Mag den Drehverschluss

Drehverschluss!

Carsten Henn ist Hobby-Winzer und einer der renommiertesten Weinautoren Deutschlands. Er ist Kolumnist bei Vinum – Europas Weinmagazin und schreibt für den »Gault Millau Wein-Guide Deutschland«. Er hat den »Weinführer Supermarkt« und das Buch »Weinwissen für Angeber« herausgegeben. Außerdem hat er mehrere Kriminalromane verfasst, die fast immer mit Wein zu tun haben. Im Web: carstensebastianhenn.de

Würden Weintrinker zu Bacchus beten, gäbe es sicher etliche Beschwerden über Korkschmecker, die Plage des göttlichsten Getränks der Welt, den das Kryptonit für den Superman der Flüssigkeiten. Ich verfluche die Abende, an denen ein korkiger Wein die Laune zerstört, ich betrauere die Flaschen großer Weinkunst, die der Korkschmecker ins Jenseits befördert. Korken sind Kultur, ja, richtig, die portugiesischen Korkeichen lebende Denkmäler. Und die sollte man erhalten – aber muss ich deshalb fehlerhaften Wein trinken und auch noch Geld dafür ausgeben?
Grundsätzlich mag ich Kork, dieses gleichermaßen elastische wie feste, von der Natur hervorgezauberte Material. Meine Birkenstocks haben Korksohlen, darin läuft es sich klasse, mit Kork kann man auch ausgezeichnet Häuser isolieren – aber ihn in Weinflaschen stecken? Die edelsten Tropfen wurden früher nicht mit Korken verschlossen, sondern versiegelt. Da gab es keinen Sauerstoffaustausch durch den Korken. Weil: nicht nötig. Ist ja genug Sauerstoff zur Reifung im Flaschenhals.
Dem Kunststoffkorken, dem künstlichen Klon, kann ich ebenfalls wenig abgewinnen, das ist ein unehrlicher Verschluss: Plastik, das so tut, als sei es Kork. So wie Engländer, die so tun, als könnten sie Fußball spielen. Funktioniert einfach nicht. Dazu kommt, dass es immer mal wieder Plastikkorken gibt, die eben doch Geschmack an den Wein abgeben: Plastikgeschmack. Ich mag keinen Plastikgeschmack. Ich mag Weingeschmack.
Deswegen auch: Drehverschluss. Da schmeckt der Wein nach Wein, auch nach Jahren noch. Ich habe alte Flaschen mit Drehverschluss verkosten dürfen – ja, die gibt es. 20, 30 Jahre gelagerte Flaschen. Die waren top in Schuss. Ich brauche kein Plopp, ich brauche keinen Korkenzieher, ich brauche keinen Schmuh. Es gibt sehr elegante Drehverschlüsse mit innenliegendem Gewinde, es macht Spaß, sie zu drehen, und es klingt auch nett.
Und es ist irre praktisch. Bekommt man die Flaschen nicht leer, dreht man den Verschluss einfach wieder drauf. Einen Korken wieder in den Flaschenhals zu bekommen, kann sehr, sehr schwierig sein, bei Plastikkorken ist es häufig ein nahezu unmögliches Unterfangen – und dann passt die Flasche nicht mehr ins Flaschenfach des Kühlschranks, weil sie wegen des hervorstehenden Korkens zu hoch sind.
Auf der anderen Seite der Erdkugel, in Australien, weiß man Bescheid. Da schraubt das Weingut Penfolds fast alles zu – auch seine berühmtesten Weine. Von den Australiern lernen, heißt, das Weintrinken lernen. Ein Spruch von erfahrenen Weinsammlern lautet: Bei alten Tropfen gibt es keine Weine mehr, es gibt nur noch Flaschen. Weil jede anders ist, weil jeder Korken anders ist. Einige sind göttlich, andere sind grottig. Das ist wie Russisches Roulette. Ich spiele lieber Flaschendrehen.