spielen dabei mit: Die sozialdemokratische Tageszeitung Libération etwa stellte vergangene Woche auf ihrer Portraitseite ein ausgewähltes Arbeiterehepaar vor, das an den Protesten teilnimmt – und nunmehr erwägt, »für den Front National zu stimmen«. Die vermeintliche »Denkzettelfunk­tion« des Votums für den FN ist dabei ausschlaggebend, auch wenn die Partei in Wirklichkeit keinerlei brauchbare Lösung für das Problem liefert. Ihr Altpräsident und »Ehrenvorsitzender« Jean-Marie Le Pen behauptete in den ersten Tagen des Protests, die Ursache des Problems zu kennen: Die Muslime seien schuld. Konsumierten diese doch bekanntlich kein Schweinefleisch, was die Ursache dafür sei, dass dessen Verzehr in Frankreich sträflich zurückgehe.
Die Regierung reagierte auf die Proteste, indem sie Anfang vergangener Woche die Ökosteuer »suspendierte«, also ihre Einführung aussetzte. Doch das wird nicht alle Protestierenden zufriedenstellen, da viele die definitive Abschaffung der Steuer fordern. Der Unternehmer Sauvaget erhielt das Versprechen, der Staat werde seine Forderungen nach finanziellen Zuwendungen prüfen. Und am Mittwoch traf der Präfekt in Quimper Vertreterinnen und Vertreter der Protestbewegung, um über einen »Zukunftsplan für die Bretagne« zu beraten.