Charlotte Rampling und der Dokumentarfilm »The Look«

Das stille Altern der Jugend

Charlotte Rampling gehört zu den unverwechselbaren Unbekannten des europäischen Kinos. In einem Dokumentarfilm kann man ihr nun dabei zuschauen, wie sie über sich selbst redet.

Um es so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, spricht man, wenn man von Charlotte Rampling sprechen möchte, am besten gleich zu Anfang von Lars von Trier. In dessen neuestem Mystagogen-Schmarren »Melancholia« hat Rampling nämlich, neben Charlotte Gainsbourg, unglücklicherweise eine Hauptrolle übernommen. Ohnehin wird ihr vom kunstbeflissenen europäischen Feuilleton eine innige Nähe zu »intellektuellen« und »schwierigen« Stoffen und Regisseuren attestiert. Für Luchino Visconti hat sie in »Die Verdammten« und für Woody Allen in »Stardust Memories« gespielt. Für Nagisa Oshima stand sie in dem zoophilen Psychodrama »Max mon Amour« vor der Kamera, das die Liebesbeziehung einer alternden Diplomatengattin zu einem Schimpansen schildert, und unter der Regie von Liliana Cavani spielte sie gemeinsam mit Dirk Bogarde in dem Skandalfilm »Der Nachtportier«, der von dem sadomasochistischen Verhältnis eines ehemaligen KZ-Wärters mit einem überlebenden weiblichen Opfer erzählt. Vor zwölf Jahren hat Rampling zum ersten Mal für »Unter dem Sand« mit François Ozon zusammengearbeitet, später auch in seinen Filmen »Swimming Pool« und »Angel«.
Dass Rampling ihre Karriere in den sechziger Jahren mit harmlosen Komödien, Krimis und Gastrollen in TV-Serien wie »Mit Schirm, Charme und Melone« begonnen und die Brotarbeit für das Unterhaltungskino nie ganz aufgegeben hat – sogar in der grottenschlechten Fortsetzung von »Basic Instinct« übernahm sie eine Rolle –, wird von ihren Bewunderern meistens kulant unterschlagen. Als Engländerin, die sich schon in jungen Jahren gegen Hollywood und für Europa entschieden hat, gilt sie hierzulande gleichsam als lebender Beweis der europäischen Avantgarde gegen die US-amerikanische Kulturindus­trie. Ihre Biographie schien diese Deutung zu bestätigen. Geboren in Essex als Tochter eines Offiziers, besuchte sie bedeutende Eliteschulen in England und Frankreich und arbeitete als Fotomodell, bevor sie an der angesehenen Schauspielschule »The Royal Court« in London Schauspielunterricht nahm. Sehr schnell entschied sie sich dann aber gegen eine Karriere in dem an Hollywood orientierten britischen Unterhaltungskino, um stattdessen für »Die Verdammten« mit Visconti zusammenzuarbeiten, und begründete ihre Entscheidung öffentlich und publikumswirksam mit den Worten, sie wolle nicht länger irgendwelche »Püppchen« spielen, die nichts anderes zu tun hätten, als »dem Plot zu folgen«. Fortan galt sie als Intellektuelle unter den Schauspielerinnen, als zynische und scharfzüngige Britin, die trotz zahlreicher Versuchungen ihr kulturelles Erbe nicht verraten habe.
Zu dieser Haltung schien zu passen, dass Rampling sich nicht nur in ihren Rollen, sondern in ihrer gesamten Selbstinszenierung von Beginn an gängigen Schöheitsidealen verweigerte. Insbesondere zum Typus der femme fragile, wie ihn zur gleichen Zeit in Frankreich etwa Jane Birkin verkörperte, mit deren Tochter Charlotte sie nun selbst für Lars von Trier spielt, passte ihr Habitus überhaupt nicht, umso weniger, als sie ihm äußerlich noch am besten zu entsprechen schien. Schmal, hochgewachsen und weitgehend ohne weibliche Formen, hatte Rampling anders als damals Birkin und heute Gainsbourg dennoch nichts Zierliches und Zerbrechliches, sondern wirkte stets auf seltsam ätherische Weise kalt, sarkastisch und bitter, weit eher Inbegriff der souveränen Dame als der Kindfrau. Im europäischen Feuilleton wurde das so verstanden, dass hier endlich einmal jemand angetreten war, die Oberflächlichkeit und Stereotypie der »amerikanischen« Geschlechterrollen im Namen von Kultiviertheit, Hintergründigkeit und Kritik zu zerschlagen. Worum es in den großen Rollen, die die heute 65jährige Rampling im Laufe ihres Lebens gespielt hat, eigentlich ging, ist dabei aus dem Blick geraten.
Tasächlich besteht die wichtigste Gemeinsamkeit, die Ramplings Spiel, gerade auch in ihren zahlreichen, eher unscheinbar angelegten Nebenrollen, bis heute auszeichnet, in der unübertroffen genauen Verkörperung des Alters – eines Alters, das mehr und anderes meint als den biologischen Lebensprozess. Schon in ihren frühen Rollen scheint Ramplings Blick gleichsam weit von der eigenen Zukunft her zu kommen und vom Schmerz eines schweren Lebens zu zeugen, aber auch von einer durch Erfahrung errungenen Gelassenheit und Souveränität, die über die empirische Jugend hinausweisen. Wenn sie sich selbst mitunter als »Monster« oder »Relikt« bezeichnet hat, reflektieren solche Äußerungen wohl dieses Moment der Ungleichzeitigkeit, das Bewusstsein um das Alter als einen Prozess, der sich unter der Oberfläche des biologischen Alterns und oft auch im Widerspruch zu diesem vollzieht.
Je älter Rampling dann tatsächlich wurde, umso mehr kehrte sich dieses Verhältnis um, und in ihren späten Filmen, die oft mit einem in der Filmgeschichte seltenen Mut die sexuellen Sehnsüchte und Bedürfnisse älterer Menschen zum Thema haben, scheint sie wiederum noch im Alter ein Moment von Jugend und Zukunftshoffnung festhalten zu wollen, ohne deshalb zu einem Exemplar jener notorisch »jungen Alten« zu werden, die heutzutage die Wirklichkeit im Kino und im Leben so unerträglich machen. Insbesondere Laurent Cantets grandioser Film »In den Süden«, worin Rampling die Rolle einer alternden Frau spielt, die sich gemeinsam mit ihren Freundinnen auf Haiti sexuelle Dienstleistungen junger Männer kauft, gelingt es, diese Bedürfnisse jenseits aller sozialkritischen Klischees über Sextourismus, Kolonialismus und Geschlechterhierarchien zu verteidigen. Obwohl er den deprimierenden und ausbeuterischen Charakter dieses mit umgekehrten Rollen vollzogenen Tauschhandels in jeder Szene festhält, erzählt Cantet nicht von diesem, sondern von alldem, was über die ökonomische Konstellation hinaus zwischen den Menschen geschieht, von Liebessehnsucht, flüchtiger Intimität und damit auch davon, dass Sexualität selbst, wenn sie ausdrücklich als Ware angeboten und konsumiert ist, nie einfach nur mit ihrer Warenform identisch ist.
Leider geht es in dem Interviewfilm »The Look« der deutschen Regisseurin Angelina Maccarone, der dieser Tage in die Kinos kommt und in dem Rampling eine ganze Spielfilmlänge lang über sich selbst sprechen darf, nur sehr wenig um das, was sie als Schauspielerin auszeichnet, dafür aber umso mehr um ihren Lebensweg und ihr »Selbstverständnis«. Gegliedert in neun existentialistische Themensitzungen über »Liebe«, »Tabu«, »Tod«, »Schönheit« und ähnliches, werden Rampling hier nur noch einmal die Stichworte geliefert, mit deren Hilfe sie sich dem europäischen, und insbesondere dem deutschen, Publikum als intellektuelle, selbständige und kraftvolle Frauenpersönlichkeit darstellen kann, als wäre es schön und nicht eher schade, dass dieser Typus immer noch als Ausnahme von der Regel beworben werden kann. Wer wissen möchte, wer Charlotte Rampling wirklich ist, sollte sich statt dessen ihre früheren Filme ausleihen. In den Kinos laufen die nämlich nur selten.

»Charlotte Rampling – The Look« (Deutschland 2011). 98 Minuten. Kinostart: 20. Oktober.