Deutschland gibt kein Geld für die Gedenkstätte des KZ Sobibor

Geläutert und kaltschnäuzig

Die Zukunft der Gedenkstätte für das Vernichtungslager Sobibor ist ungewiss. Aus Deutschland gibt es bisher keine finanzielle Unterstützung.

Im Vernichtungslager Sobibor wurden von Mai 1942 bis Oktober 1943 170 000 bis 250 000 Menschen ermordet, fast ausschließlich Juden. Die Nazis versuchten, alle Spuren der Taten zu verwischen, und brannten das Lager nieder. Im Jahr 1961 ließ der polnische Staat ein Mahnmal auf dem Aschefeld errichten, allerdings ohne einen Hinweis auf die jüdischen Opfer. Erst 1993 wurden zum Jahrestag des Häftlingsaufstandes vom 14. Oktober 1943 ein Museum eröffnet und die Gedenktafel ausgewechselt (Jungle World 48/2009).

Nachdem im Juni bekannt geworden war, dass der zuständige polnische Landkreis die Gedenkstätte nicht länger finanzieren kann, appellierte der polnische Staatssekretär und Auschwitz-Überlebende Wladyslaw Bartoszewski an die sogenannte internationale Gemeinschaft, insbesondere an Deutschland, die Stiftung Sobibor zu unterstützen. Seit Anfang Juli ist die Gedenkstätte wieder zugänglich, das polnische Kultusministerium hat die Finanzierung vorläufig übernommen. Die Bundesregierung verweigerte jedoch die Hilfe. Auf eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Jan Korte (Linkspartei), weshalb die Regierung keine finanzielle Unterstützung leiste, hieß es, man messe den Gedenkorten im Ausland außerordentliche Bedeutung bei und finanziere bereits das Museum der Geschichte der Juden in Warschau sowie die Stiftung Auschwitz-Birkenau mit 60 Millionen Euro bis zum Jahr 2015, aber »die polnische Seite« habe sich »bislang nicht an die Bundesregierung mit der Bitte um Unterstützung zum Erhalt der Gedenkstätte Sobibor gewandt«. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes teilte in der ARD-Sendung »Kontraste« Ende Juli mit: »Die Botschaft Warschau und auch unsere Generalkonsulate in Polen stehen Gedenkprojekten offen gegenüber. Weiterer Bedarf ist bisher nicht an die Bundesregierung herangetragen worden.«
Auch Deutschland hat die »Theresienstädter Erklärung« unterschrieben. Im Juni 2009 wurde sie auf Initiative des Ministerpräsidenten der Tschechischen Republik von insgesamt 46 Staaten verabschiedet. In der Erklärung werden alle Unterzeichner dazu aufgerufen, die historische Forschung zu fördern, »jährliche Gedenk- und Gedächtnisfeiern zu unterstützen beziehungsweise einzuführen sowie Mahnmale und andere Gedenkstätten und Orte zur Erinnerung an das unermessliche Leiden zu erhalten«. Auch die Rückgabe von geraubtem Eigentum wird gefordert. Es soll den Opfern oder ihren Nachfahren zurückgegeben oder diese sollen finanziell entschädigt werden. Falls keine Erben vorhanden sind, sollen die Entschädigungen in einen Fonds zur Unterstützung der Holocaustopfer einfließen. Von einer Zahlungsverpflichtung der Länder ist allerdings nicht die Rede.
Außenminister Guido Westerwelle lehnt die finanzielle Unterstützung von Gedenkstätten in Polen aus einem ganz bestimmten Grund ab. Gemäß der Theresienstädter Erklärung seien »alle Länder aufgefordert, die auf ihrem jeweiligen Territorium befindlichen Gedenkstätten zu erhalten«. Weil die Pflege der Gedenkstätten aus Sicht des Außenministers unter die Hoheit des jeweiligen Staats fällt, kann Deutschland demnach auf eine Zahlung verzichten. Vernichtungslager wie Sobibor, Treblinka und Belzec gab es nur auf polnischem Boden. Durch Westerwelles Beharren auf der nationalen Zuständigkeit wird die Finanzierung der Gedenkstätten einfach zum Problem Polens erklärt. Dabei ignoriert Westerwelle, dass in der Theresienstädter Erklärung abschließend zu internationaler Zusammenarbeit bei der Erinnerungs- und Entschädigungspolitik aufgefordert wird. Der Gedenkstättenleiter von Sobibor, Marek Bem, sagte Ende Juli in »Kontraste«, dass Sobibor »vor allem deutsches Kulturerbe« sei: »In meinen Augen hat die Bundesregierung lebenslänglich eine Pflicht, für diesen Ort zu sorgen und ihn finanziell zu unterstützen. Und zwar zu 99 Prozent. Schließlich hat Deutschland diesen Ort errichtet.«

20 000 Menschen besuchen jährlich die Gedenkstätte in Sobibor. Für den Erhalt und das Personal fallen im Jahr Kosten von 250 000 Euro an. »Seit einigen Jahren planen Polen, Israel, die Slowakei und die Niederlande die Neugestaltung der Gedenkstätte«, sagt Florian Ross vom Bildungswerk Stanislaw Hantz, das die Arbeit der Gedenkstätte unterstützt. Doch die Planungen nähmen noch viel Zeit in Anspruch. Auch für einen solchen Umbau wäre Geld nötig.
Der Forderung der Stiftung und ihrer Unterstützer begegnen deutsche Repräsentanten bislang jedoch mit selbstzufriedener Borniertheit, etwa mit dem Verweis auf die Unterstützung der Stiftung Auschwitz-Birkenau. Angesichts der deutschen »Erinnerungspolitik« des vergangenen Jahrzehnts ist diese Reaktion bezeichnend. Spätestens seit dem »Gedenkjahr« 2005 stellt sich Deutschland als geläuterte Nation dar, auch den deutschen KZ-Gedenkstätten kommt dabei als nationalen Symbolen und »Lernorten« eine wichtige Rolle zu. Nun zeigt der Gedenk-, Erinnerungs- und Aufarbeitungsweltmeister sich von seiner kaltschnäuzigen Seite. Eine Gelegenheit, dagegen zu protestieren und der Forderung nach einer finanziellen Beteiligung der Bundesregierung öffentlich Nachdruck zu verleihen, böte der 14. Oktober. Dann jährt sich der Aufstand der Häftlinge in Sobibor zum 68. Mal. Bislang ist es allerdings recht still in der deutschen Linken.