Das Medium

Pirat trifft Mütterchen

Wer die ganze Jämmerlichkeit von Social-Media-Plattformen in voller Pracht bewundern möchte, sollte unbedingt noch vor der Bundestagswahl am 22. September einen Account bei Twitter anlegen und sich dort mit – ruhig willkürlich ausgewählten – Anhängern kleinerer Parteien befreunden. Bereits kurz nach dem Aufwachen kann man dann am Morgen alles über das lesen, was sie Wahlkampf nennen. Unermüdlich erzählen sie, wo sie überall Plakate angebracht haben, wobei sie in aller Regel unterwegs ein altes Mütterchen trafen, das ihnen erklärte, wie wundervoll es sei, dass es ihre Partei gibt, denn als anständiger Bürger habe man ja schon lange keine Wahl mehr gehabt, aber nun, nun könne man endlich wieder voller Vertrauen in die Zukunft des Landes in die Wahlkabine gehen, denn jetzt werde endlich Schluss gemacht mit dem Unfug, den die da oben treiben. Manchmal ist es auch ein altes, äh, Väterchen, das den Plakateklebern begegnet ist und ganz furchtbar begeistert war. Wie auch immer, nach nur wenigen Tagen ist man rundum im Bilde: Die deutsche Seniorenschaft steht treu und fest zur jeweiligen Kleinpartei, und in Dingsdorf an der Hauptstraße hängt nun alles mit Plakaten voll. Wenn die Aktivisten der orangefarbenen Partei ­(natürlich reden wir hier hauptsächlich von den Piraten) nach aufbauenden Gesprächen mit älteren Menschen noch Zeit haben, kämpfen sie mit etwas Glück auch noch live auf »Twitter Wahl«. Das geht so: Irgendwer von einer an­deren Partei sagt was, und schwupps ist die Schwarmintelligenz beleidigt und empört und schreibt Twitter mit Statements darüber voll, warum diese andere Partei so offensichtlich unrecht hat. Das ist nicht schön, natürlich, aber bald ist das Wahlelend ja auch schon wieder vorbei.