Gewalt gegen Muslime in Myanmar

Exklusive Demokratie

In Myanmar gibt es Ansätze einer demokratischen Öffnung. Doch die zunehmende antimuslimische Gewalt gefährdet den Prozess.

Das südostasiatische Land Myanmar, auch bekannt als Birma, wurde jahrzehntelang vom Militär beherrscht. Nur wenig drang aus dem Land, gegen das weitreichende Sanktionen verhängt waren, nach außen. Jetzt durchbricht Myanmar in ungeheurem Tempo seine Isolation und vollzieht einen politischen Wandel, der überall spürbar ist. In den Fabriken finden Streiks statt, Gewerkschaften entstehen, die Menschen können sich endlich im eigenen Land frei bewegen und private Tageszeitungen entstehen allerorts. US-Präsident Barack Obama würdigte Myanmars Präsidenten Thein Sein für dessen Weg zu politischem Frieden. Dieser war greifbar, als 2012 zahlreiche Friedensverträge mit bewaffneten Gruppen ethnischer Minderheiten ausgehandelt werden konnten.

Doch ein zweiter Blick lohnt sich. Durch massive Wahlmanipulationen 2010 kam die Partei der ehemaligen militärischen Machthaber, die Union Solidarity and Development Party (USDP), an die Macht. Gleichzeitig sichert sich das Militär durch die Verfassung ein Viertel der Sitze im Parlament.

Die Regierung fördert vor allem die wirtschaftliche Liberalisierung. Das rohstoffreiche Land ist eine Goldgrube. Der politischen Öffnung gingen umfangreiche Privatisierungen voraus, die dem Ausverkauf des Landes nahekamen. Im Namen nationaler Entwicklung werden zudem neue Großprojekte im Energie- und Rohstoffsektor durch­geführt, die mit Landenteignung, Zwangsumsiedlung und drastischen Eingriffen in die Umwelt einhergehen. Die Kämpfe um Rohstoffe zwischen Regierungstruppen und der Unabhängigkeitsarmee der Bevölkerungsgruppe der Kachin fanden erst kürzlich ein vorläufiges Ende. Zwischen Dezember 2012 und Juni 2013 waren 100 000 Kachin auf der Flucht. Und auch der zivile Präsident Thein Sein ist ein, wenn auch moderater, ehemaliger General und führte lange das Kommando in einem Gebiet im Norden des Landes, das bekannt für Drogen- und Waffenschmuggel ist. Die alten Machthaber sind längst nicht abgetreten, die Strukturen in Verwaltung, Bildungswesen, Militär und Geheimdienst haben sich nicht verändert.

Der rapide Wandel von einer Autokratie hin zu einem semidemokratischen Regierungssystem lässt zudem alte Konflikte aufflammen. Die Euphorie über ein sich öffnendes Myanmar verhallt. Interreligiös motivierte Gewalt begann vergangenes Jahr in dem an Bangladesh grenzenden Rakhaing-Staat und richtete sich zuerst gegen die Rohingya, eine ethnische Minderheit muslimischen Glaubens, die seit Jahrhunderten in der Region lebt. Zwischen Angehörigen der buddhistischen Rakhaing und der Rohingya bestehen bereits sehr lange Spannungen. Von der Regierung nicht als Staatsbürger Myanmars anerkannt, sind die Rohingya Flüchtlinge im eigenen Land. Etwa eine viertel Million sind bereits über die Grenze nach Bangladesh geflohen. Aber auch dort sind sie nicht willkommen und leben in Flüchtlingslagern. Die Rohingya sind die größte Bevölkerungsgruppe muslimischen Glaubens in Myanmar, Muslime machen etwa fünf Prozent der 60 Mil­lionen Einwohner des Landes aus, die große Mehrheit sind Buddhisten. Vorsichtige Versuche der USDP, vor der Wahl 2010 den Aufenthalt der Rohingya zu legalisieren, provozierten starken Widerstand auf buddhistischer Seite. Ein ultranationalistisches Manifest wurde 2012 in einer Großversammlung ethnischer Rakhaing verabschiedet, es fordert die Gründung von Bürgerwehren, die Umsiedlung von Dörfern der Rohingya und die Rückgabe von Land, das an Rohingya verloren ging. Genau so ist es auch gekommen. Antimuslimischen Gewaltakten 2012 folgte eine staatlich angeordnete Vertreibung von über 100 000 Rohingya, in Sittwe, der Provinzhauptstadt des Rakhaing-Staat, wurden 60 000 in Lager zwangsumgesiedelt. Präsident Thein Sein zufolge sei dies die einzige Lösung des »Rohingya-Problems«. Ihre Stadtviertel wurden komplett niedergebrannt.

Nur wenige Monate nach dem ersten Gewaltausbruch eskalierte die Situation weiter. Wie ein Lauffeuer breiteten sich antimuslimische Tendenzen im Land und im Internet aus. In den Städten Nay Pyi Daw, Meiktila, Bago und Yangon kam es zu brutalen Übergriffen mit über 200 Toten. Diese Zahl zeugt von einem tiefen Riss in der Gesellschaft. Nachbarn werden zu Feinden, muslimische Geschäfte werden boykottiert, Hausbesitzer setzen muslimische Mieter auf die Straße, Moscheen brennen. Wer es sich leisten kann, verlässt das Land, ohne zu wissen, ob eine Rückkehr möglich sein wird. Noch nie war es für Muslime in Myanmar so einfach wie jetzt, offizielle Dokumente zu bekommen, um das Land zu verlassen. Meist als Ausländer angesehen, war es für sie oft schwer nachzuweisen, dass ihre Familie seit Generationen in Myanmar lebte. Aber nur wenige können den offiziellen Weg gehen. Viele fliehen per Boot, sterben dabei oder fallen Schlepperbanden in die Hände. Die große Zahl der Bootsflüchtlinge wird nun zum Problem für die Nachbarstaaten Malaysia, Indonesien und Thailand.

Wer steckt hinter der Gewalt? Ermutigt vom Ausbleiben staatlicher Sanktionen gegen antimuslimische Gewalttaten formieren sich buddhistisch-nationalistische Kräfte unter dem Banner 969, einer Zahl, die die Tugenden Buddhas symbolisiert, und führen einen Kampf gegen die Muslime im Land. Angeführt wird diese neue Bewegung von buddhistischen Mönchen, ihre Ansichten finden breite Unterstützung. Das zeigen rassistische Äußerungen von Politikern, selbst aus den Reihen der Nationalen Liga für Demokratie, der Opposi­tionspartei von Aung San Suu Kyi. Ashin Wirathu, einer der Anführer von 969, fordert die Ausweisung aller Muslime und wird dafür gefeiert wie ein Rockstar. Zu seinen Predigten kommen Tausende. Geht er auf Reisen, erhält er Polizeischutz. Noch haben viele die Bilder von 2007 im Kopf, als in safranrot gekleidete Mönche auf den Straßen von Yangon friedlich ihren Protest gegen die Militärregierung zum Ausdruck brachten. Doch das Bild trübt sich.

Und die Reaktionen der Regierung? Vor kurzem hat sie ein Gesetz zur Geburtenkontrolle von Muslimen erlassen. Eine strenge Zwei-Kind-Politik soll vorerst in zwei zum Großteil von Muslimen bewohnten Gemeinden durchgesetzt werden. Anlass zu vorsichtigem Optimismus gibt dennoch die Rolle von Polizei und Justiz. Schauten Polizeikräfte 2012 im Rakhaing-Staat der Gewalt tatenlos zu, haben die brutalen Ausschreitungen im März dieses Jahres zu einem Umdenken geführt. Präsident Thein Sein fordert keine Toleranz für Gewalttäter, die Polizei greift jetzt stärker und schneller ein. Wurden zunächst hauptsächlich Muslime strafrechtlich verfolgt, werden in jüng­ster Zeit auch Buddhisten verurteilt.

Es bleibt abzuwarten, ob dieser Kurs zu einer Besserung der Situation für Muslime führt oder sogar wieder aufgegeben wird, um Stimmen für die Wahl 2015 zu sichern. Konnte die USDP 2010 noch mit einem Sieg rechnen, ist dies bei der nächsten Wahl nicht mehr sicher: Mit dem Ausverkauf des Landes, Raubbau und Kämpfen gegen Minderheiten lassen sich die Wählerinnen und Wähler kaum gewinnen. Die jahrzehntelange, bis heute andauernde Misswirtschaft ist eines der größten Hindernisse auf dem Weg zur Demokratie. Die schwache Wirtschaft, über Dekaden ausbleibende Investitionen, eine unterentwickelte Infrastruktur, ein korruptes Bildungswesen und eine hohe Arbeitslosenquote machen der Bevölkerung zu schaffen. Myanmar ist eines der ärmsten Länder Südostasiens. Die Gewalt erschüttert das noch fragile Fundament des jungen demokratischen Systems Myanmars und lässt eine Versöhnung in dem religiös und ethnisch diversen Land in weite Ferne rücken.