Machtkämpfe innerhalb des iranischen Regimes

Fromm ist nicht fromm genug

Nun gibt es auch einen innerislamischen Karikaturenstreit. Unter anderem wegen zweier angeblich gegen »islamische Werte« verstoßender Karikaturen wurde der Herausgeber einer iranischen Regierungszeitung zu einer Haftstrafe verurteilt. Dies ist ein weiteres Indiz für die Verschärfung des Machtkampfes zwischen den Fraktionen des Regimes.

Der innerislamische Streit im Iran nimmt ungeahnte Ausmaße an. Am Dienstag vergangener Woche erschien die Regierungszeitung Iran mit einer halbleeren ersten Seite. Es handelte sich um eine Protestaktion. Zwei Tage zuvor hatte die iranische Justiz bekanntgegeben, dass Ali Akbar Javanfekr, der Herausgeber der Zeitung, zu einem Jahr Gefängnis und drei Jahren Berufsverbot verurteilt worden war. Javanfekr ist alles andere als ein Oppositioneller, er ist der Chef vom Dienst der staatlichen Nachrichtenagentur Irna und ein Berater Mahmoud Ahmadinejads. Er gehört zum Team des Präsidenten, dennoch wurde er schuldig befunden, »gegen die islamischen Werte« verstoßendes Material veröffentlicht zu haben.
Nach der Verkündung des Urteils gab Javanfekr in den Räumlichkeiten des Iran eine Pressekonferenz. Daraufhin stürmten Sicherheitskräfte das Gebäude und setzten Tränengas und Schlagstöcke ein. Javanfekr und 30 Redaktionsmitglieder wurden vorläufig festgenommen. Ahmadinejad intervenierte, die Festgenommenen wurden wieder freigelassen. Javanfekr gab sich damit aber nicht zufrieden, er forderte die Absetzung der Staatsanwaltschaft der Hauptstadt Teheran.
Die Machtkämpfe zwischen den Fraktionen des iranischen Regimes werden mit immer härteren Mitteln geführt. Nach der Amtsübernahme Ahmadinejads im Jahr 2005 wurden die Reformislamisten, die das von Ayatollah Khomeini geschaffene System nicht in Frage stellen, aber eine Liberalisierung befürworten, aus den Machtpo­sitionen verdrängt. Doch gibt es unter den Konservativen neue Fronten. Ahmadinejad und seine Mitarbeiter werden von einem Teil des Staatsklerus unter Druck gesetzt. Die konservative Justiz will die Macht einiger Nationalisten im Umfeld des Präsidenten einschränken. Ahmadinejad betont aber weiterhin seine absolute Treue zum religiösen Führer Ali Khamenei, dem Staatsoberhaupt des Iran. Das rettet ihn.

Die Zeitung Iran darf weiterhin erscheinen, aber am Montag vergangener Woche, einen Tag nach der Verkündung des Urteils gegen Javanfekr, wurde die reformislamistische Zeitung Etemad verboten, zunächst für zwei Monate. Iranische Medien berichten, dass Javanfekr Etemad ein Interview gegeben hat. Er kritisierte in diesem Interview die »orthodoxen« Gegner des Präsidenten, vor allem den früheren Geheimdienstminister Qolamhussein Mohsseni Ejei. Javanfekr wandte sich auch gegen die Kritiker Esfandiar Rahim-Mashais, des Büroleiters Ahmadinejads. Diesem hatten die orthodoxen Islamisten vorgeworfen, von September 2009 bis März 2011 Geheimverhandlungen mit der US-Regierung geführt zu haben. Javanfekr widersprach, schließlich seien solche Verhandlungen ohne das Wissen Ali Khameneis nicht möglich. Damit brachte er den religiösen Führer in Verlegenheit. Hatte dieser etwa einen heimlichen Dialog mit den USA befürwortet?
Einerseits kritisierte Javanfekr die Dissidenten Mir Hussein Mousavi und Mehdi Karroubi, die sich als die Führung der Grünen Bewegung verstehen, er sprach sich aber auch gegen die menschenunwürdige Praxis aus, manche Demonstranten bis zu 60 Tage lang ohne Haftbefehl in Einzelzellen festzuhalten. Bei Aufständen und Unruhen könnten auch Unschuldige »geschädigt« werden, erforderlich sei jedoch ein schneller Prozess. Von der Versammlungsfreiheit will der treue Diener Ahmadinejads nichts wissen, doch soll die islamistische Justiz schneller arbeiten.
Javanfekr kritisierte auch die Korruption. Doch nicht die Regierung Ahmadinejads trage dafür die Verantwortung, vielmehr sei das staatliche Wirtschaftsaufsichtsamt schuld daran, dass Milliardenbeträge veruntreut werden. Er habe das Amt bereits früher für korrupt erklärt, damals hätten die Beamten dieser Behörde sofort seine Zeitung beschuldigt, Geld unterschlagen zu haben. Javanfekr ging auch auf einen im Iran öffentlich geführten politischen Streit über die Frage ein, ob der religiöse Führer Ali Khamenei tatsächlich befürwortet habe, dass der derzeitige Geheimdienstminister Heydar Maslahi im Amt bleibt.

Der Streit zwischen den beiden konservativen Fraktionen wird von der Zeitung Kayhan, die auf der Seite Khameneis steht, und der staatlichen Nachrichtenagentur Irna sowie der Regierungszeitung Iran ausgetragen, die beide Ahmadinejad unterstützen. Immerhin wird der Chefredakteur von Kayhan direkt vom religiösen Führer ernannt, die Zeitung hat nun Irna vorgeworfen, ein Medium von »Abweichlern« zu sein. Damit ist das politische Umfeld Ahmadinejads gemeint. Noch gilt der Präsident selbst nicht als Abweichler.
Neben dem Interview diente ein Artikel, den Mehdi Kolhar, ein ehemaliger Berater Ahmadinejads, in einer Beilage der Zeitung Iran veröffentlicht hatte, als Beweismittel im Prozess gegen Javanfekr. Kolhar hatte die Meinung vertreten, dass iranische Frauen im 19. Jahrhundert traditionelle Formen von Kopftüchern und Schleiern getragen hätten, die anders aussahen als die heutigen Einheitsschleier. Damals lebten 90 Prozent der Iraner auf dem Land. Kolhar will herausgefunden haben, dass einige Mitglieder des damaligen Hofes der Ghajaran-Dynastie nach Europa gereist seien und dort festgestellt hätten, dass die Farbe schwarz unter den Reichen als schick galt. Die Iraner seien in ihre Heimat zurückgekehrt und hätten daraufhin schwarze Schleier für die Frauen am Hof eingeführt.
Kolhar betont, dass er mitnichten die Zwangsverschleierung ablehne, er meine nur, dass die Kopfbedeckung keineswegs schwarz sein müsse, sondern auch bunt sein dürfe. Diese Ansicht hatte auch Hashemi Rafsanjani vertreten, seit Jahrzehnten einer der einflussreichsten iranischen Politiker. Dass Kolhar die Verschleierung in Schwarz als eine Sitte bezeichnete, die von der allen Khomeinisten verhassten Monarchie aus Europa übernommen worden war, dürfte allerdings die Befürworter der düsteren Einheitstracht besonders verärgert haben.
In der genannten Beilage der Zeitung Iran wurden auch einige Karikaturen abgedruckt. Diese sollen aus der Sicht der Regierungszeitung eigentlich sichtbar machen, dass die iranischen Frauen die islamischen Kleidervorschriften nicht ernst nehmen. Wie Kolhar beteuert auch Javanfekr, dass er die Zwangsverschleierung der Frauen befürwortet. Dennoch urteilte die Justiz, dass die Karikaturen von der Bevölkerung anders verstanden werden könnten. Ohnehin sind die konservativen Richter der Ansicht, dass Witze über so ernste Themen wie die Zwangsverschleierung grundsätzlich unangemessen seien.

Ob schwarzer oder bunter Schleier – solche Differenzen mögen für Nichtislamisten unerheblich erscheinen. Doch im Rahmen der Machtkämpfe im Iran gewinnen sie an Bedeutung. Es sei daran erinnert, dass Ahmadinejad Frauen gestatten wollte, sich Fußballspiele im Stadion anzusehen, selbstverständlich verschleiert und strikt getrennt von den männlichen Zuschauern. Doch der strenge Staatsklerus war anderer Ansicht, man befürchtete, Frauen könnten im Freudentaumel auch einmal ihre Kopftücher fallen lassen.
Für solche Streitigkeiten glaubt Khamenei nun eine Lösung gefunden zu haben. Um sicherzustellen, dass der nächste Präsident in jeder Hinsicht zuverlässig sein wird, sollen in Zukunft die vom Wächterrat abgesegneten Kandidaten nicht mehr direkt von der Bevölkerung gewählt werden, sondern vom Majless, dem islamistischen Pseudoparlament. Es geht bei diesem Vorschlag nicht nur um Ahmadinejad und seine Meinungsverschiedenheiten mit orthodoxen Klerikern, sondern auch um die Befürchtung, dass die unvermeidliche Wahlmanipulation erneut, wie im Jahr 2009, Massendemonstrationen auslösen könnte.
Ali Larijani, der Sprecher des Majless, befürwortete die Idee des religiösen Führers und ergänzte sie: Statt eines Präsidenten solle es nur noch einen Ministerpräsidenten geben. Das ergibt Sinn, denn so könnten die islamistischen Abgeordneten einen Ministerpräsidenten nach ihrem Gusto wählen. Die Wahlen zum Majless aber werden sich nicht vermeiden lassen. Sie sollen im März kommenden Jahres stattfinden. Der offenbar beunruhigte Geheimdienstminister Maslahi befürchtet, dass die »sensibelsten« Wahlen seit der Revolution von 1979 zu erwarten seien. Tatsächlich könnten innere Widersprüche die totalitäre Diktatur der Islamisten immer mehr destabilisieren.