Die drohende Räumung des Instituts für vergleichende Irrelevanz

Jargon der Ökonomie

Adorno und Horkheimer spielen an der Frankfurter Goethe-Universität kaum noch eine Rolle. Im besetzten Institut für vergleichende Irrelevanz sieht das anders aus. Nun droht die Räumung.

Am vorvergangenen Dienstag stand der denkmalgeschützte Kettenhofweg 130 erstmals ohne Tür da. Vertreter des neuen Besitzers verschafften sich gegen 9.30 Uhr mit Handwerkern Zutritt zum besetzten Gebäude, stellten Strom und Wasser ab und nahmen die von ihnen zuvor beschädigte Tür gleich ganz mit. Das geschah ohne Räumungstitel und ohne vorherige Kontaktaufnahme mit den Besetzerinnen und Besetzern. Die Nachricht über das Eindringen in das Institut für vergleichende Irrelevanz (Ivi) verbreitete sich schnell. Eine Sitzblockade verhinderte vorerst weitere Maßnahmen. Die Vertreter der Immobiliengesellschaft Franconofurt AG hinterließen die Nachricht, dass das Gebäude innerhalb der nächsten zwei Wochen geräumt werden solle. »Wir befürchten keine polizeiliche Räumung, deswegen fragen wir uns, ob die hier mit einem Schlägertrupp auftauchen und uns rausprügeln«, sagt Zoran, ein Mitarbeiter des Ivi. Für einen solchen Fall setzt man auf die Hilfe von Unterstützern. Wenige Stunden nach dem unerfreulichen Handwerkerbesuch fand eine spontane Demonstration statt. Etwa 200 Menschen zogen zum Roßmarkt, wo sich der Sitz der Franconofurt AG befindet. Am 1. Januar hatte die Universitätsleitung das Haus im Frankfurter Westend für über eine Million Euro an das Immobilienunternehmen verkauft.

Der Käufer wird von Mieterverbänden, wie dem DMB Mieterschutzverein Frankfurt, scharf kritisiert. Das Geschäftsmodell des Unternehmens basiert zum Teil darauf, Mietshäuser aufzukaufen und zu teuren Eigentumswohnungen umzugestalten. Möglichkeiten zur Mieterhöhung werden bis an die Schmerzgrenze und darüber hinaus genutzt, oder die Mieter werden mit großzügigen Angeboten aus ihren Verträgen herausgehandelt. Wer in der Frankfurter Innenstadt, im Nordend, Bockenheim und im Westend versucht, bezahlbaren Wohnraum zu finden, wird mittlerweile kaum noch fündig. Vom Verkauf haben die Besetzer erst nach zwei Monaten durch eine Pressemitteilung des Präsidiums der Universität erfahren. Noch später konnten sie in der FAZ lesen, an wen es verkauft wurde. Werner Müller-Esterl, der Präsident der Universität, sah bei einem besetzten Gebäude »keine Verpflichtung, bei einem anstehenden Verkauf um Erlaubnis zu fragen«. Der Asta der Goethe-Universität forderte wiederholt seinen Rücktritt.
Der ehemaligen Sitz des Instituts für Anglistik und Amerikanistik wurde 2003 im Zuge der Studierendenproteste nach einer Vollversammlung besetzt. Seitdem hat sich das Ivi zu einem Raum der »wilden Theorieaneignung« entwickelt. Architekt des Gebäudes ist Ferdinand Kramer, der nach seiner Vertreibung durch die Nazis 1952 nach Frankfurt zurückkehrte und, wie es heißt, auf Bitte von Max Horkheimer Baudirektor der Universität wurde. Namen wie die von Kramer und Horkheimer fallen im regulären Universitätsbetrieb immer seltener. Zwar rühmt sich die Universität auf ihrer Homepage mit den »Leistungen der ›Frankfurter Schule‹«, im Lehrbetrieb wird der Kritischen Theorie jedoch kaum noch Platz eingeräumt. Es scheint ein wenig vermessen, dass die Universitätsleitung mit dem Verkaufserlös die Qualität von Lehre und Forschung verbessern möchte, denn durch den Wegfall des Ivi würde eine Theorieaneignung eingeschränkt, die sich in der Tradition der Frankfurter Schule sieht.

»Im Ivi habe ich deutlich mehr Relevantes gelernt als im stressigen Unialltag«, sagt der Geschichtsstudent Max. Das Ivi macht vorerst weiter wie bisher. Neben der Wissensvermittlung gehören dazu auch Musikfestivals mit interna­tionalen Künstlern, ein Flohmarkt, eine Queer-Prom-Night, Hardcorekonzerte – und das war nur das Programm des Pfingstwochenendes. Irmgard Tennagels, Musikreferentin des Frankfurter Kulturamts, fordert mehr Clubs, in denen »Experimente« möglich seien. Angesichts dieser Forderung scheint der Vorschlag des Ivi gar nicht mehr utopisch: »Die Stadt kauft das Haus und wir machen weiter wie bisher!«