Der britische Geheimdienst. Teil 2 einer Serie über Geheimdienste

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Britische Geheimdienste haben weitreichende Befugnisse und vertuschen auch mal Straftaten. Teil 2 einer Serie über Geheimdienste.

Wohl nirgends war die parlamentarische Debatte um die Enthüllungen von Edward Snowden so schnell beendet wie in Großbritannien. Eine Untersuchung durch den Parlamentsausschuss für Geheimdienste ergab, dass alles mit rechten ­Dingen zugegangen sei. Der Ausschussvorsitzende Sir Malcolm Rifkind erklärte, die britischen Geheimdienste hätten legal gehandelt. Man wolle allerdings prüfen, ob es möglicherweise Bedarf an einigen gesetzlichen Neuregelungen gebe. Außenminister William Hague fügte lakonisch hinzu, man habe nichts zu befürchten, wenn man sich nichts zu Schulden kommen lassen hat.
Zuvor hatte Snowden mit Dokumenten belegt, dass die britische Regierung ganz vorne mit dabei ist bei der Überwachung der weltweiten netzbasierten Kommunikation. Schon seit dem Zweiten Weltkrieg arbeiten britische und US-amerikanische Geheimdienste eng zusammen, was noch in jedem James-Bond-Film zum Thema wurde. Dabei sind die Briten, wie bei Bond, scheinbar auch im echten Leben den US-Kollegen einen Schritt voraus.

Noch bevor die NSA mit dem Programm Prism in die Daten von Webprovidern Einblick erhielt, hatte das britische Government Communications Headquarter (GCHQ) bereits das sogenannte Tempora Project gestartet. Dabei klinkt sich die britische Regierung direkt in die Glasfaserkabel ein, die von den USA an die britische Westküste reichen. Die privaten Firmen, die diese Kabel verlegten, wurden zur Zusammenarbeit gezwungen und gleichzeitig verpflichtet, alles geheim zu halten. Die angezapfte Datenmenge ist enorm, durch den Nordatlantik geht ein signifikanter Teil des globalen Datenverkehrs im Internet. Tempora ermöglicht ein automatisches Vorfiltern der Daten. Erst werden unwichtige Daten, wie Peer-to-peer-Downloads, die bis zu 30 Prozent des Datenverkehrs ausmachen, ausgeschlossen. Dann werden die verbleibenden Daten nach Schlagwörtern, bekannten E-Mail- und IP-Adressen sowie bestimmten Namen und Telefonnummern durchsucht. Während die NSA etwa 32 000 solcher Suchkriterien hat, sind es bei den Briten sogar 40 000. Nach dem Sieben der Daten bleiben ­immer noch riesige Mengen übrig, Tempora ermöglicht, dass diese auf Zeit gespeichert und im Anschluss von Menschen weiter durchsucht ­werden. Im Falle von Inhalten wie dem Wortlaut von E-Mails oder Chats ist dies derzeit drei Tage lang möglich, im Falle von sogenannten Meta­daten, also Verbindungsinformationen ohne Inhalt, sogar einen Monat. Das GCHQ arbeitet ­daran, die Speichermöglichkeiten zu erweitern.
Die von Snowden an die Tageszeitung Guardian übergebenen Dokumente über das Training von neuen Rekruten belegen, wie die britischen Geheimdienstmitarbeiter die Reichweite ihrer Überwachungsmöglichkeiten feierten: »Ihr seid in einer beneidenswerten Position. Habt Spaß und macht das Beste daraus.« Snowden hält die Arbeit des britischen Geheimdiensts für weiter reichend als die seines ehemaligen Auftraggebers. »Das GCHQ ist schlimmer als die USA«, sagte er dem Guardian. Die Rechtsberater des GCHQ bestätigen dies. »Verglichen mit den USA ist unsere Rechtsaufsicht nicht so scharf«, teilten sie den US-amerikanischen Kollegen mit.
So war es denn auch wenig erstaunlich, dass der Geheimdienstausschuss des Parlaments die Legalität der Überwachung bestätigte. Tempora wird durch das Gesetz RIPA aus dem Jahr 2000 geregelt. Dort wird den Sicherheitsbehörden in einer Klausel erlaubt, den Internetverkehr zu überwachen, solange mindestes eine Seite der Kommunikation von außerhalb Großbritanniens kommt. Nur wenn britische Staatsbürger miteinander kommunizieren, muss eine Überwachung auf einem konkreten Verdacht beruhen und entweder vom Premierminister oder vom Außenminister abgesegnet werden. Doch im inter­nationalen Datenverkehr lässt sich eine Unterscheidung zwischen national und international gar nicht mehr treffen. Internetverkehr, selbst zwischen zwei Computern im gleichen Haus, geht oft über internationale Verbindungen. Im Übrigen war bei der Diskussion von RIPA im Parlament vor 13 Jahren von den Möglichkeiten der Überwachung, über die GCHQ heute verfügt, kaum etwas bekannt. Im Ergebnis gibt es keine Grenzen für die Überwachung.

Die Geheimdienste ließen nach den Enthüllungen verlauten, man habe interne Kontrollen und Maßnahmen gegen Missbrauch. Auch diese sind allerdings geheim. Man solle – so hieß es aus Geheimdienstkreisen – doch bitte etwas Vertrauen haben, alles sei in Ordnung.
Doch das ist es schon lange nicht mehr in Großbritannien. Mitglieder der linken und autonomen Szene haben in den vergangenen Jahren erfahren, wie gründlich der britische Staat sie ausforschte und dabei Recht und Gesetz routinemäßig außer Acht ließ. In akribischer Kleinarbeit haben Aktivisten und Journalisten herausgefunden, dass die Polizei seit Jahrzehnten ein umfangreiches Spitzelnetzwerk betreibt, die sogenannte Special Demonstration Squad (SDS). Über die SDS war zuvor in der Öffentlichkeit nichts bekannt. Internationale Schlagzeilen machte der Fall des von Aktivisten enttarnten Mark Kennedy. Er war sieben Jahre lang in Großbritannien und international in Organisationen der radikalen Linken tätig, hatte umfangreiche Beziehungen in ganz Europa und auch eine Reihe von Affären mit in der Regel sehr jungen Frauen aus der Szene. Im Privatleben war Kennedy ein verheirateter ­Familienvater mit zwei Kindern. Neben Kennedy konnten inzwischen ein Dutzend weitere Spitzel enttarnt werden. Einige hatten in ihrer falschen Identität Kinder gezeugt, andere als agents ­provocateurs Strafftaten begangen und vor Gericht in ihrer falschen Identität ausgesagt.
Derzeit wird vor allem ein besonders übles Beispiel dieser Art von Polizeiarbeit debattiert. 1993 wurde Stephen Lawrence in London bei einer rassistischen Attacke ermordet. Die folgenden ­polizeilichen Ermittlungen waren voller Pannen, Hinweise von Augenzeugen und Indizien gingen verloren. Obwohl es fünf Hauptverdächtige gab, wurde keiner der Männer verurteilt, weil die ­Beweise nicht ausreichten. Für die Familie von Lawrence, Antirassisten in London, aber auch viele Zeugen und Anwohner und zuletzt sogar die konservative Tageszeitung Daily Mail war bald klar, dass die zuständigen Polizisten die Ermittlungen verschleppt hatten. Eine Kampagne forderte Gerechtigkeit für Stephen Lawrence. Viele warfen der Polizei institutionellen Rassismus vor. 1999 kam eine von der Regierung unter Tony Blair beauftragte Untersuchungskommission zum ­selben Schluss und empfahl neben einer Wiederaufnahme der Ermittlungen gegen die fünf ­Verdächtigen eine grundlegende Reform der Polizei, um institutionellen Rassismus zu bekämpfen. In den folgenden Jahren kam es im Zuge des neuen Prozesses zu immer neuen Enthüllungen und Anschuldigungen. Noch 2012 wurden zwei Polizisten verhaftet, weil sie vom Vater eines der Verdächtigen Geld angenommen haben sollen.
Vor einem Monat nun erklärte einer der enttarnten ehemaligen Polizeispitzel des SDS, Peter Francis, dass er in den neunziger Jahren als ­Mitglied antirassistischer Gruppen den Auftrag bekommen habe, »Schmutz« über Angehörige von Lawrence und Aktivisten der Solidaritätskampagne zu besorgen. Seine Vorgesetzten wollten damit die Kritik an der Polizei, die immer lauter wurde, delegitimieren. Es ging bei diesem Spitzeleinsatz zuletzt nur noch darum, mit fragwürdigen und halblegalen Mitteln Rassismus und Korruption bei der Polizei zu vertuschen.