Julian Assange steht in der Kritik

Kein Held mehr

Nicht nur die drohende Auslieferung an Schweden setzt den wegen Vergewaltigung angeklagten Julian Assange unter Druck. Auch von den Fans von Wikileaks und von prominenten ehemaligen Unterstützern wird der Gründer der Enthüllungsplattform immer stärker kritisiert.

Vom international gefeierten Medienstar und heimlichen Nobelpreis-Wunschkandidaten zum heftig kritisierten Egomanen – falls Julian Assange jemals nach den Gründen für seinen rasanten Abstieg suchen sollte, müsste er nur aufmerksam die Tweets lesen, die er in diesem Jahr täglich über den Twitter-Account von Wikileaks verbreitet hat. Dass seit längerer Zeit auch in Medien, die exklusiv mit der Enthüllungsplattform zusammenarbeiteten, kritische Artikel über Assange erscheinen, liegt schließlich nicht nur daran, dass Wikileaks keine spektakulären, die Auflagen steigernden Enthüllungen mehr in Umlauf bringt.
Seit bekannt wurde, dass Assange rechtsextreme Antisemiten wie den Holocaustleugner Israel Shamir zu seinem engsten Vertrautenkreis zählt, hat die Zahl seiner Unterstützerinnen und Unterstützer auch in ihm zunächst wohlgesinnten Medien merklich abgenommen. Zumal die Öffentlichkeit mit eigenartig klingenden Tweets des offiziellen Wikileaks-Accounts, den Assange vermutlich selbst betreibt, regelrecht bombadiert wird. »Die Unterwürfigkeit der schwedischen Regierung gegenüber den USA klar zu sehen. Stimmte gegen die palästinensische Mitgliedschaft in der Unesco. Enthielt sich nicht mal«, hieß es beispielsweise in einem Tweet vergangene Woche.
Nun hat der High Court in London, der Stadt, in der sich Assange derzeit unter Hausarrest befindet, den Einspruch gegen die Auslieferung nach Schweden abgelehnt. Dort ist der Whistle­blower wegen Vergewaltigung in zwei Fällen angeklagt.

Bis zu seiner Verhaftung im September vergangenen Jahres hatte Assange von Schweden als einem »europäischen Hort der Freiheit« geschwärmt und sogar einen Umzug nach Stockholm vorbereitet. Inzwischen sieht er das Land als ein von »zionistischen Kräften« kontrolliertes »Saudi-Arabien des Feminismus«. Und so wird jede auch noch so winzige Information, die den angeblich verheerenden Einfluss von schwedischen oder gar amerikanischen Juden und Frauen belegen könnte, beinahe rund um die Uhr via Twitter verbreitet. Unterbrochen wird dieses Stakkato in aller Regel lediglich durch Spendenaufrufe für die klamme Enthüllungsplattform oder Links zu Blogeinträgen, in denen der einzigartige Einfluss von Assange auf praktisch jedes aktuelle Weltereignis mit Ausnahme der Griechenland-Krise hervorgehoben wird.
Eine der Lieblingsquellen ist @swedenvsassange, der Twitter-Auftritt der Website swedenversusassange.com, auf der man sich ebenfalls gern mit Rechtsextremen umgibt. Als Beleg für die Assange angeblich in Schweden drohende Auslieferung an die USA gilt den Macherinnen und Machern der Website ausgerechnet ein Interview des für seine haltlosen Verschwörungstheorien berüchtigten russischen Senders RT (früher Russia Today) mit Paul Craig Roberts, dem ehemaligen Abteilungsleiter für Wirtschaftspolitik im US-Finanzministerium zwischen 1981 und 1982. Roberts schreibt seit Jahren für verschiedene rechtsextreme, verschwörungstheoretische Publikationen wie Counter Punch, Prison Planet und American Free Press, hält Gaza für »das größte KZ der Welt« und die USA für »einen Marionettenstaat Israels«.

Durch besonderes Engagement tut sich allerdings noch ein weiterer Twitter-Account hervor, der laut Eigenbeschreibung und angeschlossener Website einer Gruppe von IT-Fachleuten gehört, jedoch unermüdlich für den Gründer von Wikileaks, gegen den »schwedischen Staatsfeminismus« und die »zionistische Medienelite« sowie gegen die »verbrecherischen USA« kämpft. Die Website, die Rixstep heißt, war noch vor wenigen Jahren als »Fox News der Mac-Welt« bekannt und twittert auf Englisch und Schwedisch immer neue Details über Personen, die die Macher als »Feinde von Wikileaks« identifiziert haben wollen. Ganz oben auf der Liste stehen Thomas Mattsson, der Chefredakteur der schwedischen Tageszeitung Expressen, und Karin Olsson, die Leiterin des Kulturressorts der Zeitung. Als »Gottegrisen« (zu Deutsch: »Bonbon-Schwein«) wird Olsson beharrlich tituliert, während ihr Kollege verächtlich »Humpty Dumpty« genannt wird.
In einem Artikel für den britischen Guardian hatte die schwedische Journalistin über den ihrer Meinung nach durch Assange selbst verschuldeten Niedergang von Wikileaks geschrieben. Die Gründung der Plattform sei »wirklich ein historischer Moment in der Geschichte des Journalismus gewesen«. Selbst unter denjenigen, die nicht Bestandteil der weit verbreiteten schwedischen Kultur des freien Download und des Netzaktivismus gewesen seien, hätten »die Überbleibsel des Antiamerikanismus der radikalen Linken der siebziger Jahre zu einer gewissen Bewunderung für diesen Mann geführt«. Der Held von Wikileaks sei dann jedoch »irgendwo im ihn umgebenden antisemitischen und antifeministischen Schleim verschwunden«.
Wikileaks verbreitet seither Blog-Einträge von Rixstep, die meistens aus beleidigenden Bemerkungen über das Aussehen und die Fähigkeiten der beiden Journalisten bestehen sowie aus endlosen Klagen darüber, dass die beiden in »zionistischen Diensten« stünden. Der Bonnier-Medienkonzern, dem Expressen gehört, gilt dabei als Teil einer jüdischen Weltverschwörung. Rixstep streut zudem über Twitter Bemerkungen über den Tagesablauf der beiden Journalisten ein, die so wirken – und wohl auch so wirken sollen –, als säße in der Redaktion von Expressen jemand, der die Betreiber des Blogs über jeden Schritt der verhassten Redakteure unterrichte und ihnen manchmal auch nach Feierabend folge. Eine klassische Strategie der Einschüchterung also.

Allerdings scheint das unermüdliche Lamento über Assanges Feinde mittlerweile auch den Anhängern des Wikileaks-Chefs zu weit zu gehen. Mit gerade einmal 844 Followern gehört Rixstep nicht zu den beliebtesten Accounts bei Twitter. Für die Verbreitung der wilden Verschwörungsgeschichten sorgt Wikileaks, indem die Stories manchmal mehrmals am Tag immer wieder gepostet werden. Aber selbst bei den treuesten Fans von Assange scheint sich mittlerweile eine gewisse Ermüdung eingestellt zu haben, denn Rixstep-Links werden – wie auch interessanterweise die Spendenaufrufe – längst nicht so massenhaft re­tweetet wie die anderen Botschaften von Wikileaks.
Zumal auch die Konkurrenz von Bonnier sich mittlerweile mit Kritik an Assange nicht mehr zurückhält. Am vergangenen Sonntag erschien im Boulevardblatt Aftonbladet, das bis vor kurzem noch offizieller Kooperationspartner von Wikileaks war, ein Artikel des Journalisten und Schriftstellers Jan Guillou. Der mit der sperrigen Überschrift »Die Feinde von WikiLeaks haben allen Grund, Assange zu danken« versehene Text ist eine Abrechnung mit dem ehemaligen Lieblings-Whistleblower.
»Zutiefst ironisch« findet Guillou, dass der Untergang von Wikileaks nicht von denjenigen eingeleitet worden sei, »die einen Grund haben, Wikileaks zu verabscheuen und zu bekämpfen, wie etwa die amerikanische Regierung und ihre Spionageorganisationen«. Julian Assange sei selbst dafür verantwortlich.
Der Text muss Assange sehr schmerzen, denn Guillou gilt als israelfeindlich. In einem Interview aus dem Jahr 1977 hatte er beispielsweise gesagt: »Ich bin Optimist, ich hoffe, dass Israel lange vor dem Armageddon aufhören wird, zu existieren.« Zudem war er eine Art Urvater des Whistle­blowing, denn 1974 veröffentlichte er gemeinsam mit einem Kollegen geheime Unterlagen der Organisation »Försvarsstabens särskilda byrå«, (im Volksmund irrtümlich »Informationsbyrån« genannt), die in unterschiedlichen Formen etwa 20 Jahre lang im Auftrag und mit Deckung des schwedischen Militärs Informationen über Linksextremisten und andere als »Sicherheitsrisiko« eingestufte schwedische Bürgerinnen und Bürger gesammelt hatte. Nicht einmal die Abgeordneten des Parlaments hatten von der Existenz der Gruppe gewusst, die unter anderem auch im Ausland spionierte. Guillou musste nach der Veröffentlichung wegen Geheimnisverrats zehn Monate ins Gefängnis.

Auch ein weiterer prominenter Unterstützer von Wikileaks, Dan Josefsson, hatte kurz zuvor im Aftonbladet seine Enttäuschung über Assange zum Ausdruck gebracht. Der mehrfach ausgezeichnete Journalist, der im Jahr 2000 die Annahme des vom Bonnier-Verlag gestifteten »Stora Journalistpriset« unter Verweis auf seinen Kampf gegen Medienkonzentration verweigert hatte, hatte seit 2008 mehrfach über das »faszinierende neue Projekt für mehr Demokratie und Meinungsfreiheit« geschrieben. Nach einem Treffen mit Assange hatte er sogar ernsthaft erwogen, für Wiki­leaks zu arbeiten. In seinem Artikel stellt er nun nüchtern fest, dass »Assange als kompromissloser Kritiker der Mächtigen einen ungerechtfertigten Heldenstatus erreicht hat«. Die Kritik der Macht sei nämlich nicht von ihm erfunden worden und die Veröffentlichung geheimer Papiere gelte spätestens seit den siebziger Jahren als wesentlicher Bestandteil des Journalismus. Wikileaks habe, genau betrachtet, »nur technische Lösungen für ein zeitgemäßes Einsammeln solcher zugespielten Informationen bereitgestellt«, aber viel mehr stecke nicht dahinter, und mittlerweile könne theoretisch jede beliebige Organisation diese Technik nutzen. Josefsson zitiert dabei einen Blog-Eintrag aus dem Jahr 2006, in dem Assange schwärmerisch »große Parallelen« zwischen sich selbst und dem russischen Schriftsteller und Oppositionellen Alexander Solschenizyn zieht. Auch er habe die Fähigkeit, Lügen zu entlarven und Dinge so zu sehen, wie sie wirklich seien, hatte der damals 35jährige Assange geschrieben.
»Stalin schickte Solschenizyn ins Gulag. Ein australisches Gericht gab Assange nur das geteilte Sorgerecht für sein Kind. So sieht sie aus, die Welt in schwarz-weiß«, konstatiert Dan Josefsson und gibt zu: »Ich war so fasziniert von dem Material, das Assange zugespielt wurde, dass ich mich weigerte, ihn als das zu sehen, was er wirklich ist: ein einsamer und gebrochener Libertärer, der die demokratische Gesellschaft vernichten will.«