Linker Running Gag

Die Krise treibt am Wochenende erneut die Menschen auf die Straße. Dabei geht es weniger um Forderungen als um den Versuch, offensiveren Protest zu etablieren.

»Wir zahlen nicht für eure Krise!« Das Motto ist nicht mehr als eine hilflose Absichtserklärung, allein schon deshalb, weil wir eben für die Krise zahlen werden – und das nicht zu knapp. Dennoch ist es zum Running Gag linker Mobilisierungsprofis geworden, die ihren Widerstand gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf Lohnabhängige und Erwerbslose verdeutlichen wollen. Auch am kommenden Samstag sollen wieder Tausende gegen die Sparpläne der Regierung auf die Straße gehen. Stuttgart und Berlin sind die Orte, zu denen bundesweit mobilisiert wird. Die Forderungen des zentralen Aufrufs sind eher defensiver Art und teilweise widersprüchlich. Sie oszilieren zwischen Keynesianismus und Antikapitalismus, Regulierung des Finanzsektors und radikaler Arbeitszeitverkürzung. Sie stellen ein Gemisch dar, aus dem sich jeder etwas heraussuchen kann, mit dem aber niemand so richtig glücklich wird. Auf Indymedia werden denn auch schon Stimmen laut, die provokativ dazu ermuntern, am 12. Juni doch lieber die Badeseen zu bevölkern, anstatt sich an einer »Latschdemo« der »staatstragenden Linken« zu beteiligen.
Für all jene, die sich noch auf die sozialen Realitäten beziehen, stellt sich die Frage, was denn die Alternative zu derlei Krisenprotesten sein soll. Müllcontainer anzünden? Einen Briefkasten in die Luft sprengen? Oder eine dieser kleinen feinen Demos »gegen Lohnarbeit« organisieren, bei denen die radikale Linke unter sich bleibt?
Viele Linke haben es sich angewöhnt, ihre Teilnahme an dieser oder jener Demonstration davon abhängig zu machen, ob ihnen der Aufruf gefällt, und weniger davon, was eigentlich deren Anlass ist. Diese ideologiekritische Sicht, bei der erst dann Zufriedenheit aufkommt, wenn am Schluss ein herzhaftes »Für den Kommunsimus!« steht, ist längst zum Identitätsklimbim verkommen. Es ist Folklore, die mit einer radikalen Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse nichts mehr zu tun hat, weil sie keinen Bezug mehr zu realer sozialer Bewegung hat. Eine Empfehlung könnte stattdessen lauten: hingehen, kritisch mitdemonstrieren, wenn es das Seelenheil erfordert, auch mit eigenem Flugblatt oder Transparent. Entscheidend ist, sich auf bestehende Kämpfe einzulassen, auch wenn sie noch so deprimierend und schwach sein sollten. Radikalisierungsprozesse fangen dort an, wo Menschen konkre­­­te Erfahrungen machen und dadurch scheinbar Selbstverständliches in Frage stellen. Sie beginnen nicht mit der Lektüre des Flugblatts, das die Fetischgestalten der kapitalistischen Produktionsverhältnisse entlarvt, oder dem Besuch eines entsprechenden Kapital-Lesekurses. Dieser Schritt kommt vielleicht später.
Am Samstag sind es nicht der DGB-Bundesvorstand oder die Gewerkschaftsführungen von IG Metall und Verdi, die auf die Straße gehen, keine übermächtigen Apparate, die mit Massenmobilisierungen um Repräsentanz und Akzeptanz innerhalb der Sphäre der Macht ringen. Es sind die Teile der Gewerkschaften, die an sozialen Mobilisierungen orientiert sind, zusammen mit Attac, diversen Migrantenorganisationen und Erwerbslosengruppen. Die aufrufenden und mobilisierenden Gewerkschaftsgliederungen haben verstanden, dass es für sie ums Eingemachte geht. Denn auch im vergangenen Jahr sind die DGB-Gewerkschaften wieder um mehr als 100 000 Mitglieder geschrumpft. Gegen den drohenden Absturz ist die Hinwendung zu einer Kultur des offensiven Protests erforderlich, eine Wendung, zu der der Gewerkschaftsapparat offenbar nicht in der Lage ist. Wo die Linke den bewegungsorientierten Kräften hilft, den Weg aus den Verhandlungsräumen und Hinterzimmern zurück auf die Straße zu finden, hilft sie sich auch selbst.