Der Dokumentarfilm »Can’t Be Silent« zeigt die Tournee einer Flüchtlingsband

»Bahnhöfe sind immer ein Problem«

In ihrem Dokumentarfilm »Can’t Be Silent« folgt die Regisseurin Julia Oelkers einer Band durch die Republik, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Flüchtlingen Gehör zu verschaffen.

Der Zeitpunkt für die Premiere von »Can’t Be Silent« ist durchaus passend gewählt. Denn das Thema des Films, Asylpolitik, ist momentan wieder einmal in ­aller Munde. Obwohl, eigentlich geht es gar nicht wirklich um Asylpolitik. Es geht um den Umgang mit ihr, um Menschen, die unter der Asylpolitik zu leiden haben und um ein musikalisches Projekt. Die beiden Bands Strom & Wasser und The Refugees haben sich der Aufgabe verschrieben, das Leid der Geflüchteten sichtbar zu machen und ihnen eine Stimme zu verleihen. »Can’t Be Silent« begleitet die Bands im Alltag, im Studio und auf Tour durch die Republik.
Strom & Wasser ist die Band um den Bassisten Heinz Ratz, der auf seiner »Tour der 1 000 Brücken« 2011 mit dem Fahrrad 80 Asylbewerberunterkünfte überall in Deutschland besucht und dort musiziert hat. Irgendwo auf dieser Reise sei ihm die Idee gekommen, mit Musikern, die in diesen Unterkünften leben mussten, ein Musikprojekt zu gründen und »die ganze vergessene Musik aus diesen Lagern zu befreien und an die Öffentlichkeit zu bringen«, wie er es selbst nennt. Seine Band ist fest verwurzelt im Folk und geübt im Jazz. Letzteres hat ihnen geholfen, gemeinsam mit Musikern aus verschiedenen afrikanischen und asiatischen Ländern eine eigene Formensprache zu finden, die Reggae und Rap aufgreift und mit Arbeitsweisen des Jazz verbindet. Es ist die Musik des Black Atlantic, wie Paul Gilroy es nannte, eine – im besten Sinne des Wortes – Weltmusik. So herausragend einige der beteiligten Musiker wie etwa der iranisch-afghanische Rapper Hosain Amini alias MC Trelos oder der Percussionist Jacques Zamble bi Vie aus Côte d’Ivoire auch sein mögen, das Terrain, auf dem sie sich bewegen, ist schwierig. Ihr Publikum nämlich, so vermittelt es der Film zumindest, rekrutiert sich aus einem grünen bürgerlichen Milieu, das sich zwar von Herzen gegen Rassismus und Nazis ausspricht, gleichzeitig aber Zeter und Mordio schreit, wenn jemand die Wände einer Ausländerbehörde mit Farbe beschmiert. ­Diese »linken Spießer«, wie sie die Punkband Slime vor Jahrzehnten so treffend genannt hat, sind nicht das Publikum, das die geflüchteten Musiker verdient haben. Aber: Es ist genau diese Gruppe, die Musik und Film wachrütteln sollten.
Der Film widmet sich den dunklen Seiten von »Asylkompromiss« und Standortnationalismus. Er vermeidet jeden mitleidvollen Blick von außen, indem er die Worte und Erfahrungen der Betroffenen selbst ungefiltert wiedergibt. Die Bandmitglieder von Strom & Wasser treten in den Hintergrund und überlassen den Refugees das Mikrophon. So schildert Nuri, der aus Scham lange über das Thema geschwiegen hat, mit eigenen Worten, was es bedeutet, in einem Lager zu wohnen. Mit seiner Familie ist er aus Da­gestan gekommen, hat zehn Jahre ohne dauerhaften Aufenthaltstitel, ohne Arbeitserlaubnis und – dank Residenzpflicht – auch ohne die Möglichkeit, legal ins nächste Dorf zu fahren, im niedersächsischen Gifhorn verbracht. Und Revelino Mondehi aus Côte d’Ivoire kann von einem Leben als Gefangener in einer Gesellschaft erzählen, die einem Flüchtling wie ihm die Freiheit nicht ohne weiteres zugestehen will. Er verbrachte zwei Jahre in einer Unterkunft im niedersächsischen Blankenburg. Regisseurin Julia Oelkers tut es der Band nach und nimmt sich zurück. Sie überlässt die Bühne den Geflüchteten und ihren Sichtweisen, ihr erster Dokumentarfilm in Spielfilmlänge ist so beeindruckend wie bedrückend. Meisam Amini, ein Freund von Hosain, zeigt mit dem Handy aufgenommene Fotos und Videos aus seiner Unterkunft in Eisenhüttenstadt, die erschütternde Lebensumstände dokumentieren. »Das sind Betten wie im Knast da drin. Ich weiß, wovon ich rede, ich war in Griechenland im Knast«, erzählt er.
Alle Protagonisten des Films haben Abschiebungen miterlebt, Bekannten dabei zugesehen, wie sie abgeholt wurden. Immer wieder kommen die Gespräche auf dieses Thema und die Möglichkeit, jederzeit nachts aus dem Schlaf gerissen und in ein Flugzeug verfrachtet zu werden. »Häufig springen Leute auch aus dem Fenster«, erzählt einer von ihnen und sagt es so, als sei das die logische Antwort auf ein Leben im Lager, das einige als Gefängnis erleben. Andere sprechen nur von der nervtötenden Einsamkeit und Langeweile. Nur einmal am Tag fahre der Bus vom Bahnhof in Bramsche zum Ortsteil Hesepe, wo sich seine Unterkunft befindet, erzählt Jacques. Verpasst man den, müsse man rund eine Stunde Fußweg zurücklegen. In einer anderen Szene, gedreht am Reutlinger Bahnhof, erzählt Sam, der aus Gambia nach Deutschland kam: »Bahnhöfe sind immer ein Problem. Wenn du dort auffällst wegen deiner Hautfarbe, kommt die Polizei direkt zu dir und kontrolliert dich.« Die bedrückendsten Worte jedoch kommen von Rapper Nuri. Auf die Frage der Regisseurin, was denn »sich integrieren« für ihn heiße, sagt er müde: »Sich integrieren heißt, lernen zu akzeptieren.«
Was die deutsche Bevölkerung von geflüchteten Menschen erwartet, ist, dass sie alle Ansprüche, Hoffnungen und Wünsche aufgeben und sich einem Rechtsstaat ausliefern, der ihre Duldung vielleicht noch ein wenig verlängert, sie dann aber womöglich irgendwann nachts aus dem Schlaf reißt und hinauswirft. Bei aller Lebensfreude und Liebe zur Musik macht »Can’t Be Silent« genau das spürbar. »Ich kann nicht stillhalten und ein Gefangener sein«, sagt Sänger Revelino. »Alle Menschen haben das Recht, frei zu sein.«
»Can’t Be Silent«. Deutschland 2013. Regie: Julia Oelkers. Filmstart: 15. August 2013