Wer sind die Anhänger der Tea-Party-Bewegung?

Der Aufstand der Alten

Vor fast genau einem Jahr wurde in den USA die »Tea Party« gegründet, ein Netzwerk nervöser Rechter, die den Kurs der Obama-Regierung entschieden ablehnen. Darum kämpfen sie schon jetzt um Wählerstimmen für die Zwischenwahlen im November. Über ein schlüssiges Konzept oder überzeugendes politisches Personal verfügt die Bewegung jedoch nicht.

Man hört dieser Tage viel von ihnen, den Anhängern der Tea Party. Allerorts sind sie zu sehen, die typisch amerikanischen Durchschnittsbürger, wie sie mit ihren einschlägigen Accessoires – Flagge, T-Shirt und Dreispitz – durch die Straßen marschieren und laut Parolen skandieren. Glaubt man den Medien, steht bald die nächste Revolution ins Haus. Die Wirklichkeit sieht etwas anders aus. An einem verregneten Samstagvormittag versammelt sich eine Gruppe von knapp 100 von ihnen im Ballsaal des Green Hotels, einem kitschigen Prunkschlösschen in einem Vorort von Los Angeles, in dem Besserverdienende wohnen. Am Empfang hängen Parteiplakate und amerikanische Flaggen. Die Eingangshalle ist so gut wie leer. Das Banner mit der Aufschrift »Los Angeles Tea Party« hängt schief. Auf den Tischen liegen zerknitterte Broschüren herum. Das trostlose Buffet wurde von den ausgehungerten Patrioten bereits leergefuttert

Im Ballsaal werden monotone Reden gehalten. Das Hauptthema des Tages ist die Neubegrenzung von Wahlbezirken – nicht gerade der Zündstoff, mit dem man die Revolution entfacht. Die Anwesenden schenken den Reden kaum Aufmerksamkeit, die meisten von ihnen sind Senioren. »Wie Sie sehen, sind wir eine richtig radikale Bande«, meint Jerry Smith lachend. Smith, ein untersetzter, weißhaariger Mann mit dickem Bauch, ist einer der Gründer der Los Angeles Tea Party. Er sei Manager für eine »großen Softwarefirma«, sagt er. Vor etwa einem Jahr habe er das erste Treffen der örtlichen Tea Party organisiert, an einem verwahrlosten Strand neben dem Landestreifen des Flughafens von Los Angeles. Trotzdem seien damals 1 800 Menschen gekommen. Smith, sagt er dann, sei nicht sein echter Name, denn ohne Einwilligung seines Anwalts wolle er nicht Stellung nehmen, außerdem wolle er seinen Namen aus der Presse heraushalten. Paradoxerweise sagt er anschließend, die Tea Party stehe für »Offenheit und Wahrheit«. Um nichts anderes gehe es ihnen. »Wir wollen Gleichberechtigung für alle Amerikaner«, sagt er und: »Wir sind für die Freiheit.«
»Freiheit« ist das große Schlagwort der Tea Party. Ihre Mitglieder berufen sich auf die Helden der amerikanischen Geschichte. Genau genommen auf die »Boston Tea Party«, auf den Höhepunkt eines Steuerstreits zwischen der englischen Krone und den Kolonien in Nordamerika. Zwar war die Steuerlast relativ gering, aber die nordamerikanischen Kolonien bestanden darauf, im englischen Parlament vertreten zu sein, wenn sie schon Steuern zahlen mussten. Der Konflikt spitzte sich zu, 1770 wurden bei einem Zusammenstoß fünf Zivilisten von britischen Truppen getötet. Die Besiedler Amerikas, vor allem radikale Gruppen wie die »Sons of Liberty«, die Söhne der Freiheit, nutzten das für ihre Propaganda. Am 16. Dezember 1773 drangen als Indianer verkleidete Bürger in den Hafen von Boston ein und warfen Ladungen Tee der britischen »East India Trading Company« über Bord der Schiffe ins Hafenbecken. Das war der Auftakt zur amerikanischen Revolution.

Dass sich die heutigen Anhänger der Tea Party nostalgisch in einen Themenpark der Geschichte flüchten, in dem alles etwas einfacher ist, überrascht nicht, empfinden sie die komplexe Welt von heute doch als bedrohlich. Ihre Bewegung sieht sich als eine Rebellion der kleinen, einfachen Leute gegen eine vermeintlich linksradikale Regierung, gegen Medienpropaganda und die angebliche Tyrannei der politischen Washingtoner Eliten. Auf einem Handzettel, der sogenannten »Agenda for Freedom«, werden die alten Phrasen aufbereitet: mehr Freiheit, weniger Steuern und weniger Staat. Dass einer ihrer politischen Kandidaten, Nathan Mintz, seinen Lebensunterhalt mit Rüstungsaufträgen des Pentagon verdient, die auch Staatsausgaben sind, stört die »Tea Party« offenbar nicht. Denn gegen Aufrüstung haben die Anhänger der Tea Party nichts. Was sie allerdings richtig ärgert, ist die heiß debattierte, von Obama beworbene Gesundheitsreform. Sie ist ihrer Meinung nach nicht nur ein fast stalinistischer Übergriff der Regierung, sondern auch eine direkte Bedrohung der eigenen Existenz. »Wer Leben und Tod kon­trolliert«, so Jerry Smith über die Gesundheitsreform, »der kontrolliert das ganze Volk.«
Doch trotz all der Paranoia geht es der Tea Party auch um ein ernstzunehmenderes Anliegen: Die Staatsverschuldung hat unter Barak Obama Rekordhöhe erreicht, sie beträgt rund 1,4 Billionen Dollar, wenn man Peter Orszag, dem Finanzchef des Weißen Hauses, Glauben schenken darf. Viele Bürger macht das verständlicherweise nervös. Die Rettungspakete der US-Regierung für die Banken greifen erst langsam. So wird gefagt, ob man zu viel Geld für zu wenig Leistung ausgegeben habe, ob es ein Fehler war, die Banken zu stützen. Insbesondere die Mittel- und Oberschicht beklagt, dass der Aufschwung auf sich warten lässt. Die brauchen ihn zwar nicht so sehr, sind dafür aber umso wütender. Viele machen den demokratischen Kongress für die Wirtschaftskrise verantwortlich. Und viele haben Angst, dass die Regierung sie in naher Zukunft stark besteuern wird, um die Staatsschulden zu reduzieren. »Wir wollen keine Steuererhöhung«, so Smith. »Im Gegenteil. Wir wollen eine Steuersenkung.«
Der ehemalige Stand-Up-Comedian Ari David, der seinen Beruf an den Nagel gehängt hat, um sich dieses Jahr als Kongressabgeordneter zur Wahl aufstellen zu lassen, sagt: »Ich mache mir Sorgen, dass unsere Nation im Chaos versinkt, wenn diese linke Politik nicht gestoppt wird.« Ari David ist heute bei der Tea Party, um für seine Kandidatur zu werben. Politische Aspiranten gibt es viele. Aber so richtig überzeugen kann keiner von ihnen. Es gibt keine einheitliche politische Linie. Kein Wunder, dass der große Star der Tea Party ausgerechnet Sarah Palin ist.

Die Tea Party entstand im Frühjahr 2009, rechtzeitig zum sogenannten Tax Day, einem Tag im April, an dem die Bürger Amerikas ihre Einkommenssteuererklärung einreichen müssen. Es kam zu ersten Protesten gegen das Steuersystem, angeführt von einer jungen Bloggerin namens Keli Carender, die man auf den ersten Blick nicht zu den Konservativen zählen würde: Sie ist um die 30, will Schauspielerin werden und hat ein Piercing in der Lippe. Trotzdem spricht sie von einer »Infektion korrupter Sozialisten und Kommunisten«. Schon bald entstand eine landesweite Bewegung, angefacht von rechten Medien­stars wie Rush Limbaugh und Glenn Beck. Ein scheinbarer Widerspruch, denn schließlich misstraut die Tea Party den Medien. Zumindest denen, die nicht ihrer Meinung sind. »Die sogenannten Mainstream-Medien waren schon immer linksgerichtet«, erklärt Jerry Smith nicht ganz zu Unrecht. Die meisten großen Tageszeitungen wie die New York Times und Nachrichtenkanäle wie CNN sympathisieren offen mit Obama. Konservative Amerikaner fühlen sich vom politischen Dialog ausgeschlossen. »Wenn die Medien die Meinung der Regierung nachäffen«, so Smith, »dienen sie nur noch der Propaganda. Das ist eine Gefahr für unsere Demokratie.«
Also schalten immer mehr Rechte zu Fox News, dem Fernsehkanal des Medienmoguls Rupert Murdoch. Nur dort, so die Anhänger der Tea Party, seien die Nachrichten tatsächlich »fair and balanced«. Die TV-Demagogen von Fox News und ihre Fans halten Obama und seine Regierung für eine echte Gefahr. Immer wieder bekommt man mit erstaunlicher Schärfe zu hören, was für ein »Lügner« Obama sei.
Als der populistische Radiomoderator Rush Limbaugh in einer Sendung sagte, er hoffe, dass Obama versage, sprach er den Konservativen aus dem Herzen. Sein ebenso rechter Kollege Glenn Beck, einer der zur Zeit erfolgreichsten Polit-Talkmaster Amerikas, nannte Obama im Fernsehen sogar einen Rassisten. Für die Rechten ist es ein Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen den Gottlosen und den Tapferen. Der konservative Autor Mark Levin beschreibt in seinem Buch »Liberty and Tyranny« einen Kulturkampf zwischen Etatisten, also jenen, die an einen allmächtigen Staat glaubten, und den ganz normalen Amerikanern, die an einen allmächtigen Gott glaubten. Überhaupt nimmt Gott einen ziemlich großen Stellenwert bei der Tea Party ein. Immer wieder hört man die Redner von »gottgegebenen Rechten« sprechen und davon, dass sie die Zwischenwahlen gewinnen werden – »so Gott will«.

Aber die Tea Party als Bewegung rechter, radikaler Spinner abzutun, ginge am Phänomen vorbei. Das Großteil der Bewegung besteht aus Normalverbrauchern, viele von ihnen sind ganz einfach konservative Strebertypen, die sich für Wirtschaftswissenschaften interessieren und ein Faible für die marktliberalen Ökonomen der Chicago School of Economics haben. Die Tea Party versammelt Menschen, die sich nicht zu Unrecht Sorgen machen. Einem in der Los Angeles Times erschienen Artikel der Politberater Jim Spencer und Curtis Ellis zufolge haben 75 Prozent der Tea-Party-Anhänger einen College-Abschluss, zwei Drittel von ihnen gehören mit einem Durchschnittseinkommem von 50 000 Dollar zu den Besserverdienenden. Die Mehrheit der Bewegung sind »Baby Boomer«, sie gehören also zu der Generation der geburtenstarken Jahrgänge, die nach dem Zweiten Weltkrieg zur Welt kamen.
Baby Boomer haben schon immer gerne demonstriert. In den Sechzigern ging es gegen den Vietnam-Krieg, heute gegen Washington. Die amerikanischen Achtundsechziger sind jetzt oftmals bodenständige Hausbesitzer mit Aktienportefeuille und Mitgliedschaft im Golfklub. In ihrer Jugend haben sie gelernt, dass man Politik macht, indem auf Demonstrationen geht und Parolen skandiert. Genau das machen die heutigen Baby Boomer auch. »Wir sind ein Tsunami«, wird von den Rednern im Green Hotel immer wieder betont. Viele der Zuhörer müssen sich am Krückstock aufrecht halten. Die heutige Versammlung hat mehr von einer Kaffeefahrt als von einer Flutwelle. Der Applaus kommt von schwachen Händen. Während die Obama-Bewegung 2008 zu großen Teilen eine Jugendbewegung war, ist die Tea Party vor allem eins: ein Aufstand der Alten.