Reform der Bankenregulierung in den USA

Regulieren statt kollabieren

Das Gesetz zur Regulierung des US-Finanzsektors wurde vom Senat verabschiedet. Doch politisch profitieren kann Präsident Barack Obama von der Reform nicht.

Erst in letzter Minute gelang es den Demokraten, sich die nötige Unterstützung zu sichern. Schließlich aber stimmten auch drei moderate republikanische Senatoren für das Gesetz zur Regulierung der US-Finanzbranche. Ein Demokrat, der linke Senator Russ Feingold, votierte zwar gegen die Reform, da sie aus seiner Sicht nicht annähernd weit genug geht, um eine Wiederholung des Kollapses verhindern zu können. Doch mit 60 Stimmen wurde die erforderliche Mehrheit erreicht, die Gesetzesvorlage passierte vergangene Woche den Senat. Die Regulierung des US-Bankensystems ist damit beschlossene Sache.
Angepriesen als die umfassendste Reform der Bankenregulierung seit der Großen Depression der dreißiger Jahre, besteht das Gesetz im Wesentlichen aus fünf Maßnahmen. Der Derivatenhandel wird zwar nur geringfügig eingeschränkt, doch anders als früher müssen die Regulierungsbehörden über fast alle Transaktionen informiert werden. Eine partielle Trennung zwischen der Verwaltung des Vermögens von Anlegern und dem Geschäft mit Derivaten wird eingeführt.
Bislang waren mehrere Behörden für die Überwachung der Finanzbranche zuständig. Das ermöglichte das »Regulierer-Shoppen«, die Banken konnten entscheiden, welche Behörde sich mit ihren Geschäftspraktiken befassen sollte. Nun wird eine oberste Instanz geschaffen, der Financial Services Oversight Council, der auch frühzeitig vor Gefahren für das Finanzsystem warnen soll.
Während der Finanzkrise galten viele Banken als »too big to fail«, der Staat konnte ihren Bankrott nicht riskieren, ohne das gesamte Finanzsystem zu gefährden. In Zukunft soll die US-Regierung, wie es bei Sparkassen bereits der Fall ist, bedrohte Investmentbanken übernehmen und abwickeln können. Überdies wird eine Verbraucherschutzbehörde für Finanzdienstleistungen ein­gerichtet. Sie wird ermächtigt, Standards für Aktienfonds, Hypotheken und anderen Investmentprodukte festzulegen und deren Einhaltung zu überwachen.
Die Urheber des Gesetzes, die Demokraten Chris Dodd und Barney Frank, feiern die Reform als ­einen Erfolg. Doch ist die Verabschiedung des Gesetzes nur der Beginn einer längeren Auseinandersetzung. Denn obgleich die Reform eine strengere Regulierung der Finanzmärkte ermöglicht, kommt es darauf an, wie das Gesetz angewendet werden wird. »Es hängt nicht davon ab, was im Reformgesetz steht, sondern wie die Regulierer das Gesetz interpretieren, wer die Richtlinien schreibt und wer diese geltend macht«, kommentierte John Taylor, Präsident der Verbraucherschutzorganisation National Community Reinvestment ­Coalition. »Nichts ist entschieden«, resümiert Thomas Ferguson, Professor für Politologie an der University of Massachusetts.
Entgegen den Wünschen der Fed, ihrer Mitgliedsbanken (jede national registrierte Privatbank besitzt Anteile der Fed) und der Regierung wurde auch eine unabhängige Untersuchung der Aktivitäten der Notenbank vor, während und nach dem Kollaps im Herbst 2008 beschlossen. Damals hatte die Fed Notkredite und andere Hilfen in einer Höhe von etwa zwei Billionen Dollar an eine bislang unbekannte Zahl großer Finanzinstitutionen vergeben. Obwohl das Finanzministerium für diese Kredite bürgt, sind bislang kaum Einzelheiten bekannt. Nicht einmal Kongressmitglieder wissen, was damals passiert ist.
Mit der Buchprüfung »werden wir herausfinden, welche Zombie-Banken an der Wall Street durch die Gelder der Notenbank ein neues Leben bekamen«, triumphierte Alan Grayson, ein progressiver demokratischer Abgeordneter im Repräsentantenhaus. Noch nie zuvor in der fast hundertjährigen Geschichte der Fed wurde Regierungsauditoren Einsicht in die Bücher gewährt.

Befürworter dieser Revision, zu denen Senator Bernie Sanders, der einzige erklärte Sozialist im Kongress, ebenso gehört wie der rechtslibertäre Abgeordnete Ron Paul, fordern eine dauerhafte Wirtschaftsprüfung bei der Fed. Mit dem nun erzielten Ergebnis sind sie jedoch vorläufig zufrieden. Bis zum Dezember muss die Fed bekannt geben, wie viel Geld an wen verteilt wurde und ob die Banken diese Kredite zurückgezahlt haben. Ob ausländische Banken profitierten, wird man dann wohl ebenfalls feststellen können.
Obwohl »die Wall Street« verhasst ist, scheinen die regierenden Demokraten und Präsident Barack Obama politisch nicht von der Bankenreform zu profitieren. Die Frage, ob die Regulierungsmaßnahmen das Risiko eines Zusammenbruchs mindern, hat für die meisten Amerikaner derzeit keine große Bedeutung. Umfragen zufolge sind sie besorgt wegen der anhaltend hohen Arbeitslosenrate von über zehn Prozent, der Stagnation bei den Löhnen, des immensen Wachstums des Haushaltsdefizits bei gesunkenen Einnahmen und der weiterhin hohen Zahl von Zwangsvollstreckungsverfahren bei Immobilien.
Maßnahmen zur Lösung eines vor zwei Jahren aktuellen Problems machen die Regierung nicht populärer. Bei den Kongresswahlen im Herbst müssen die Demokraten den Prognosen zufolge mit einer Niederlage rechnen. Wie sogar Obamas Pressesprecher Robert Gibbs jüngst anmerkte, könnten die Republikaner die Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses zurückgewinnen.

Als unproduktiv kann Obama nicht gelten. Er brachte bereits Anfang 2009 das »Stimulusgesetz«, das 900 Milliarden Dollar zur Förderung der Konjunktur bereitstellte, dann die Gesundheitsreform und nun die Reform des Finanzsektors durch den Kongress. Somit hat er in gut anderthalb Jahren mehr grundlegende legislative Erfolge erzielt als George W. Bush in zwei Amtszeiten.
Das konservative Magazin Politico konstatiert jedoch, dass Obama mit jedem Erfolg an Unterstützung verliert. Die Umfragen bestätigen das, nur noch etwa 45 Prozent der Amerikaner stimmen der Politik des Präsidenten zu. Vor allem progressive und linke Kritiker entziehen ihm die Zustimmung. John Boehner, der Minderheitsführer im Abgeordnetenhaus, kündigte bereits an, dass die Republikaner die Finanzreform rückgängig machen wollen.