Über den Putsch in Mali

Mali hat mehr verdient

Der Putsch in Mali zeigt, wie fragil die ­demokratischen Verhältnisse in afrika­nischen Staaten noch immer sind.

In den meisten Staaten muss man wenigstens Oberst sein, um mit Aussicht auf Erfolg putschen zu können. Doch Amadou Konaré, der Sprecher des »Komitees für die Wiederherstellung der Demokratie und die Restauration des Staates«, das in der vergangenen Woche die Macht in Mali übernommen hat, ist Leutnant, und auch Amadou Haya Sanogo, der das Komitee leitet und als Putschistenführer gilt, hat es nur bis zum Hauptmann gebracht. Die Armee ist klein, sie zählt nur etwa 7 300 reguläre Soldaten. Für allzu viele Generäle und Oberste ist da kein Platz, und die höchsten Offiziere sind der Regierung meist eng verbunden, zumal sie am stärksten von der Korruption profitieren. Offiziere der mittleren und unteren Ränge hingegen haben die faktische Befehlsgewalt, aber ein mageres Gehalt. Oft kommen sie zu der Ansicht, dass sie mehr verdienen, als der Staat ihnen zugestehen will.
Gambia wird seit 1994 von Leutnant Yahya Jammeh regiert, der seine Herrschaft als Vorsitzender eines angeblich »Provisorischen Regierungsrats« begann. Auch die Putschisten in Mali versprechen eine Rückkehr zur Demokratie, und zwar »sobald das Land wiedervereinigt und seine Integrität nicht länger bedroht ist«. Sie begründeten ihre Machtübernahme mit dem Versagen der Regierung im Kampf gegen den Aufstand der »Nationalbewegung für die Befreiung von Azawad« (MNLA) und beklagten, dass sie nur über veraltete Waffen verfügten. Tatsächlich finden sich im Arsenal noch T-34-Panzer und anderes Kriegsgerät, das man anderswo im Militärmuseum bewundern kann. Wie in den meisten afrikanischen Staaten war auch in Mali die postkoloniale Armee nie für den Kampf mit ernstzunehmenden Feinden vorgesehen, sie sollte vor allem protestierende Zivilisten einschüchtern.

Das änderte Amadou Toumani Touré, der im März 1991 putschte, aber ein Jahr später die Macht nach freien Wahlen an Präsident Alpha Oumar Konaré übergab. Konaré beendete 1995 die erste Tuareg-Rebellion mit einem Friedensvertrag, der unter anderem Autonomierechte für die im Norden lebenden Nomaden und ihre bessere Integration in die Gesellschaft vorsah. Seit 2007 kam es gelegentlich zu Kämpfen, in Bedrängnis geriet das malische Militär jedoch erst vor etwa drei Monaten durch die Offensive der MNLA. Nach Ansicht der meisten Beobachter hatte diese Organisation Verstärkung von ehemaligen Söldnern Muammar al-Gaddafis erhalten.
Unklar ist, worauf die Putschisten hinauswollen. Auf das Ende der Amtszeit Tourés, der 2002 erstmals zum Präsidenten gewählt wurde, hätten sie nicht mehr lange warten müssen. Für Ende April waren Neuwahlen geplant, und anders als Abdoulaye Wade im benachbarten Senegal akzeptierte Touré die verfassungsmäßige Beschränkung seiner Amtszeit auf zwei Wahlperioden. Offenbar richtet sich der Putsch gegen die Zivilherrschaft an sich.
Aber auch dem Kampf gegen die Aufständischen ist der Putsch nicht dienlich. Da unklar ist, ob alle Fraktionen des Militärs die Machtübernahme unterstützen und ob die Zivilbevölkerung eine Junta hinnimmt, müssen die Putschisten sich zunächst auf die Sicherung ihrer Macht konzentrieren. Die Offensive der MNLA geht weiter, die Guerilleros geben an, am Wochenende die Stadt Anefis eingenommen zu haben, die wichtig für die Kontrolle des Nachschubwegs ist. In Gao und Timbuktu, den bedeutendsten Städten des Nordens, wird angeblich bereits über eine kampflose Übergabe verhandelt.
Der Putsch gefährdet auch die einzig realistische Möglichkeit, Hilfe im Kampf gegen die Guerilla zu erhalten. Das malische Militär wird von den USA unterstützt, deren Interesse vor allem dem Kampf gegen al-Qaida im islamischen Maghreb (Aqmi) gilt. Dass die US-Regierung den Putsch pflichtgemäß verurteilt hat, muss noch nicht viel besagen. Es dürfte sich jedoch kaum rechtfertigen lassen, die ma­lische Armee, die bislang kaum Ausrüstung von den USA erhielt, ausgerechnet jetzt mit Waffen zu überschütten.
Auch die Afrikanische Union fordert eine Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung, am Montag fand in der malischen Hauptstadt Bamako die erste Protestdemonstration gegen die Junta statt. Es ist daher möglich, dass die Offiziere sich nicht an der Macht halten können. Dennoch zeigt der Putsch, wie fragil die demokratischen Verhältnisse in der Region noch immer sind.

Der »afrikanische Frühling« begann bereits vor etwa 20 Jahren. In vielen Staaten führte er zur Demokratisierung, und oft gelang es der Bevölkerung, eine Rückkehr zu autoritären Herrschaftsformen zu verhindern. So gewann im Senegal am Sonntag der Oppositionskandidat Macky Sall die Stichwahl zur Präsidentschaft, obwohl der Amtsinhaber Wade sich mit allerlei Tricks (Jungle World 10/12) eine dritte Regierungszeit zu sichern versucht hatte.
Doch die Staaten bleiben schwach, sowohl, was den Verwaltungs- und Militärapparat, als auch, was die Integrationkraft betrifft. Das Verhältnis zwischen den überwiegend arabisch- oder berbersprachigen Nomaden und der bäuerlichen Bevölkerung der Sahel-Region hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verbessert, doch gibt es weiterhin Ressentiments. So kam es im Januar in Mali zu Gewalttaten gegen im Süden des Landes lebende Tuareg. Als deren Repräsentantin kann die MNLA nicht gelten, doch genügen in den dünn besiedelten und unwegsamen Regionen wenige Hundert Bewaffnete, um weite Gebiete zu kontrollieren. In Mali sind bereits mehr als 100 000 Menschen aus dem Kampfgebiet geflohen.
Der Zeitpunkt der MNLA-Offensive spricht ­dafür, dass der Zustrom ehemaliger Söldner aus Libyen eine Rolle spielte. Zumindest hat die Guerilla wohl von der Plünderung der Waffenlager Gaddafis profitiert. Doch dürfte auch die anhaltende Dürre zur Eskalastion beigetragen haben. Im vergangenen Jahr sank die landwirtschaftliche Produktion im Sahel um 25 Prozent, sehr viel in einer Region, in der die meisten Menschen auch in guten Jahren kaum genug zu essen haben. So wächst der Druck, sich auf andere Weise den Lebensunterhalt zu verdienen. Legale Verdienstmöglichkeiten aber gibt es in den Wüsten- und Halbwüstenregionen Nordmalis kaum.

Der Übergang zwischen »nationalem Befreiungskampf« bzw. Jihadismus und schlichter Krimi­nalität ist fließend, auch die Aqmi beschäftigt sich vor allem mit lukrativen Geiselnahmen. Mit Ansar Dine ist nun in Nordmali eine weitere islamistische Guerillagruppe in Erscheinung ­getreten, die offenbar mit der MNLA kooperiert. Doch vom nördlichen Nigeria abgesehen ist der Islamismus in Westafrika weiterhin eine Randerscheinung. Es sollte daher möglich sein, die überzeugten Jihadisten zu isolieren und mit den anderen Gruppen eine Vereinbarung zu treffen. Denn unberechtigt sind die Klagen der Tuareg nicht, der Norden wurde entwicklungspolitisch vernachlässigt und die nomadische Bevölkerung wird weiterhin diskriminiert.
Obwohl es an Warnungen nicht gefehlt hat, trifft die Krise in Mali die »internationale Gemeinschaft« einmal mehr unvorbereitet. Dass der Sturz Gaddafis die Region destabilisieren könnte, war bekannt. Auch die Folgen der Dürre kamen nicht überraschend. Nach Angaben der FAO besteht nun für 15 Millionen Menschen im westlichen Sahel »Nahrungsmittelunsicherheit«, doch wie im vergangenen Jahr in Somalia fällt es den UN-Organisationen schwer, Geld einzutreiben. Erst etwa die Hälfte der benötigten 650 Millionen Dollar wurde gezahlt oder zugesagt. Daher hat der Putsch auch einen nützlichen Effekt. Weil man Mali ausnahmsweise beachtet, wird auch die drohende Hungersnot einer größeren Öffentlichkeit bekannt.