Über Monarchie und Islamismus in Jordanien

Brüderliche Hilfe

In Jordanien blieb die demokratische Protestbewegung bislang schwach. Doch die Macht der Monarchie wird von anderen Gruppen bedroht.

In der arabischen Welt stürzten bereits mehrere Autokraten und Diktatoren, deren Herrschaft noch vor wenigen Jahren als stabil galt. Der haschemitischen Monarchie hingegen ist immer wieder der Untergang prophezeit worden, seit die Familie unter britischem Mandat 1921 die Regierung übernahm. Derzeit aber ist der jordanische König Abdullah II. einer der wenigen, dessen Herrschaft noch nicht bedroht erscheint. Dabei sieht es in Jordanien nicht gerade rosig aus. Das Regime ist autoritär, wirtschaftlich liegt das Königreich am Boden und die Unzufriedenheit der Bevölkerung entlädt sich immer wieder in Protesten. Trotzdem sieht es im Land am Jordan nicht nach einem »Frühling« aus. Warum eigentlich?
Die politische Lage wurde immer erheblich von den Entwicklungen in der Region beeinflusst, in den vergangenen Jahrzehnten vom israelisch-palästinensischen Konflikt und zurzeit vom syrischen Bürgerkrieg. US-Außenminister John Kerry war in den vergangenen zwei Monaten häufiger in Amman zu Gast als irgendwo anders auf der Welt. Während der Konferenz der »Freunde Syriens« im Mai versprach er an der Seite des jordanischen Außenminister Nasser Judeh, dass »die USA alles tun würden, um Jordanien in dieser schwierigen Situation zu unterstützen«. Dabei ging es nicht nur um Truppen, die im syrischen Grenzgebiet stationiert werden, und Hilfsgüter für syrische Flüchtlinge, sondern auch um zusätzliche Finanzhilfe.
2012 lagen die Staatsschulden Jordaniens bei 7,6 Millionen US-Dollar; das Bruttoinlandsprodukt stieg trotz der Finanzhilfe aus den USA, den Golfstaaten und der EU nur um gerade einmal 0,5 Prozent. Ohne seine Bündnispartner drohte dem Königreich wohl der Staatsbankrott. Doch zumindest solange der Konflikt in Syrien andauert, ist es nicht wahrscheinlich, dass König Abdullah die internationale Unterstützung verliert.
Weder der Westen noch Regierungen in der Region haben ein Interesse an Chaos und zivilen Unruhen im Königreich. Zu bedeutsam ist dessen strategische Rolle. Daher sind auch politische Veränderungen mit potentiell unkontrollierbaren Folgen nicht erwünscht. Der Konflikt in Syrien hat bereits den Libanon erfasst, daher wollen die westlichen Regierungen sich wenigstens einen stabilen arabischen Alliierten in der Region bewahren. Überdies ist die jordanische Monarchie für den Geldgeber Saudi-Arabien eine Bastion gegen die fortschreitende Demokratisierung der arabischen Welt.

Doch großzügige ausländische Finanzhilfe ist kein Garant für innenpolitische Stabilität. Hier hängt die Zukunft der Monarchie davon ab, ob es dem König gelingt, mit den widersprüchlichen Forderungen der drei wichtigsten politischen Lager so umzugehen, dass die prekäre Machtbalance erhalten bleibt. Muslimbrüder, jordanische Palästinenser und die Stämme der Eastbank konkurrieren um Privilegien und Einfluss auf die Staatsmacht.
Die Muslimbrüder sind in den vergangenen Jahren zur wohl mächtigsten Fraktion in Jordanien geworden. Es scheint, als habe das Land die Revolution einfach ausgelassen, um direkt in einen Zustand islamistischer Dominanz überzugehen. Frauenrechtlerinnen werden an ihrer Arbeit gehindert, Zeitungsartikel über Alkohol während des Ramadan nicht mehr veröffentlicht und christliche Professorinnen dazu gedrängt, ihr Kreuz abzulegen. Denn die Muslimbrüder haben sich in einzigartiger Weise mit dem Regime arrangiert – und das Regime sich mit ihnen. Dieses informelle Bündnis hat bisher jeden Prozess der Veränderung im Land zum Erliegen gebracht. Das letzte Mal haben die Muslimbrüder im November 2012 zu großen Demonstrationen aufgerufen, die sich daran entzündet hatten, dass die Regierung die Subventionen für Treibstoffe reduzieren wollte. Mehr als 100 000 Menschen folgten ihrem Ruf. Das genügte, um dem König zu zeigen, was passieren kann, wenn er es sich mit den Islamisten verscherzt.
Hammam Said, Anführer der jordanischen Sektion der Bruderschaft, zeigt sich deshalb auch nach dem Sturz Mursis selbstbewusst: »Unsere Erfahrung ist eine andere als die der ägyptischen Muslimbruderschaft. Wir haben schon lange vor Mursi einen Platz in der politischen Sphäre inne gehabt.« Die Verbindung zwischen den Muslimbrüdern und dem Königshaus hat eine lange Tradition. Während viele Parteien über lange Zeit verboten waren, hatte die Bruderschaft seit ihrer Gründung in Jordanien im Jahr 1942 freie Hand.

Ohne die Beteiligung der mit Abstand am besten organisierten Oppositionsgruppe kann keine Bewegung den König herausfordern, daher ist die Bruderschaft dessen beste Versicherung gegen Aufstände. Es gibt jedoch Spannungen, so fordern die Muslimbrüder eine Reform des auf das tribale Klientelsystem des Königs zugeschnittenen Wahlrechts, um ihrer Partei Islamische Aktionsfront mehr Einfluss zu verschaffen. Auch Proteste in den vergangenen Monaten zeigen, wie fragil das Bündnis zwischen Islamisten und Könighaus ist. Immer wieder kommt es in den Städten der nördlichen Provinzen zu Demonstrationen der Islamischen Jugendbewegung, die mit ihrer Forderung, den Geheimdienst abzuschaffen, den König erheblich unter Druck setzt.
Die zweite entscheidende Gruppe ist die der jordanischen Palästinenser. Mit gut 70 Prozent machen sie den größten Anteil an der Bevölkerung aus, sind aber nach wie vor politisch unterrepräsentiert. Aus Angst davor, dass Jordanien als Ersatz für einen palästinensischen Staat dienen könnte, erschwert es das haschemitische Königshaus palästinensischen Jordanierinnen und Jordaniern, die Staatsbürgerschaft und damit Partizipationsrechte zu erlangen. Noch gibt es innerhalb dieser Gruppe keine einheitliche Haltung, einige folgen der Muslimbruderschaft, andere der säkularen Oppositionsbewegung um den palästinensischen Autor und Aktivisten Mudar Zahran, der als politischer Flüchtling in Großbritannien lebt. Wer es schafft, die jordanischen Palästinenserinnen und Palästinenser auf seine Seite zu ziehen, bündelt damit eine ungeheure politische Macht, die in der Lage wäre, die Muslimbruderschaft herauszufordern. Doch den säkularen Aktivistinnen und Aktivisten fehlt es an Geld und auch an Unterstützung innerhalb der armen Bevölkerung.

Spürbaren Einfluss auf die Politik nehmen zudem die Stämme der Eastbank aus dem Süden des Landes. Die Stammesfürsten waren in der Vergangenheit immer loyale Unterstützer des Regimes, doch bereits die Andeutung von Reformen hat genügt, um sie gegen den König aufzubringen. Vor allem durch eine stärkere Beteiligung jordanischer Palästinenserinnen und Palästinenser sehen sie ihre Machtposition gefährdet. Im Verlauf des Jahres kam es immer wieder zu schweren Unruhen in den Städten Karak und Ma’an, etwa vier Autostunden von der Hauptstadt Amman entfernt. König Abdullah hat diese Provinzen seitdem nicht mehr besucht. Auf der Straße wird gemunkelt, dass »der König an dem Tag fällt, an dem er sich nach Ma’an traut«.
Es ist für den König unmöglich, die Forderungen all dieser Gruppen zu erfüllen. Begünstigt er eine, fühlt sich zwangsläufig eine andere benachteiligt, versucht er hingegen, das Klientelsystem aufzulösen, bringt er alle gegen sich auf und gefährdet seine eigene Machtposition. Trotz der Finanzhilfe ist die ökonomische Lage prekär. In den oppositionellen Kreisen um Mudar Zahran kursieren schon Gerüchte, dass die Regierung am Ende des Sommers nicht mehr in der Lage sein werde, die Gehälter der Angestellten im öffentlichen Dienst zu bezahlen. Es werden neue Proteste prophezeit, denn auch die Stämme machen rund um die Kommunalwahlen im August mobil. Doch angesichts der Schwäche der säkularen Opposition und der Stärke der Islamisten und der allein an einer Stärkung ihrer Macht interessierten sons­tigen Gruppen ist eine Demokratisierung sehr unwahrscheinlich.