Der Schokoladen in Berlin-Mitte soll geräumt werden

Süßes oder Saures

Das Kulturprojekt Schokoladen im Berliner Bezirk Mitte steht vor der Räumung.

Die Ackerstraße im Bezirk Mitte ist mittlerweile eine der besseren Adressen Berlins. Der umliegende Kiez, der vor 20 Jahren zu jenen halbverfallenen Gegenden östlich der Mauer gehörte, in denen sich Hausbesetzer, Autonome und Kulturschaffende ansiedelten, ist mittlerweile der zweitteuerste Postleitzahlenbezirk der Stadt. Doch zwischen all den sanierten Altbauten steht noch immer das eine oder andere Haus, das nicht ganz ins Ensemble passt. Der Schokoladen befindet sich in einem davon. Seine Anfänge liegen in eben jenen turbulenten Wendejahren, in denen in Berlin tatsächlich so viel passierte, wie das »Arm aber Sexy«-Image der Stadt heutzutage verspricht. Doch an dem Gebäude hängt ein Transparent, das vor dem baldigen Ende des Schokoladens warnt. Am 22. Februar, morgens um neun Uhr, soll der beliebte Liveclub mitsamt dem Theater im Hinterhof und dem »Club der polnischen Versager« nebenan geräumt werden. Dass die Mieter in den darüberliegenden Wohnungen bald folgen werden, wenn das geschieht, gilt vielen im Haus als sicher.

Seit zehn Jahren liegen sie bereits mit dem Hauseigentümer im Streit. Markus Friedrich, Leiter der Handelskette Fliesen-Zentrum, will, dass seine Investition sich endlich rentiert. Die derzeitige Miete liegt deutlich unter dem, was er bekommen könnte, wenn das Haus saniert wäre. Wer mit ihm spricht, merkt, dass der jahrelange Konflikt ihn dünnhäutig gemacht hat, aber auch, dass er sich endlich erfolgreich wähnt. Denn entweder das Haus wird geräumt oder es kommt doch noch zu einer gütlichen Einigung. Friedrich wäre beides recht. »Ich bin gespannt, ob da noch was passiert«, antwortet er auf die Frage, ob er noch immer offen für eine Verhandlungslösung sei. »Eigentlich müsste nur irgendwer das Telefon in die Hand nehmen und einen Vorschlag machen.« Wenn Friedrich »irgendwer« sagt, dann meint er damit nicht unbedingt die Betreiber des Schokoladens. Er denkt eher an den Berliner Senat. Der hatte sich schon in der Vergangenheit eingeschaltet. Sogar von einem Kompensationsgeschäft, abgewickelt über den Liegenschaftsfonds, war die Rede. Über ein derartiges Angebot werde auch nun wieder verhandelt, teilte Ephraim Gothe (SPD), Staatssekretär für Stadtentwicklung, vorige Woche mit. Gothe war schon zu seiner Zeit als Baustadtrat im Bezirk Mitte mit dem Thema befasst. Zusammen mit ihm ist nun auch das Thema Schokoladen auf die Landesebene gewechselt.
Es ist offensichtlich, dass die Frage nach der Rettung des Lokals nur auf politischer Ebene beantwortet werden kann. Um die Räumung zumindest aufzuschieben und mehr Zeit für Verhandlungen zu schaffen, setzt der Schokoladen aber weiterhin auch auf juristische Mittel wie eine Berufung und eine Gegenklage. Anja Gerlich, die Sprecherin des Schokoladens, schätzt die Chancen, die Räumung auf juristischem Weg zu stoppen, mit »50 zu 50« ein: »Die Stimmung im Haus ist kämpferisch, aber sie schwankt immer wieder zwischen totalem Optimismus und totalem Pessimismus. Natürlich haben wir Angst vor dem Tag X.«

Dieser Tag rückt näher. Der Schokoladen reagiert darauf mit einer Kampagne und ruft dazu auf, am Tag der Räumung vor Ort zu sein und diese »kritisch zu begleiten«. »Wir wollen keine Eska­lation«, sagt Gerlich, »aber wir werden den Hof am Abend davor öffnen, damit Menschen hinkommen und uns unterstützen können«. Unterstützung erhalte man auch aus der Nachbarschaft. »Viele Leute aus dem Kiez haben angekündigt, Transparente aus dem Fenster zu hängen oder am Tag der Räumung da zu sein.« Auch die ältere Frau, die im Spätkauf nebenan arbeitet, wird den Schokoladen vermissen: »Da würde ein Stück Geschichte verloren gehen.«
Nicht alle, die etwas gegen die Räumung haben, schlagen so zurückhaltende Töne an. Auch in der autonomen Szene Berlins regt sich Protest. Ihr geht es weniger um den Erhalt von Off-Kultur als um die Tatsache, dass der Schokoladen Teil eines linken Hausprojekts ist. Vor zwei Jahren wurde nur eine Straße weiter die Brunnenstraße 183 geräumt. Im vorigen Winter war das Haus­projekt in der Liebigstraße 14 in Friedrichshain dran. Ende Januar wurde während einer Soliparty für die »Liebig 14« die »Rigaer 94« von der Polizei gestürmt, weil in der Nähe des Hausprojekts Fenster eingeworfen und Mülltonnen umgekippt worden waren. Linke Gruppen aus dem autonomen und antifaschistischen Spektrum rufen für den Abend vor der drohenden Räumung des Schokoladens zu einer Demonstration auf. »Es geht uns auch darum, ein Zeichen zu setzen gegen die Politik von Innensenator Frank Henkel (CDU)«, sagt der Sprecher einer Gruppe, die zur Demonstration aufruft. »Uns droht eine besonders autoritäre Politik gegen Freiräume.«

Ob aber der »Druck der Straße« ein probates Mittel sein kann im Kampf um den Erhalt des Schokoladens, ist fraglich. Selbst wenn es zu ähnlichen Ausschreitungen kommen sollte wie nach der Räumung der »Liebig 14«, als Hunderte Vermummte durch Friedrichshain zogen und etwa eine Million Euro Sachschaden anrichteten, dürfte das allenfalls Auswirkungen auf zukünf­tige Häuserkämpfe haben. Denn der Senat hat durchaus den nötigen Spielraum, der nötig wäre, um das Etablissement vor dem Ende zu bewahren. Die Frage ist, ob der politische Wille dafür groß genug ist. Dabei sind Orte wie der Schoko­laden oder das ebenfalls bedrohte Tacheles gleich um die Ecke für den Tourismus der Stadt wichtig. Sie locken das junge Publikum, das sich vom Image der pulsierenden Metropole voller Untergrundkultur und ausschweifender Technopartys an­gesprochen fühlt. Egal, was Friedrich mit dem Haus in der Ackerstraße vorhat, es wird sicher nicht den gleichen Ruf haben wie der Schokoladen. Und die Stadt wird an der Stelle nicht mehr den Charme einer Metropole haben, mit Lärm und Dreck und all den Missklängen, die dazugehören, sondern den eines zu groß geratenen Bielefeld.