In Irland wurden Schwangerschaftsabbrüche in bestimmten Fällen erlaubt

Prüfung statt Selbstbestimmung

In Irland ist in Fällen, in denen eine Schwangerschaft das Leben der Frau gefährdet, ein Abbruch gesetzlich erlaubt worden. Ein großer Fortschritt ist dies jedoch nicht.

Ein »Meilenstein« und »Schlüsselmoment« sei erreicht, freute sich Irlands stellvertretender Ministerpräsident Eamon Gilmore. Diese Begeisterung ist schwer nachzuvollziehen. Irland hat endlich ein Gesetz erlassen, das sich mit der Regulation von Schwangerschaftsabbrüchen befasst. Die Gesetzesvorlage wurde Anfang Juli mit einer parlamentarischen Mehrheit von 127 zu 31 Stimmen verabschiedet und am 30. Juli von Präsident Michael Higgins unterzeichnet, ohne sie noch einmal dem Obersten Gerichtshof vorzulegen. Damit bleibt die Möglichkeit, das Gesetz als verfassungswidrig anzufechten. Doch zum ersten Mal seit 1983 gibt es überhaupt eine Änderung des Gesetzes. Damals wurde der achte Zusatz zur Verfassung erlassen: Artikel 40.3.3. besagt, dass das ungeborene Kind ein konstitutionelles Recht auf Leben hat. Zwar war ein Schwangerschaftsabbruch bereits 1983 illegal, doch wurde der Zusatz zur Verfassung eingeführt, um zu verhindern, dass Abtreibung in der Zukunft jemals legalisiert werden könne.

Seitdem wird über das Verhältnis der Rechte ungeborener Kinder gegenüber denen schwangerer Frauen vehement diskutiert. Bedeutend war der »Fall X« 1992, als die damals 14jährige »X« gerichtlich daran gehindert wurde, nach England zu reisen, um einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. X war in Folge einer Vergewaltigung schwanger geworden und galt als suizidgefährdet. Auf den viel diskutierten Fall X folgten weitere Rechtsstreitigkeiten mit dem irischen Staat, eine Abtreibung wurde niemals gewährt. Schließlich starb im Oktober 2012 Savita Halappanavar in einem Krankenhaus in Galway an den Folgen einer Infektion. Halappanavar hatte dort selbst um einen Abbruch gebeten, da ihre Wunschschwangerschaft ihre Gesundheit gefährdete. Sie lag drei Tage lang im Sterben.
Halappanavars Eltern, Mahadevi und Andanappa Yalagi, kritisieren das neue irische Gesetz, wie auch Amnesty International und der Europäische Gerichtshof. Die Yalagis weisen darauf hin, dass die Gesundheit der Frau in dem Gesetz keine Rolle spiele, denn es muss eine schwere Gefährdung ihres Lebens abgewartet werden. Das hätte ihre Tochter nicht gerettet. Amnesty International kritisiert die sehr hohen Freiheitsstrafen, die Personen drohen, die eine Abbruch durchführen. Ihr geschäftsführender Direktor in Irland, Colm O’Gorman, betont, dass Abtreibung »in Fällen von Vergewaltigung und Inzest, einem Gesundheitsrisiko für die Frau oder fatalen Entwicklungsproblemen des Fötus« ermöglicht werden müsse, um das Gesetz nach internationalen Menschenrechtsstandards überhaupt erst akzeptabel zu machen. Der Europäische Gerichtshof zeigt sich besorgt darüber, dass den Frauen der Zugang zu medizinischer Versorgung nicht schnell genug ermöglicht wird, da zuerst diverse Ausschüsse darüber entscheiden müssen, ob es sich um eine Gefährdung handelt. Dies kann Wochen dauern. Dabei war genau dieses Problem der Grund dafür, dass der Europäische Gerichtshof Druck auf Irland ausgeübt hatte, ein Gesetz zu erlassen.
Unzufrieden ist auch Diarmuid Martin, der Erzbischof von Dublin. Denn Premierminister Enda Kenny weigerte sich, dessen Forderung nachzugeben und den Abgeordneten der christlich-konservativen Regierungspartei Fine Gael freie Wahl zu lassen. Vielmehr forderte Kenny von ihnen, geschlossen für das Gesetz zu stimmen. Trotzdem erklärte Senator Tom Sheahan aus Kerry, er werde eher seine Partei verlassen als für dieses Gesetz zu stimmen, auch weitere Abgeordnete hatten schon vor der Abstimmung betont, sie würden auf jeden Fall gegen das Gesetz stimmen. Andere Abgeordnete wurden massiv unter Druck gesetzt, das Gesetz abzulehnen, berichtete der unabhängige Abgeordnete John Halligan. Einer Abgeordneten sei gedroht worden, ihre Kehle durchzuschneiden, anderen damit, ihr Haus abzubrennen. Abgeordnete seien nachts angerufen und öffentlich angespuckt worden. Halligan erwähnte auch den Druck durch die katholische Kirche auf die Abgeordneten der Fine Gael und bezeichnete die Kirche als »frauenfeindlich« und »undemokratisch«. Der stellvertretende Präsident Gilmore beschränkte sich darauf, zu erklären, dass jede Kirche frei sei, ihre Meinung zu äußern. Kenny äußerte die Hoffnung, die Debatte jetzt »rational« weiterführen zu können.
Neben Drohungen gab es subtilere Versuche, das Gesetz durch verschiedene Zusätze auszuhebeln. Lucinda Creighton, Staatsministerin für europäische Angelegenheiten, forderte einen Zusatz, in dem geregelt wird, dass die Rechte des Ungeborenen von einem eigenen Repräsentanten vertreten werden. Eine Frau würde dann gewissermaßen einen Rechtsstreit mit der legalen Vertretung ihres eigenen ungeborenen Kindes führen. Nachdem dieser Plan verworfen wurde, stimmte Creighton gegen das Gesetz und trat von ihrem Posten zurück.
Und wie sieht der Alltag aus? »Youth Defense«, eine durch US-Spenden finanzierte Pro-Life-Organisation, blüht und gedeiht, terrorisiert die Bevölkerung mit durch die Tür geschobenen Flugblättern und riesigen Werbetafeln und parkt ihren LKW mit der Aufschrift »Das Abtreibungsgesetz wird Frauen nicht schützen. Es wird nur Babies töten« vor dem Rape Crisis Center in Dublin. Die betroffenen Frauen greifen meist zu Pillen aus dem Internet, die inzwischen in Irland offensiv beworben werden. Da der Abtreibungstrip nach England einige freie Tage und mindestens 1 000 Euro kostet, ist die Zahl der Frauen, die Abbrüche selbst durchführen, viel höher. Wenn sie an Produkte geraten, die tatsächlich die gängigen Wirkstoffe Misoprostol und Mifepristone enthalten, ist dieser Vorgang relativ sicher; wenn nicht, können sie in Lebensgefahr geraten und müssen überdies ihre medizinischen Versorger täuschen, um nicht sofort eine Strafanzeige zu bekommen. Ein Meilenstein ist das neue Gesetz nicht.