Erfolge für Tunesiens Demokratiebewegung

Die Revolution ist nicht beendet

Auch nach dem Umsturz in Tunesien ­haben noch viele Mitglieder des alten Regimes Macht und Einfluss. Doch die Demokratiebewegung kann erste Erfolge verzeichnen.

Nächstes Jahr wäre eine ungewöhnliche Premiere möglich, dann könnte nämlich mit Tunesien erstmals ein arabisches Land von Freedom House als frei eingestuft werden. Nicht nur herrscht seit dem Sturz des Präsidenten Zine al-Abidine Ben Ali in Tunesien offiziell Pressefreiheit, vergangene Woche löste das Innenministerium gar die politische Polizei auf, den Mukhabarat. Eine Maßnahme, die, wie Minister Fahrat Rajhi auf Facebook mitteilte, ganz den »Prinzipien und Werten der Revolution« entspreche.
Es klingt keineswegs übertrieben, wenn der US-Historiker Juan Cole dies als wohl seit Jahrzehnten wichtigste Demokratisierungsmaßnahme in der arabischen Welt bezeichnet. Gerne gerät in Vergessenheit, dass Tunesien bislang zu den repressivsten Staaten in Afrika zählte, Folter und willkürliche Verhaftungen waren an der Tagesordnung, die Angst vor dem Mukhabarat war allgegenwärtig.

Bereits im Januar hatte die Regierung das für Zensur zuständige Informationsministerium abgeschafft. Trotz solcher Fortschritte kritisierten vor allem jene jungen Tunesier, die sich als »Wächter der Revolution« verstehen, dass der Wandel zu langsam vorangehe. Während, anders als in Ägypten, das Militär in Tunesien sich aus der Politik weitgehend heraushält, fürchtete man auf den Straßen tunesischer Städte noch immer, dass die Vertreter des alten Herrschaftsapparats an der ihnen verbleibenden Macht festhalten könnten.
Deshalb waren Zehntausende in den vergangenen Wochen erneut gegen alle noch Regierungsämter ausübenden Mitglieder der ehemaligen Staatspartei RCD auf die Straße gegangen. Sie forderten vor allem den Rücktritt des im Januar ernannten Premierministers Mohammed Ghannouchi, der als enger Weggefährte des gestützten Präsidenten gilt. Ohne den Druck von der Straße, so hieß es, drohe der revolutionäre Impuls zu verpuffen. Nach mehrtägigen, zum Teil mit gewaltsamen Zusammenstößen endenden Demonstrationen, bei denen es mehrere Tote gab, trat Ghannouchi zurück. In der am 27. Februar neu gebildeten Interimsregierung, die bis zur Wahl eines Übergangsparlamentes am 24. Juli im Amt sein soll, befinden sich nun keine Mitglieder der Regierung Ben Alis mehr. Sie wird von dem 84jährigen Juristen Béji Caïd Essebsi geleitet, der seit 1991 kein politisches Amt mehr innehatte.

Dem RCD wurde kurze Zeit später von einem Gericht in Tunis jede weitere Aktivität untersagt, auch dies war ein bedeutender Schritt, de facto kommt dieses Verbot einer Auflösung gleich. Wie die Parteiführung und die Mitglieder auf dieses Urteil reagieren werden, ist offen. Seit dem Sturz Ben Alis hatten Schläger des RCD immer wieder versucht, Chaos und Unruhe zu verbreiten. Ihnen konnten Überfälle auf Gewerkschaftsbüros und auf Oppositionelle nachgewiesen werden.
Drohten allerdings noch bis Ende Februar Massendemonstrationen das öffentliche Leben lahmzulegen, beruhigte sich die Lage nach dem Rücktritt Ghannouchis merklich. Weiterhin wird allerdings in verschiedenen Landesteilen demonstriert und gestreikt, am Montag traten die Busfahrer in den Ausstand.
So beeindruckend nämlich die politischen Veränderungen in Tunesien momentan sind, die ökonomische Lage sieht weiter trübe aus. Die Einnahmen aus dem Tourismus und dem Export sind in den vergangenen Monaten zurückgegangen. Die tunesische Wirtschaft war zudem völlig auf die Bedürfnisse des Diktators zugeschnitten gewesen. Nach Schätzungen einer neu eingerichteten Antikorruptionsbehörde befanden sich über 60 Prozent aller Unternehmen des Landes im Besitz des Clans Ben Alis. Eine hohe Arbeitslosenquote und die damit einhergehende Perspektivlosigkeit, die auch ein Auslöser der Revolution gewesen sind, bestehen überall weiter fort. Überdies haben in Folge der Aufstände gegen Muammar al-Gaddafi unzählige Tunesier ihre vergleichsweise gut bezahlten Jobs im Nachbarland Libyen verloren und kehren nun zurück.