Das Bundesamt für Verfassungsschutz lässt seine Vergangenheit erforschen

Nazis in bester Verfassung

Das Bundesamt für Verfassungsschutz lässt seine nationalsozialistische Vergangenheit erforschen.

Publikumswirksam wurde vor einigen Wochen die Beteiligung des Auswärtigen Amtes an Naziverbrechen offengelegt. Die Studie über die Verstrickungen der Diplomaten scheint auch das Erkenntnisinteresse anderer Institutionen geweckt zu haben. Unlängst kündigte der Bundesnachrichtendienst (BND) ein ambitioniertes Vorhaben zur Erforschung seiner Vergangenheit an. Über vier Jahre soll eine Historikerkommis­sion die Nachkriegskarrieren ehemaliger Agenten untersuchen.

Bei diesem allgemein honorierten Wissensdrang möchte der Auslandsnachrichtendienst vermutlich nicht allzu weit hinter dem Bundeskriminalamt (BKA) zurückstehen. Schon 2007 hatte dieses bekanntgegeben, sich mit der Studie »Die Historie des BKA: Verbindungslinien zum NS-Regime« seiner Vergangenheit stellen zu wollen. Insofern ist es nicht überraschend, dass nun auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ein Forschungsprojekt in Auftrag gibt, um die »Nachwirkungen des Nationalsozialismus in der ›wehrhaften Demokratie‹« abschätzen zu können. Dabei soll die Gründungsphase des BfV von 1950 bis 1975 »kritisch« beleuchtet werden. Genaueres erfahren möchte man über die Anzahl von Mitarbeitern mit NS-Vergangenheit und deren Einfluss auf die Arbeit und Organisation des deutschen Inlandsnachrichtendienstes. Ein besonderes Augenmerk soll sich auf die für die Personalgewinnung und Einstellungspraxis maßgeblichen politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen richten.

Pionierarbeit leistete vor zehn Jahren der Historiker Patrick Wagner, der in einem Aufsatz auf die personalen Kontinuitäten und Traditionslinien ehemaliger SD-Angehöriger und Gestapo­beamter im BfV aufmerksam machte. Dessen Belastung mit NS-Chargen – es handelte sich teilweise um Ex­tremtäter aus der mittleren Führungsebene – war bereits Anfang der sechziger Jahre durch die gezielte Indiskretion des BfV-Angestellten Werner Pätsch öffentlich bekannt geworden. Der Geheimdienstler hatte sich mit Informationen über illegale Abhörpraktiken an einen Redakteur des Spiegel gewandt.
Durch die Aufdeckung der Abhöraffäre unter Druck geraten, sah sich die damalige Bundesregierung veranlasst, die Personalpolitik und in diesem Zusammenhang auch die Vorhaltungen über Mitarbeiter mit NS-Vergangenheit untersuchen zu lassen. Das sogenannte Silberstein-Gutachten von 1964 fand letztlich bei 16 von insgesamt 865 Mitarbeitern des BfV eine exponierte Gestapo- oder SD-Vergangenheit. Ein Beispiel dafür ist der frühere Gestapo-Kommissar und SS-Hauptsturmführer Johannes Strübing, der seine Gefangenen zur Folterung in das KZ Sachsenhausen überführte. Unter neuer Regie rühmte sich »Gestapo-Strübing« seiner ausschlaggebenden Rolle bei der Zerschlagung der Widerstandorganisation »Rote Kapelle«. Strübing, den der Vorwurf, mit einem durch »verschärfte Vernehmungen« abgepressten Geständnis zur Hinrichtung eines deutschen Diplomaten beigetragen zu haben, beinahe die Verbeamtung gekostet hatte, brachte es im BfV immerhin noch zum »Amtmann«.
Erich Wenger, der damalige Leiter der Beschaffung in der Abteilung Spionageabwehr des BfV, war im Rang eines SS-Hauptsturmführers und Kriminalrats im Amt IV (Gestapo) des Reichssicherheitshauptamtes tätig gewesen und hatte es bis zum Chef der Gestapo an der Deutschen Botschaft in Paris gebracht. Wenn alliierte Verbindungsoffiziere das BfV besuchten, hielt sich der Abteilungsleiter vorsichtshalber versteckt. Die bis Mitte der fünfziger Jahre den Alliierten vorbehaltene Entscheidungsbefugnis über die Einstellung höherer Beamter und Angestellter konnte die später als »SS-Crew« ausgewiesene Riege durch ihre Vernetzung konterkarieren.
Während sich Werner Pätsch im Herbst 1965 als »Geheimnisverräter« vor dem Bundesgerichtshof verantworten musste, verfuhr man mit den Nazichargen im Amt glimpflich. Ein Mitarbeiter wurde pensioniert, sieben weitere frühere Funktionsträger des NS-Terrorapparats wurden in andere Behörden versetzt. Seitdem befindet sich ein Großteil der dem Silberstein-Gutachten zugrundeliegenden Unterlagen unter Verschluss.
Für das Auftragsprojekt hat das BfV nun eigene Aktenbestände an das Bundesarchiv Koblenz übergeben. Ähnlich ging vor einigen Jahren der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen vor, als er ausgewählte Dokumente als Quellengrundlage für eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Untersuchung über die Gründungsgeschichte des Verfassungsschutzes des Bundeslandes freigab. Diese erste wissenschaftliche Bestandsaufnahme einer Landesbehörde erinnert stellenweise an eine Festschrift, Distanz zur Überwachungs- und Ausgrenzungspraxis im Kalten Krieg ist kaum erkennbar. Ob das auf drei Jahre angelegte Forschungsvorhaben des BfV neue kritische Befunde hervorbringen wird, ist entsprechend fraglich. Derzeit erscheint es zu verlockend, die nachholende, meist nur altersbedingte »Entnazifizierung« der Inlandsgeheimdienste als demokratische Erfolgsbilanz zu präsentieren.