Linkes Gedenken an die Opfer rechter Gewalt

Erinnern mit links

Das Gedenken an Opfer rassistischer und nazistischer Gewalt erfährt oft Widerstände. Doch auch die linke Gedenkpolitik sollte reflektiert werden.

Am 24. November erinnerten in Berlin fast 5 000 Menschen mit einer Demonstration an den vor 20 Jahren am U-Bahnhof Samariterstraße von Neonazis ermordeten linken DDR-Oppositionellen und Hausbesetzer Silvio Meier. Die jährliche Demonstration ist ein bedeutender Teil linksradikaler Gedenkkultur und Politik in Deutschland. Zu seinem 20. Todestag hatten verschiedene Antifa-Gruppen eine Broschüre über Meiers Leben, die Geschichte der Demonstrationen und den jeweiligen politischen Kontext zusammengestellt. Neben Interviews mit Mitstreitern und Freunden Meiers findet sich darin auch eine kritische Reflexion des linksradikalen Gedenkens.
Unter anderem wird deutlich, dass vor allem jüngere Antifaschistinnen und Antifaschisten wenig vom damaligen Umfeld des Ermordeten wissen und eine Kontaktaufnahme auch nicht ohne politische Kontroversen verläuft. Die ehemaligen Freunde und Mitstreiter Meiers blicken natürlich mit ihrer heutigen politischen Position auf Meier und das Gedenken. Da kommt ein Historiker, der sich Mitte der neunziger Jahre von linken Vorstellungen verabschiedete, zu anderen Schlussfolgerungen als ein Freund von Meier, der sich bis heute als Anarchist versteht. Ihre Stellungnahmen können daher nur Beiträge zur politischen Auseinandersetzung über das kritische Gedenken sein und selbst von der politischen Kritik nicht ausgenommen werden. Wichtig im Fall von Meier ist außerdem der Unterschied zwischen der privaten Trauer und der politischen Erinnerung, der in der Broschüre von mehreren nahen Freunden angesprochen wird.

Die politische Erinnerungskultur hat sich in den vergangenen 20 Jahren verändert. Darum ging es unter anderem auf einer Podiumsdiskussion zur linken Gedenkarbeit einige Tage vor der Demonstration in Berlin. In den Bereich der politischen Erinnerungsarbeit gehört die von der »Initiative für ein aktives Gedenken« vorgebrachte Forderung nach der Umbenennung der Gabelsberger Straße, in deren unmittelbarer Nähe sich der Mord ereignete, in der Silvio-Meier-Straße. In der Initiative arbeiten Bezirkspolitiker der Grünen und der Linkspartei mit Antifaschisten zusammen. »Wir haben erkannt, dass die alljähr­liche Demonstration nicht ausreicht, um das Gedenken an Silvio Meier im Stadtteil zu verankern«, begründete ein Mitglied der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB), die jahrelang die linksradikale Silvio-Meier-Demonstration organisierte, die Beteiligung der ALB an der Initia­tive während der Podiumsdiskussion. Auf einer Bürgerversammlung vor einigen Monaten war eine deutliche Mehrheit für die Umbenennung zustande gekommen und auch die Bezirksverordneten hatten ihr zugestimmt, doch sie wird durch die Klage eines Anwohners verzögert. Dieser sagte der Taz, Meier sei als Hausbesetzer nicht als Namensgeber einer Straße geeignet und zudem für seinen Tod selbst verantwortlich, weil er sich den Neonazis in den Weg gestellt habe.
Wenn es um Ehrungen von Opfern nazistischer Gewalt geht, treffen linke Gedenkinitiativen häu­figer auf derartige Widerstände. In Eberswalde hat ein rechtspopulistisches Bürgerbündnis mit dem Namen »Das fünfte Gebot« in kurzer Zeit 4 000 Unterschriften gegen den Plan gesammelt, eine große Straße nach Amadeu Antonio Kiowa umzubenennen. 1990 war der angolanische Vertragsarbeiter in der brandenburgischen Stadt von Neonazis ermordet worden. Für die Rechts­populisten ist das aber kein Grund, eine Straße umzubenennen. Mittlerweile ist der Plan auch vom Tisch, nun soll ein Gebäude an Kiowa erinnern, das gleich auch der Versöhnung dienen soll. Angesichts des Erfolgs von Gruppen wie »Das fünfte Gebot« scheint dies aber absurd. Von einem anderen Beispiel für die Schwierigkeit, einen Erinnerungsort für Opfer nazistischer Gewalt zu schaffen, berichtete auf der Podiumsdiskussion Dirk Stegemann vom Berliner Bündnis »Rechts­populismus stoppen«. Es geht um die Opfer des größten Berliner Arbeitshauses während des Nationalsozialismus in Berlin-Rummelsburg. Damals sind zahlreiche Insassen in Konzentrationslager verschleppt worden. Heute finden sich auf dem Areal lukrative Grundstücke, Investoren sollen durch dessen Geschichte nicht verschreckt werden. Das antifaschistische Bündnis wollte vor Ort Tafeln anbringen, die an die Geschichte von Menschen erinnern, die als sogenannte Asoziale von der Politik und der Mehrheitsgesellschaft auch heute noch stigmatisiert und immer wieder Opfer von Neonazis werden.
Einer davon war Dieter Eich, der am 24. Mai 2000 von vier Neonazis in seiner Wohnung in Berlin-Buch ermordet wurde. Die Nazis sprachen hinterher davon, dass es der »Assi« verdient habe. 2013 soll der Haupttäter aus der Haft entlassen werden. Bis dahin will eine Initiative einen Gedenkstein für Eich in der Nähe des Tatortes errichten, um zu verhindern, dass er und die Tat vergessen werden. Dafür sorgten bisher Antifagruppen im Nordosten Berlins, die mit Demons­trationen und Veranstaltungen auf den Mord und die gesellschaftlichen Hintergründe aufmerksam machten. Sie arbeiten auch in der Initiative für den Gedenkstein mit. Der Aktivist Ralf Peters übte auf der Podiumsdiskussion zur linken Gedenkarbeit aber auch Kritik an der Antifabewegung. Selbst nach monatelanger intensiver Öffentlichkeitsarbeit hätten nur einige Hundert Menschen an der Gedenkdemonstration teilgenommen. Anders als Silvio Meier sei Eich keine bekannte Figur in Antifakreisen. Peters machte damit auf einen wichtigen Schwachpunkt in der linken Gedenkpolitik aufmerksam. Es reicht nicht, Opfer zu sein, um Öffentlichkeit in linken Milieus zu bekommen.

Auf der Veranstaltung wurde auch daran erinnert, dass niemand Grigore Velcu und Eudache Calderar gedachte, die beim Grenzübertritt im Juni 1992 von Jägern erschossen worden waren (Jungle World 10/2012). Selbst bei den diesjährigen Demonstrationen zum 20. Jahrestag des rassistischen Pogroms in Rostock-Lichtenhagen spielten die beiden getöteten rumänischen Migranten keine Rolle. Dabei war zu diesem Zeitpunkt schon der Film »Revision« bekannt, in dem der Filmemacher Philipp Scheffler die bis heute ungeklärten Todesumstände und den Zusammenhang mit dem Rostocker Pogrom thematisiert. Ein Grund für die Ignoranz könnte sein, dass Kunstwerke wie Theaterstücke, Filme und Installationen in der linken Gedenkarbeit oft noch zu wenig beachtet werden, obwohl sie eine wichtige Rolle spielen. So hat der Regisseur Günther Sommer mit dem Theaterstück »Songs für Kommeno« die Massaker der deutschen Wehrmacht in Griechenland während des Zweiten Weltkriegs auf den Spielplan des diesjährigen Berliner Jazzfestes gesetzt. An die deutschen Massaker in Norditalien erinnert der Film »Die Geige aus Cervarolo«. Die Regisseure Matthias Durchfeld und Nico Giu­detti behandeln dort das Schicksal des jungen Geigers Virgilio Rovali, dessen Familie Opfer des Massakers wurde. In dem Film werden die Über­lebenden und die Nachkommen gezeigt, wie sie sich auf den Prozess gegen die noch lebenden deutschen Täter vorbereiten. Alle Angeklagten ignorierten den Prozess und müssen in Deutschland auch keine Strafen fürchten (Jungle World 23/2011). In mehreren Städten haben sich Initiativen gebildet, die die Täter aus ihrer Anonymität reißen. Sie nehmen die aktuellen Filmvorführungen zum Anlass für Informationsveranstaltungen über die Massaker.