Gar nicht blumig

Der Name klingt nach romantischer Harmlosigkeit und würde wohl auch zur Heimatidylle passen, die der ungarischen Kulturpolitik offenbar vorschwebt. Erdős Virág, deren Name »Waldblume« bedeutet, gilt als eine der wichtigsten zeitgenössischen Dichterinnen Ungarns, ist aber alles andere als ein harmloses Blümchen. Die 1968 geborene Schriftstellerin wurde bereits mit wichtigen Literaturpreisen ausgezeichnet, etwa 2010 mit dem Attila-József-Preis. Ein an den Dichter Attila József erinnerndes Denkmal hinter dem Parlament in Budapest wollte die rechte Fidesz-Regierung bei den laufenden Umbauarbeiten des Kossuth-Platzes übrigens beseitigen lassen, da dieser als links galt. Zumindest als liberal dürfte auch Virág gelten. Obwohl sie sich in ihren Werken unter anderem mit der Diskriminierung von Minderheiten und dem Frausein aus einem antipatriarchalen Blickwinkel beschäftigt – was kaum im Sinne der konservativen Regierung sein dürfte –, ist ihr Schaffen so wichtig, dass sie wie 2002 und 2011 dieses Jahr erneut ein Stipendium der Nationalen Kulturförderungsstiftung (NKA) erhielt. Bei der Förderung soll es zwar allein um die freie künstlerische Entfaltung gehen, einige Entscheidungen der NKA, die immer mehr vom Fidesz kontrolliert wird, scheinen aber politischen Gesichtspunkten zu folgen.
Als Virág erfuhr, dass neben ihr unter anderem auch die Plattenfirma der Band Kárpátia mit 400 000 Forint (1 343 Euro) gefördert wird, wandte sie sich am 19. September in einem offenen Brief an die NKA, in dem sie die Vergabe kritisierte und ankündigte, dann lieber auf das Geld zu verzichten – angesichts der großen Abhängigkeit der ungarischen Kulturschaffenden von staatlicher Förderung sicher keine leichte Entscheidung. Kárpátia bezeichnete die Dichterin in ihrem Brief als »homophobe, rassistische, irredentistische und den Holocaust leugnende Band«. Deren Frontmann János Petrás wurde bereits im März mit dem Kossuth-Preis ausgezeichnet. Als damals Kritik laut wurde, gab das zuständige Ministerium zunächst bekannt, es habe sich um eine Verwechslung mit der Band Kárpátia Folkműhely gehandelt, dementierte dies aber kurz darauf. Kárpátia Folkműhely hatten sich längst aufgelöst, da sie nicht ständig mit der rassistischen Rockband in Verbindung gebracht werden wollten. Ob die NKA mit Erdős Virág eigentlich auch nur eine ungarische Waldblume fördern wollte, bleibt offen.