Der Bundesparteitag der Grünen

Vom Dosenpfand zur Plastiktüte

Die Grünen haben ein erfolgreiches Jahr hinter sich, doch mittlerweile scheint der Traum vom Dasein als »Volkspartei« ausgeträumt zu sein. Die Werte, die die Grünen in Umfragen erreichen, sinken. Auf dem Bundesparteitag wollte man sich damit lieber nicht auseinandersetzen.

Schade, was für eine verpasste Gelegenheit! Der Auftritt von Giorgos Andrea Papandreou auf der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen in Kiel hätte von großem pädagogischen Wert sein können – als warnendes aktuelles Beispiel, wie links der Mitte angesiedelte Politiker und Parteien grandios scheitern können, die es nicht wagen, sich mit »denen da oben« anzulegen. Und zur Erinnerung für jene, die schon vergessen haben, wie kläglich die letzte rot-grüne Bundesregierung scheiterte. Stattdessen feierten die Delegierten den abgehalfterten Premierminister Griechenlands – und verloren kein kritisches Wort über dessen dubiose Regierungspraxis, die der griechischen Bevölkerung einen Demokratie- und Sozialabbau kaum vorstellbaren Ausmaßes beschert hat. Aber es war ohnehin kein Parteitag der kritischen Reflexion. Stattdessen herrschte gepflegte Langweile. Die Parteioberen wollten »Seriosität« demonstrieren, um sich auf die Regierungsübernahme 2013 vorzubereiten. Da war kein Platz für politischen Streit, geschweige denn für originelle Ideen.
Ein höchst erfolgreiches Jahr geht für die Grünen zu Ende. Sie haben bei allen Landtagswahlen hinzugewonnen, in der Regel sogar deutlich. Sie sitzen nun in allen Landesparlamenten, sind an fünf Landesregierungen beteiligt und stellen in Baden-Württemberg sogar den Ministerpräsidenten. In den Umfragen stiegen ihre Werte bis auf 28 Prozent und näherten sich damit denen der SPD und der Union. Doch inzwischen ist der Höhenflug vorbei, die Träume von der Volkspartei sind ausgeträumt. Mittlerweile rangiert die Partei zwischen 14 und 17 Prozent, Tendenz fallend. Ihre Frustration darüber versucht sie mit Routine zu überspielen.
Mit dem Sinken ihrer Umfragewerte ist auch der politische Gestaltungsanspruch der Grünen geschrumpft. Die wagemutigste Forderung, die sie sich in Kiel leisten wollten, war die nach einer Plastiktütenabgabe von 22 Cent. Mehr war nicht drin. Ansonsten gab’s nur Altbekanntes, Wiedergekäutes und Platitüden. »Maß und Mitte« war angesagt, ganz so wie es sich Winfried Kretschmann gewünscht hatte. »Wir müssen auf dem Teppich bleiben«, dekretierte der baden-württembergische Ministerpräsident. Da konnte auch die Grüne Jugend mit der von ihr geforderten Wiedereinführung des Spitzensteuersatzes von 53 Prozent, wie es ihn zu Helmut Kohls Zeiten gab, nicht gegen ankommen. Lieber folgten die Delegierten der Mahnung ihres Vorsitzenden Cem Özdemir: »Bitte beschließt kein Wiederbelebungsprogramm für die FDP!« Beschlüsse, die den angestrebten Schulterschluss der Grünen mit Besserverdienenden und Unternehmern stören könnten, widersprachen der Parteitagsregie.
In einem früheren Kommentar hat der langjährige Hessen-Korrespondent der Taz, Klaus-Peter Klingelschmitt, der am Montag mit nur 59 Jahren viel zu früh verstorben ist, geschrieben: »Wichtig für die grünen Politiker ist heute, dass sie ihre Worthülsen auf den Phrasendreschplätzen in der richtigen Folge aneinanderreihen können.« Das hätte auch zu diesem Parteitag gepasst.