Über die Freundschaft zwischen Italien und dem libyschen Regime

Keine Freundschaft hält ewig

Die italienischen Regierungen pflegten immer ein besonderes Verhältnis zu Libyen. Neben den engen wirtschaftlichen Beziehungen und der Flüchtlingspolitik spielt die Geschichte eine Rolle im Verhältnis Italiens zu seiner ehemaligen Kolonie.

Mit den offiziellen Freundschaftsbekundungen ist es erst einmal vorbei. Nachdem Silvio Berlusconi zu Beginn der Unruhen in Libyen zurückhaltend reagiert hatte und seinen Freund »nicht stören« wollte, sagte er am Wochenende, Muammar al-Gaddafi habe die Kontrolle über sein Land verloren. Außenminister Franco Frattini ließ wissen, dass Italien die von den Vereinten Nationen beschlossenen Sanktionen gegen Libyen unterstütze und mittlerweile einen Rücktritt Gaddafis für »unvermeidlich« halte. Schließlich verkündete der Verteidigungsminister Ignazio La Russa, der Freundschafts- und Kooperationsvertrag zwischen Italien und Libyen existiere »de facto« nicht mehr.
Anders als die Inszenierung der Altherrenfreundschaft zwischen Berlusconi und Gaddafi in den vergangenen Jahren vermuten ließ, bemühten sich in Italien die Politiker parteiübergreifend um die Gunst des libyschen Machthabers. 1998 entschuldigte sich der linksliberale damalige Ministerpräsident Massimo D’Alema erstmals für die Verbrechen des italienischen Kolonialregimes zwischen 1911 und 1943. Fünf Jahre später reiste sein Amtsnachfolger Berlusconi zur Einweihung der »Greenstream« nach Libyen. Diese größte Gaspipeline des Mittelmeerraums war von der libyschen National Oil Corporation gemeinsam mit dem italienischen Energiekonzern ENI gebaut worden, sie führt von der westlibyschen Stadt Mellitah ins sizilianische Gela. Anlässlich dieser einträglichen Verbindung sprach Berlusconi von »ewiger Freundschaft« und ernannte Gaddafi zum »Führer der Freiheit«. Dem libyschen Staatsoberhaupt reichte die Schmeichelei nicht, er forderte Wiedergutmachung. Das Freundschafts-und Kooperationsabkommen, das schließlich im August 2008 unterzeichnet wurde, verband die Interessen beider Seiten.
Mit dem Vertrag verpflichtet sich Italien, innerhalb eines Zeitraums von 20 Jahren fünf Milliarden Dollar an Libyen zu zahlen. Als Gegenleistung versprach Gaddafi, unerwünschte afrikanische Migraten daran zu hindern, Italien zu erreichen. Er akzeptierte gemeinsame Patrouillenfahrten vor der Küste Libyens und die »Rückführung« abgefangener Flüchtlingsboote in libysche Häfen.

»Ausgesetzt« ist das Freundschaftsabkommen bisher insofern, als die libysche Polizei La Russa zufolge derzeit »nicht in der Lage ist, sich an die Vereinbarungen zu halten«. Sobald die innenpolitischen Konflikte gelöst seien, so hofft der Verteidigungsminister, werde der libysche Staat seiner Aufgabe, die Flüchtlinge zurückzudrängen, wieder nachkommen. Sollten Italiens transatlantische Bündnispartner dagegen eine militärische Intervention in Libyen erwägen, käme Italien in die Verlegenheit, das Abkommen »aussetzen« zu müssen. In Artikel 4 des Freundschaftsvertrags wurde festgeschrieben, dass von italienischem Boden kein feindlicher Angriff auf Libyen ausgehen darf. Italien dürfte sich demnach weder an Angriffen beteiligen noch seine Militärstützpunkte zur Nutzung freigeben.
Das von der Uno angestrebte Waffenembargo trifft vor allem die italienische Rüstungsindus­trie, die allein in den Jahren 2008/2009 für über 205 Millionen Euro militärisches Material an Gaddafis Regime lieferte. Libyen ist überhaupt einer der wichtigsten Handelspartner Italiens. Mehr als 100 italienische Firmen sind in Libyen tätig, nicht zuletzt, weil ein Großteil des Geldes, das infolge des Freundschaftsvertrags gezahlt werden muss, durch die Vergabe von Bauaufträgen an italienische Firmen an das Geberland zurückfließen soll. Der Mailänder Baukonzern Impregilo ist beispielsweise am Bau von Universitäten und dem Ausbau des Autobahnnetzes mit Aufträgen im Wert von einer Milliarde Euro beteiligt. Italien steht damit an dritter Stelle unter den ausländischen Investoren in Libyen. Umgekehrt hat Gaddafis Regime viele Pedrodollar in italienische Unternehmen investiert. Bei Unicredit, Italiens größtem Bankhaus, hält der libysche Staat Aktienanteile von über sieben Prozent, ebenso hoch ist die libysche Beteiligung beim Fußballclub Juventus Turin. Am größten ist die wechselseitige Abhängigkeit der beiden Länder aber im Energiesektor. Italien importiert ein Viertel seines Rohöl- und ein Zehntel seines Gasbedarfs aus Libyen. Die Experten rechnen zwar bisher nicht mit einem Versorgungsengpass, wohl aber mit einem Anstieg der ohnehin überdurchschnittlich hohen italienischen Energiepreise.
Italiens besondere Beziehung zu Libyen basiert nicht allein auf der wirtschaftlichen Verflechtung beider Länder, ebenso wichtig ist die nicht aufgearbeitete Vergangenheit. In der frühen, noch vorfaschistischen Kolonialzeit sprach der Nationaldichter Gabriele D’Annunzio von der »vierten Küste« Italiens; dieser Ausdruck prägt noch ­immer das Libyen-Bild und den italienischen Anspruch auf die Vorherrschaft im Mittelmeerraum.

Die Beziehung Italiens zu Gaddafi war allerdings von Anfang an ambivalent. Bis heute fürchtet man sich vor seiner Unberechenbarkeit, vor der Gefahr, er könnte die gelieferten Waffen gegebenenfalls auch gegen Italien einsetzen. Schließlich betonte Gaddafi immer wieder, dass Libyen die Verbrechen der Kolonialherrschaft nie vergessen könne. Ein Jahr nach seiner Machtübernahme wurden alle Italiener, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Land geblieben waren, aus Libyen ausgewiesen. Noch bei seinem ersten Besuch in Rom im Frühjahr 2009 trug Gaddafi trotz aller urkundlich beglaubigten Freundschaft ein Bild des berühmten Widerstandskämpfers Omar Mukthar am Revers, der 1934 von den Faschisten getötet worden war. Andererseits machte der ENI-Konzern über all die Jahre seine Ölgeschäfte mit Gaddafi und durfte dafür auch Tausende von italienischen Arbeitern ins Land holen.
Viele parteiunabhängige Kommunisten bewunderten den Revolutionsführer allerdings für seinen Versuch, einen »libyschen Weg zum Sozialismus« zu finden, fern dem Imperialismus der USA und in Abgrenzung zum Kommunismus der UdSSR. Sie glaubten an die von Gaddafi in seinem »grünen Buch« verbreitete Idee von der ­direkten Demokratie der »Volkskomitees« und hegten deshalb seit jeher große Sympathie für die »Jamahiriyya«. Dass diese von Gaddafi zur offiziellen Staatsbezeichnung erhobene »Volksmassenherrschaft« sich nun gegen ihn selbst richte, erscheint ihnen als unerklärlicher »tragischer Epilog«. Rossana Rossanda, Mitbegründern der Tageszeitung il manifesto, kamen vergangene Woche Zweifel, ob die Linke nicht vielleicht »progressiven Illusionen« aufgesessen sei. Valentino Parlato, ein politischer Weggefährte Rossandas, hält dagegen ungebrochen an seiner Verehrung für Gaddafi fest. Trotz aller selbstherrlichen Eskapaden dürfe man nicht vergessen, dass Gaddafi 1969 die antisemitische Dynastie König Idris I. gestürzt und Libyen zu einer modernen Nation, einem laizistischen Staat, gemacht habe. Bei der Mehrheit der Linken stößt diese Haltung auf Unverständnis und entrüstete Ablehnung.
Die italienischen Medien bemühen sich trotz der inzwischen eindeutigen Positionierung der Regierung weiterhin um eine ausgeglichene Berichterstattung. Eine Gruppe von Journalisten aller großen Tageszeitungen, die sich seit einer Woche auf Einladung von Gaddafi in Tripolis aufhält, hat übereinstimmend Berichte über angebliche Massengräber und Bombenangriffe auf die Bevölkerung in Tripolis dementiert – ebenso aber auch die Darstellung Gaddafis, in Tripolis gebe es keine Proteste. Auch einige ihrer Landsleute, die erst am Wochenende mit Militärmaschinen aus Libyen ausgeflogen werden konnten, beklagten sich über die Verbreitung von Fehlinformationen. Vor ihrer Evakuierung hätten sie vor den Folgen der vielen Falschmeldungen die größte Angst gehabt.