Wer erschoss Buback? Über Verena Becker und den Verfassungsschutz

Spitzel außer Kontrolle

Hat Verena Becker bereits seit 1972 mit dem Verfassungsschutz zusammengearbeitet? Wolfgang Kraushaars Thesen zum Fall Becker sind durchaus schlüssig.

Dass die wegen des Mordes an Siegfried Buback angeklagte Verena Becker bereits vor 1977 mit dem Verfassungsschutz zusammengearbeitet hat, »ist und bleibt eine begründete Vermutung. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.« Mit diesen Worten schließt Wolfgang Kraushaar sein vor wenigen Tagen erschienenes Buch »Verena Becker und der Verfassungsschutz«. Akribisch und wissenschaftlich genau versucht Kraushaar die These zu untermauern, dass Becker bereits Anfang der siebziger Jahre vom damaligen Westberliner Verfassungsschutz angeworben wurde, nicht erst im Herbst 1981.
Schnell ist der Leser mittendrin in dem zurzeit in aller Öffentlichkeit aufgeführten Kriminalfall: Wer erschoss Buback? Doch Kraushaar geht einen Schritt weiter und fragt: Warum schützen die bundesdeutschen Ermittlungsbehörden so offensichtlich Verena Becker? Er fragt sich sogar, ob nicht »Becker den Generalbundesanwalt im staatlichen Auftrag erschossen« habe. Die Konstel­lation ist brisant: Verfassungsschutz (VS) gegen Bundeskriminalamt (BKA) gegen Sicherungsgruppe Bonn gegen Bundesanwaltschaft (BAW), und mittendrin noch der Bundesnachrichtendienst (BND), die Stasi und der Westberliner VS. Kraushaars Argumentation wirkt schlüssig. Denn spätestens seit dem Fall Ulrich Schmückers, der Mitte der Siebziger unter den Augen des Westberliner VS als »Verräter« von seinen eigenen Genossen oder gar von einem weiteren VS-Spitzel ermordet wurde, weiß man: Nichts ist unmöglich.
Vielleicht hätte es Kraushaars Buch gut getan, wenn er mehr auf die politischen Bedingungen der Zeit eingegangen wäre. Damals gab es, weil sich die politischen Verantwortlichen vor den neuen sozialen Bewegungen fürchteten, auch eine Eskalationstheorie von rechts: Die Verhältnisse sollten zugespitzt werden, um dann so richtig aufzuräumen. Deshalb waren es nicht nur einzelne Beamte oder einzelne Apparate, die Dinge einfach geschehen ließen, obwohl sie von ihnen wussten.
Auch ist inzwischen mehr über die psychologische Disposition der Spitzel bekannt. Schmücker wollte nach seinen Aussagen beim VS unbedingt zurück zur Bewegung 2. Juni – und war deshalb sowohl für den VS als auch für die Stadtguerilleros gefährlich. Es ist durchaus denkbar, dass dem VS auch die Kontrolle über Becker entglitt, diese also sowohl Aussagen beim VS machte als auch sich selbst dafür hasste und gerade deshalb als Hardlinerin in der RAF auftrat.
Kraushaars These zur Verwicklung des BND ist hingegen nicht überzeugend, die Anwesenheit des von ihm ins Spiel gebrachten BND-Observationstrupps während der Schießerei in Singen wirkt unwahrscheinlich. Denkbar wäre: Als Becker sich nach der Entführung von Peter Lorenz im März 1975 im Südjemen wiederfand, konnte sie nicht einfach ihren VS-Führungsoffizier anrufen, Mobiltelefone gab es schließlich nicht. Deshalb wäre es durchaus logisch, dass an diesem Punkt ein Kontakt zum BND zustande kam, der sich ja auch im Begnadigungsverfahren äußerte. Kraushaar wird sich in manchen Punkten sicher geirrt haben. Aber sein Verdienst ist es, als erster die heiklen Fragen zu den tatsächlichen Vorgängen im April 1977 gestellt zu haben.