Über Boliviens »Nein« beim Klimagipfel

Einer spielt nicht mit

Die Abschlusserklärung der Klimakonferenz in Cancún bleibt vage. Nur Bolivien verweigerte die Zustimmung.

Wir befinden uns in Cancún im Jahre 2010. Die ganze Welt ist sich einig. Die ganze Welt? Nein! Ein von unbeugsamen Indigenen bevölkerter Staat hört nicht auf, gegen die verlogene Klimadiplomatie Widerstand zu leisten.
Es ist leicht, die Klimakonferenz im mexikanischen Cancún als absurdes Theater darzustellen: Repräsentanten von 193 Staaten – auch China und die USA, Saudi-Arabien, Kuba und Venezuela sind dabei – verabschieden am 11. Dezember nach zähen Verhandlungen unverbindliche Erklärungen. Die Versammlungsleiterin Patricia Espinosa, die mexikanische Außenministerin, wird frenetisch gefeiert, als sie den Widerspruch Boliviens zu Protokoll nimmt und kurzerhand erklärt: »Konsens bedeutet nicht Einstimmigkeit.« Selbst Umweltorganisationen sind positiv überrascht, der World Wildlife Fund spricht gar von einem Sieg der Vernunft. Dabei scheinen alle doch nur froh zu sein, dass überhaupt eine Einigung zustande gekommen ist.
Bolivien sieht die Vernunft auf seiner Seite. Die »irrationale kapitalistische Industrialisierung« sei, stellt Präsident Evo Morales fest, die strukturelle Ursache des Klimawandels. Da ist es nur konsequent, dass sein Botschafter den hohlen Erklärungen von Cancún nicht zustimmt, denn eine Revolution wurde dort nicht beschlossen. Am konkretesten ist noch die Vereinbarung, ein nachvollziehbares Verfahren unter internationaler Kontrolle einzurichten, mit dem der Ausstoß klimaschädlicher Gase gemessen wird.
Überdies bekennen sich die Staaten dazu, den Temperaturanstieg auf höchstens zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau begrenzen zu wollen. Allerdings würden alle freiwilligen Verpflichtungserklärungen, die in Cancún aufgeschrieben wurden, die Erwärmung wohl erst bei über drei Grad stoppen. Da ist der beschlossene »Green Climate Fund«, der armen Ländern bei der Anpassung an den schon stattfindenden Klimawandel helfen soll, bitter notwendig. Doch wo die 100 Milliarden Dollar jährlich herkommen sollen, ist noch unklar.
Trotzdem waren die Klimaverhandlungen mehr als absurdes Theater. Zwar lässt sich nicht vorhersagen, ob sie dazu beitragen, den Klimawandel entscheidend zu verlangsamen. Aber in der Einigung blitzt so etwas wie ein rationales Kalkül auf: Wenn wir nicht neue Regeln für die internationale wirtschaftliche und machtpolitische Konkurrenz schaffen, werden alle Verlierer sein. Wenn wir den gewaltigen technologischen Wandel vorantreiben, der nötig ist, eröffnen sich neue Geschäftsfelder. Öl wird ohnehin knapp und damit teuer, dies hilft bei der Einsicht, dass die Weltwirtschaft nicht länger auf fossile Energieträger aufgebaut sein darf. Außerdem gibt es ein Interesse der Industriestaaten, Konflikte im Zaum zu halten, die durch den Klimawandel verschärft werden. Die Hilfe zur Anpassung an den Klimawandel soll nicht zuletzt unkontrollierte Flüchtlingsströme verhindern.
»Klimagerechtigkeit«, wie Bolivien sie fordert, wird so freilich nicht hergestellt. Für Klimagerechtigkeit würde aber auch eine UN-Deklaration der »Rechte der Mutter Erde« mitsamt einem internationalen Klimagerichtshof, wie sie Bolivien vorschlägt, nicht sorgen. Einen Zaubertrank hat auch Evo Morales nicht.