Über salafistische Proteste und Meinungsfreiheit

Im Namen der Liga

Wer salafistische Proteste zum Anlass nimmt, für eine Einschränkung der Meinungsfreiheit zu werben, vertritt eigene ­Interessen.

»Wir sind die 0,003 Prozent«, müsste eigentlich die Parole der Islamisten sein, die angeblich gegen den Film »Innocence of Muslims« protestieren. Denn ein höherer Anteil der muslimischen Bevölkerung ging den Berechnungen der US-Politologin Megan Reif zufolge nicht auf die Straße. Berücksichtigt wurden nur Daten für die arabischen Staaten im Zeitraum vom 10. bis zum 16. September, doch ergibt sich auch bei einer Sichtung der Proteste, die später und in anderen Ländern stattfanden, kein grundsätzlich anderes Bild. Wer eine Stadt sucht, in der ein erheblicher Teil der Bürger aus nichtigem Anlass in Rage gerät, wird in Stuttgart eher fündig als in Kairo.
Rechnen kann sicher auch Nabil al-Araby, der Generalsekretär der Arabischen Liga, und ebenso, wenigstens wenn es um die Kirchensteuer geht, der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick und vermutlich sogar der deutsche Außenminister Guido Westerwelle. Doch obwohl von einem »Aufstand der islamischen Welt« nicht die Rede sein kann, werden die Proteste als so bedeutend dargestellt, dass sie eine Reaktion der »internationalen Gemeinschaft« erfordern. So viel Verständnis wird für andere Protestierende nicht aufgebracht, auf die Schlagzeile »Streiks in Griechenland, Ägypten und Kambodscha – Uno berät über globalen Mindestlohn« werden wir vergeblich warten.
Es stehen jeweils eigene Interessen dahinter, wenn Westerwelle betont, dass die Meinungsfreiheit »nicht grenzenlos« und »der Respekt vor Religionen selbstverständlich« sei, während Schick und Araby schärfere Gesetze gegen Blasphemie fordern. Ein auf den ersten Blick bizarrer politisch-ideologischer Dreieckshandel hat sich entwickelt. Der Westen unterstützt die von Saudi-Arabien geführten Golfmonarchien, diese unterstützen die Salafisten, und die Salafisten greifen westliche Einrichtungen an.
Am Ende aber profitieren alle. Die Salafisten posieren als konsequente Kämpfer und können hoffen, Anhänger zu gewinnen, die von der Kompromissbereitschaft der etablierten islamistischen Organisationen enttäuscht sind. Die Golfmonarchien schwächen die arabische Demokratiebewegung durch eine Konfessionalisierung der Politik und erweitern ihren ideologischen Einfluss. Im Westen erfreut die Salafisten-Show sowohl Rassisten, die endlich ein paar »gefährliche Fremde« finden, als auch Kulturkonservative, die der guten alten Zeit der Autodafés nachtrauern und ein Vorbild für religiösen Eifer finden, und Ordnungspolitiker, die eine Chance wittern, neue Disziplinierungsmaßnahmen durchzusetzen. Die westlichen Regierungen sehen die Proteste als Rechtfertigung für ihre Bündnisse mit den reaktionären muslimischen Patriarchen, da allein diese den »guten« Islam fördern und den »bösen« im Zaum halten könnten.
Araby forderte vor der UN-Generalversammlung im Namen der Arabischen Liga eine »bindende internationale Gesetzgebung«, um sicherzustellen, dass »die Religionen und ihre Symbole respektiert« werden. Der Tageszeitung Egypt Independent zufolge sagte er auch, dass die EU, die Afrikanische Union, die Arabische Liga und die Organisation der Islamischen Konferenz kurz vor der Formulierung eines Abkommens über die Bestrafung von Blasphemie ständen. Das dürfte übertrieben sein, doch muss der Angriff auf die Meinungsfreiheit ernst genommen werden.