Ein Antisemit als Pirat

Kevin nicht allein zu Hause

Ein Kreisvorsitzender der Piratenpartei musste wegen antisemitischer Äußerungen seinen Posten räumen.

Die Idee bot sich wohl an: Um die formale Gründung des Kreisverbandes der Piratenpartei in Heidenheim (Baden-Württemberg) zu gewährleisten, wurden Familienmitglieder und Freunde rekrutiert – und so konnten am 4. Februar problemlos alle erforderlichen Ämter besetzt werden.
Was Kevin Barth, der frisch gewählte Vorsitzender des neuen Verbandes, nicht ahnte: Er sollte eine der kürzesten Amtszeiten in der Geschichte der Bundesrepublik absolvieren. Kurz nach der Wahl tauchte nämlich ein Tweet von ihm auf, den der 22jährige am 23. Januar verfasst hatte: »Ok. Ich bin also Antisemit, weil ich die israelische Kackpolitik und den Juden an sich unsympathisch finde, weil er einen sinnlosen Krieg führt.« Nach drei Tagen, in denen unter anderem die Verwandtschaftsverhältnisse im Kreisverband und weitere ähnliche Äußerungen durch Blogger öffentlich gemacht worden waren, trat Barth schließlich zurück – gerüchteweise erst auf Drängen des Landesverbandes.

Immerhin dürfte das sogenannte »Kevingate«, wie der Skandal auf Twitter genannt wurde, auch endgültig mit der von Piraten-Mitgliedern immer wieder geäußerten Überzeugung Schluss machen, dass eine organisierte Unterwanderung durch Neonazis nicht möglich sei. Viel zu liberal sei man, und außerdem herrsche Meinungsvielfalt, was zwangsläufig dazu führe, dass Rechtsextreme sich in der Partei ganz sicher nicht wohlfühlten, lautet das entsprechende Argument. Barth ist jedoch nicht der erste, der mit Nazisprüchen auffiel und die Piraten trotzdem als seine natürliche politische Heimat ansah. Was auch an den Aufnahmekriterien liegen dürfte: Neue Mitglieder würden, sagt der Pressesprecher Christoph Lang der Jungle World, nicht routinemäßig überprüft, indem man beispielsweise ihre Namen googelt, um mögliche rechtsextreme Verbindungen zu finden: »Eine ›Gesinnungsdatenbank‹ von Menschen werden wir daher nicht anlegen.« Eine Eine durch »Onlinerecherche« gewonnene Information sei zudem »immer nur eine Aussage Dritter, die verändert und manipuliert werden kann«, und komme einer »Vorverdächtigung« gleich.

Außerdem habe die Partei kein Naziproblem: »Bislang sind dies lediglich vier Personen von derzeit fast 21 000 Parteimitgliedern«, sagt Lang. Barth ist jedoch nur der neueste, wie auf Twitter gern gewitzelt wird, »in einer langen Reihe von Einzelfällen«. Ein Parteiausschlussverfahren werde »aktuell vom Landesvorstandes evaluiert«, so Lang. Dass dies für Barth kein Grund sein muss, sich Sorgen zu machen, zeigt ein sich seit mehr als zwei Jahren hinschleppendes anderes Verfahren: Das seit Juli 2009 immer wieder angekündigte Parteiausschlussverfahren gegen den Holocaustrelativierer Bodo Thiesen wurde mittlerweile vom Landesschiedsgericht Rheinland-Pfalz abgewiesen. Daraufhin hatte das Bundesschiedsgericht das Verfahren an sich gezogen. Ein erster Termin scheiterte jedoch daran, dass Thiesens Anwalt Knud Petzel, Mitglied der Piratenpartei und des Vereins Väteraufbruch, nicht anwesend war. In einem anderen Fall wurde noch kein Ausschlussverfahren eingeleitet: Matthias Bahner, ein ehemaliges NPD-Mitglied mit guten Kontakten zum rechtsextremen »Heimatbund Pommern«, ist weiterhin Pirat und sitzt nach wie vor für die Partei im Kreistag von Vorpommern-Greifswald. Auch Sven Knurr, der zeitweise Mitarbeiter der virtuellen Bundesgeschäftsstelle der Partei war, muss anscheinend keinen Ausschluss befürchten, obwohl er sich für eine von der NPD initiierte Petition zur Freilassung Horst Mahlers stark gemacht hatte – ebenso wie Andre Stüwe, der 2010 als Landesvorsitzender von Sachsen die zugesagte Unterstützung der Piratenpartei für »Dresden nazifrei« zurückgezogen hatte und kurz darauf in einem Blogkommentar behauptete, der »Spiegel gehört indirekt Israel und hat somit selbst das Anliegen, dem Iran zu schaden«. Und Piraten, die öffentlich Sätze wie »Zionisten und Antiislamisten schwafeln wieder Amok auf Twitter gegen die Piraten« verbreiten oder »Demos gegen Linksextremisten« fordern, dürfen ebenfalls Mitglieder bleiben. Es herrscht ja schließlich Meinungsfreiheit.