Friede der Bastille

»Maximilien Robespierre: Der Schlächter von Paris«, »Blutrünstige Ankläger, gefälschte Beweise: Der Schauprozess ­gegen Ludwig XVI.«, »Gräber, Grauen und Gebete: Alles über die Christenverfolgung in Frankreich«, »Erst Haarschnitt, dann Halsschnitt: Die letzten Stunden der Marie Antoinette«, »Massaker in der Vendée: War es Völkermord?«, »Franzosen fragen: Wo bleibt der Kuchen?« Wenn die Französische Revolution heutzutage stattfände, hätte sie wohl keine gute Presse. Die Bundesregierung würde beide Seiten zum Dialog auffordern und sich Sorgen machen, ob Ludwig wohl noch Gelegenheit haben werde, die gelieferten Bajonette zu bezahlen. Antiimperialisten würden auf den Einfluss des amerikanischen Agenten Lafayette hinweisen und feststellen, dass es ausländischen Verschwörern nur darum gehe, die französischen Weinstöcke unter Kontrolle zu bekommen. Die Folgen der Assignatenschwemme für die europäischen Börsen wären ein vieldiskutiertes Thema. Ein typischer Kommentar würde wohl so klingen: »Was Frankreich braucht, sind nicht Rache und Vergeltung, sondern Versöhnung mit sich selbst und der Vergangenheit, dazu Öffnung nach außen.« Das allerdings schrieb Michael Stürmer in der Welt über Ägypten.
Es ist an sich ein Fortschritt, dass von Revolutionären begangene Verbrechen nicht mehr ignoriert oder geleugnet werden. Bislang scheint es allerdings nur in Libyen zu vereinzelten Racheaktionen gekommen zu sein. Da das Genörgel über die arabische Revolte dennoch zunimmt, schadet es nicht, sich daran zu erinnern, dass zwischen dem Sturm auf die Bastille und der Einführung des Frauenwahlrechts 155 Jahre vergingen und noch 1961 mitten in Paris 40, vielleicht auch mehr als 200 Demonstranten von Polizisten massakriert wurden, die keinen Prozess fürchten mussten. Die Araber hingegen sollen die Demokratisierung in ein paar Monaten bewältigen, selbstverständlich gewaltfrei und mit gebührender Rücksichtnahme auf die fragile Weltwirtschaft. Nach der Revolution muss umgehend das Vertrauen der ausländischen Investoren und Politiker zurückgewonnen werden, die das ancien régime unterstützt haben. »Denn ohne Vertrauen der weiteren Nachbarschaft, namentlich Amerika und Europa, gibt es weder Investitionen noch Ausbildungshilfe«, mahnt Stürmer. Im Korruptionsverfahren gegen Hosni Mubarak könnten auch Geschäfte mit Siemens zur Sprache kommen. Schafft man so Vertrauen? Ohnehin ist es nachtragend, Mubarak wegen des Todes von kaum mehr als 800 Menschen juristisch zu belangen. »Manche reden blutrünstig von der Todesstrafe. Die Militärs treiben, statt den alten Mann friedlich sterben zu lassen, ein abstoßendes und hochgefährliches Spiel mit dem Volkszorn.« Vom Volkszorn verstehen die Deutschen mehr als von der Revolution, doch die arabischen Revolutionäre wissen zum Glück, dass für die Bastille keine Eintrittskarten verkauft werden.