Gewalt am Frauentag in Kairo

Zum ersten Mal auf der Straße

Die Demonstration zum internationalen Frauentag in Kairo endete im Chaos. Die Frauen und Männer, die auf dem Tahrir-Platz demonstrierten, wurden von gewalttätigen Männergruppen angegriffen, die sich von der Forderung nach Gleichberechtigung provoziert fühlten.

Am Anfang sah es noch aus, als würde auf dem Tahrir-Platz ein großes Fest stattfinden. Wochenlang war hier um die Zukunft Ägyptens gekämpft worden. Seit dem Rücktritt von Präsident Hosni Mubarak finden hier spontane Feiern aller Art statt.
Am 8. März gehört der Platz den ägyptischen Frauen, die den internationalen Frauentag und die allgemeine Aufbruchsstimmung im Land nutzen wollen, um für mehr Rechte zu demonstrieren. Leila Emam ist begeistert. »Das ist phantastisch!« sagt die junge Frau mit der Sonnenbrille. Sie steht hinter einem großen Plakat und deutet auf die zahlreichen Männer, die zur Demonstration gekommen sind:. »Ich freue mich sehr, dass so viele Männer da sind. Sie demonstrieren mit uns zusammen, das gab es noch nie!« Rund 1 000 Frauen und Männer sind heute hier, sie halten Transparente, singen und skandieren Parolen. Busse und Taxis schieben sich hupend durch die Menge, Kinder malen den Menschen die ägyptische Flagge auf die Haut. Man kann kaum unterscheiden zwischen den Leuten, die zur Frauendemonstration gehören, und denen, die mit anderen Forderungen oder nur aus Neugier gekommen sind. Doch das stört Emam nicht weiter. »Während der Proteste ist ein neues Bewusstsein entstanden«, sagt sie.
So sieht das auch Mahitab Almadi, die als Comiczeichnerin für die Filmindustrie arbeitet. Die Freude über die Ereignisse ist der Frau mit den wilden Locken deutlich anzumerken. »In den vergangenen Wochen hat sich so viel in diesem Land und in den Köpfen der Menschen verändert«, sagt sie. »Die Menschen sind viel offener geworden. Das ist unsere Chance.« Sie zählt die Forderungen der Demonstrantinnen auf: gleiche Vertretung von Frauen auf allen Ebenen, 50 Prozent Frauen im Parlament, mehr Ministerinnen, Richterinnen, bessere Bildung für alle, gleiche Rechte für alle Frauen, in der Stadt wie auf dem Land, für Reiche und Arme. »Wir haben diese Revolution mitgetragen«, sagt Emam, »jetzt wollen wir auch in der Zeit nach Mubarak eine Rolle spielen. Wir wollen sichtbar sein!«
Auch Nawla Daroush schaut lächelnd über die vielen Frauen, die sich auf dem Platz versammelt haben: »Wir haben den Frauentag jedes Jahr gefeiert«, sagt sie. »Aber zum ersten Mal feiern wir auf der Straße.« Daroush ist Präsidentin der New Woman Foundation, seit Jahren setzt sie sich für Frauenrechte ein. Zu früh freuen allerdings will sie sich nicht. »Nichts hat sich bisher verändert«, sagt Daroush. In der Kommission für die neue Verfassung sei keine einzige Frau vertreten. »Auf der offiziellen Ebene ist es, als wäre keine Frau an der Revolution beteiligt gewesen.«
Mohamed Menam und Islam Said stehen in der zweiten Reihe, etwas am Rande des Platzes. Die zwei jungen Männer waren an den Protesten auf dem Tahrir-Platz beteiligt, heute sind sie hier, um die ägyptischen Frauen zu unterstützen. »Wir wechseln uns alle halbe Stunde ab«, sagt Menam und deutet auf die Reihe junger und älterer Frauen vor ihnen, die Transparente schwenken und ihre Parolen rufen.

Doch nicht alle Männer und Frauen, die heute auf dem Platz sind, unterstützen die Forderungen der Demonstrierenden. Am Rande haben sich mehrere kleine Gruppen versammelt, die die Demonstration teils neugierig, teils misstrauisch beäugen. Einige kommen näher und beginnen, mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Demonstration zu diskutieren.
Vor allem die Forderung nach einer Änderung der Verfassung, die auch Frauen ermöglichen soll, für das Präsidentenamt zu kandidieren, sorgt für Unmut – nicht nur bei Männern, die sich gegen die Demonstrantinnen stellen, sondern auch bei vielen der umstehenden Frauen. »Ihr seid die Kinder von Suzan Mubarak!« wird den Demonstrantinnen entgegengerufen, in Anspielung auf die Ehefrau des ehemaligen Präsidenten, die als ähnlich korrupt galt wie er. »Das sind keine Ägypterinnen!« heißt es auch, »sie wurden von Ausländerinnen angestachelt!«
Andere sind der Meinung, die Frauen wollten »die Revolutionsbewegung spalten«. »Männer und Frauen müssen jetzt zusammenarbeiten, wir sollten keine solchen Trennungen herstellen«, lautet die Kritik. Die Forderungen der Frauen werden zu »Partikularinteressen« erklärt, um die man sich kümmern solle, nachdem die Demokratie aufgebaut sei. Zeitweise sind Slogans wie »Nicht jetzt, nicht jetzt!« zu hören.
»Wir teilen nicht die Ansichten der Demons­trantinnen«, sagt Ismail Habi, ein junger Mann, entschlossen. »Ein solches Bild der Frau passt nicht zu Ägypten.« Dies habe nichts mit Religion zu tun, sondern damit, dass die Frau von Natur aus anders, schwächer und für bestimmte Berufe nicht geeignet sei. Immer wieder schaut er halb verunsichert, halb ärgerlich zu den Demonstrantinnen und Demonstranten hinüber. »Es ist schlecht für das Land, wenn die Frauen wichtige Posten übernehmen«, sagt er. Häufiger verweisen Kritiker auf den sozialen Status der Demonstrantinnen und Demonstranten. »Das sind alles reiche Leute«, kritisieren viele der umstehenden Frauen. »Schaut, was für teure Plakate sie haben, wo haben sie das Geld her? Während der Revolution hatten wir nicht einmal Geld für Stifte. Sie können sich solche Forderungen leisten, wir haben ganz andere Probleme.«
Am späten Nachmittag ändert sich die friedliche Stimmung auf dem Platz. Die Diskussionen zwischen den Leuten, die am Rand stehen, und den Demonstrierenden werden immer lauter. Es wird gestritten. Versuche, die Lage zu beruhigen, scheitern. Es kommt zu Handgreiflichkeiten und sexuellen Übergriffen, die Frauen und ihre Unterstützer werden ins Gesicht geschlagen, viele müssen fliehen. Der internationale Frauentag endet in Chaos und Gewalt.

Während diese Ereignisse in den internationalen Medien ausführlich diskutiert wurden, fand das gewalttätige Ende der Frauendemonstration in der ägyptischen Öffentlichkeit wenig Beachtung. Hier konzentrierte man sich auf die Auseinandersetzung zwischen Kopten und Muslimen, die am selben Tag eskalierte. Die Frauen und Männer, die die Demonstrationen zum Frauentag organisiert und miterlebt haben, sind vor allem schockiert. Eine solche Ablehnung seitens vieler Mitbürgerinnen und Mitbürger hätten sie nicht erwartet. Schließlich habe man wochenlang gemeinsam gegen das Regime gekämpft. »Ich schäme mich dafür, dass das in unserem neuen Ägypten passiert ist«, sagt der Aktivist Ahmed Madiya.
In Ägypten verändert sich derzeit viel. Vieles tritt zu Tage, was bisher unsichtbar blieb, auch die Spaltungen, die sich quer durch die Gesellschaft ziehen. Nicht nur in Hinblick auf geschlechterpolitische, sondern auch auf soziale Fragen. Auf der einen Seite steht eine junge Generation, die nach wochenlangen Protesten auf dem Tahrir-Platz die Erfahrung gemacht hat, dass ein politischer Wandel möglich ist, was bisher undenkbar schien. Auf der anderen Seite stehen aber auch viele Ägypterinnen und Ägypter, die möglicherweise von der Geschwindigkeit der Veränderung verunsichert sind und möglichst schnell zur »Normalität« zurückkehren wollen. Die Gewalt am Frauentag in Kairo zeigt, wie leicht diese Verunsicherung von reaktionären Gruppen, die sich auch nach dem Sturz des alten Regimes einer grundlegenden Änderung der Gesellschaft widersetzen, missbraucht werden kann.