Nüchtern kalkuliert

Ein großer Konzern stößt einige seiner Produkte ab. Darunter auch solche, die jahrzehntelang zum Portfolio gehörten. Dessen Manager brechen also mit einer Tradition. Offensichtlich weil sie es für unwahrscheinlich halten, dass sich mit Altehrwürdigem heute noch Geld verdienen lässt. Nüchtern kalkuliert geht ihrer Meinung nach die Kosten-Nutzen-Rechnung nicht mehr auf. Deshalb der Verkauf. Man will sich lieber auf neue Geschäftsfelder konzentrieren. Dort investieren, wo es lukrativ erscheint. So wie das die Regeln der Marktwirtschaft vorschreiben. Eine ganz normale Transaktion in Zeiten des Kapitalismus, oder?
Sollte man meinen. Doch als vor einigen Tagen bekannt wurde, dass sich der Medienkonzern Springer von einstigen Kernmarken wie Hamburger Abendblatt, Berliner Morgenpost, Hörzu oder Bild der Frau trennen will, gab es einen Aufschrei in der Branche. Vom Ausverkauf des Journalismus war da die Rede. Vom Ende der klassischen Recherche. Vom Verrat am Anspruch, investigativ zu sein und damit aufklärerisch im Sinne der Öffentlichkeit zu wirken. Überhaupt sei nach dem Milliarden-Deal zwischen Springer und der Funke-Gruppe der Untergang des Abendlands kaum noch abzuwenden.
Wer hier Hysterie am Werke sieht, liegt wohl kaum ganz daneben. Okay, aus Sicht der Arbeitnehmer ist dieses sehr diskret vorbereitete Geschäft alles andere als eine gute Nachricht. Ein Verkauf an einen neuen Eigentümer bringt in der Regel den Abbau von Stellen mit sich. Nicht zuletzt, weil Redaktionen um der vielbeschworenen Synergieeffekte willen zusammengelegt werden. Gesundschrumpfen wird das gerne genannt. Allerdings nur, um eine Shareholder-Value-Mentalität, die hintersolchem Handeln steht, notdürftig zu kaschieren.
Allerdings ist nicht von der Hand zu weisen, dass Springers Trennung von einem Großteil des Gedruckten in sich logisch, konsequent, ja zwingend ist. Und der spektakuläre Schritt wird aller Voraussicht nach einiges in der Branche in Bewegung setzen. Denn selten war so offenkundig, dass Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner für sein Unternehmen nur eine Zukunft sieht: die in der digitalen Welt. Er setzt alles auf die Online-Karte.
Das mag man als analog veranlagter Mensch zwar mit ganzem Herzen bedauern. Der Verkauf zeigt aber: In der Medienwelt hat längst eine neue Epoche begonnen. Wer die Zeichen der Zeit nicht rechtzeitig erkennt und dementsprechend handelt, wird das Nachsehen haben. Das wissen auch die anderen Verlage. Noch zögern sie, die scheinbar unbekannte Welt zu betreten. Aber Springers Entscheidung wird wegweisend sein. Online ist nicht nur die Zukunft, sondern längst Gegenwart. Bleibt der engagierte Journalismus nun auf der digitalen Strecke? Kein Grund zur Panik: Qualität wird sich auch online bezahlt machen.