Obama will seine Reformpläne retten

Nichts auf die lange Bank schieben

Die Verhandlungen über die Gesundheitsreform verlaufen schleppend, die Republikaner werden wieder populärer. Mit dem Vorschlag, den Finanzsektor zu regulieren, will Präsident Barack Obama seine Reform­pläne retten.

Die Gesundheitsreform war gestern. Nun hat Barack Obama einen neuen Plan, in der vergange­nen Woche kündigte er eine Reform des US-Finanz­wesens an, bei der keine Rücksicht auf die Befindlichkeit der Banker genommen werden soll. »Wenn diese Leute einen Kampf wollen, können sie ihn haben«, drohte der Präsident.
Bislang folgte die Bankenpolitik den Ideen von zwei Wirtschaftsliberalen, Finanzminister Timothy Geithner und Obamas Berater Larry Summers. Sie haben nun die Gunst des Präsidenten verloren, der lieber auf einen anderen Berater hört. Die neue Politik entspricht den Vorstellungen von Paul Volcker, der in den siebziger Jahren Vorsitzen­der der Fed, der Notenbank Federal Reserve, war. Er befürwortet eine staatliche Regulierung der Finanzbranche und eine Verkleinerung von etwa einem Dutzend US-Großbanken, die für die Krise verantwortlich gemacht werden. Keine Bank soll in Zukunft »too big to fail« sein und sich auch bei den dubiosesten Geschäften darauf verlassen können, dass es Geld vom Staat gibt, wenn etwas schiefgeht.
Obamas Vorschlag greift ein Vorhaben der linken Fraktion der Demokraten im Kongress auf, die Macht der Großbanken beschränken. Nach der Gro­ßen Depression wurden im Jahr 1933 die Finanzinstitute in zwei Kategorien aufgeteilt. Alle Banken, die der staatliche Fonds FDIC versicherte, durften nur wie Sparkassen operieren, Investmentbanken arbeiteten unversichert auf eigenes Risiko. Diese Trennung aufzuheben, war ein zen­trales Element der wirtschaftsliberalen Reformen der neunziger Jahre, nun soll diese Maßnahme wieder rückgängig gemacht werden. Überdies will die Regierung weitere Bankenfusionen verhindern.
An sich sind die Pläne Obamas zur einschneidenden Reform des Bankensektors wenig ausgegoren, unter anderem weil diverse Politiker im Kabinett und im Kongress sich nur darüber einig sind, was sie wollen, nämlich eine stärkere Regulierung der Finanzbranche. Weniger Einigkeit gibt es über die Frage, wie die Regulierung aussehen soll. Chris Dodd, der Vorsitzende des Senatsausschusses für den Finanzsektor, will eine zentrale und starke Regulierungsbehörde fernab von der Federal Reserve aufbauen. Barney Frank, sein Kol­lege aus dem Repräsentantenhaus, sieht in der Ent­machtung der Fed keine Lösung.

Die Finanzbranche nimmt die Pläne ernst, die Ak­tienkurse der mutmaßlich betroffenen Banken fielen. Doch wie auch immer der konkrete Reform­vorschlag aussehen wird, er muss den Kongress passieren. Auch konservative Amerikaner schim­pfen auf »die Wall Street«, doch bislang haben die Republikaner fast alle Vorschläge Obamas abgelehnt, und es ist fraglich, ob sich das ausgerechnet in diesem Jahr der Kongresswahlen ändern wird.
Zunächst aber muss Obama auch die konservativen Politiker seiner eigenen Partei für den neuen Plan gewinnen. Schließlich war die Uneinigkeit unter den Demokraten das größte Hindernis für die Verabschiedung der Gesundheitsreform. Die Nachwahl für den Senatssitz des verstorbenen De­mokraten Edward Kennedy gewann in der vergangenen Woche überraschend der Republikaner Scott Brown. Die Oppositionspartei verfügt nun wieder über 41 Sitze, den Regeln des Senats zufolge können die Republikaner nun durch das »Filibustern«, durch Dauerreden, Entscheidungen ver­zögern oder sogar verhindern.
Die Debatte über eine Bankenreform könnte daher bis zu den Kongresswahlen im November andauern, die wiederum neue, für Obama ungünstige Veränderungen bringen könnten. Denn das Oberste Gericht erleichterte in der vergangenen Woche die Wahlkampffinanzierung durch Spen­den großer Unternehmen. Republikaner und Demokraten hatten sich im Jahr 2002 auf das »McCain-Feingold-Gesetz« geeinigt, Konzerne sollten nicht mehr unbeschränkt ihr Kapital einsetzen dürfen, um genehmen Kandidaten zum Sieg zu verhelfen. Die Mehrheit der Richter entschied jedoch, dass Unternehmen wie Privatpersonen behandelt werden müssen, ihnen steht das Recht auf »freie Meinungsäußerung« zu. Daher dürfen sie nach Belieben spenden und auch »Negativkampagnen« gegen unerwünschte Kandidaten finanzieren.

Zweifellos werden die Großbanken versuchen, diese neue Chance zu nutzen, um die Reform zu verhindern. Analytiker mutmaßen, dieses Urteil werde dazu führen, dass viele der 71 Mitglieder des Bankenausschusses im Repräsentantenhaus es nicht wagen würden, eine Regulierung zu befürworten, egal wieviel Druck Obama ausübt. Man kann sicher sein, dass auch die im Gesundheitswesen tätigen Konzerne bereits Pläne schmieden, wie sie mit großzügigen Spenden den Wahlkampf der Republikaner im Kongress unterstützen können.
Da erscheint es erstaunlich, dass Obama nun so vehement eine Reform im Bankensektor fordert, obwohl die Erfolgschance angesichts der neuen Mehrheitsverhältnisse im Senat und der kommenden Kongresswahlen im November nicht gerade rosig erscheint. Nach Angaben der Regierung hatte sich Obama bereits vor dem Wahldebakel in Massachusetts für eine einschnei­dende Regulierung des Finanzsektors entschieden. Zweifellos aber war die inszenierte öffentliche Ankündigung unmittelbar nach der Wahl ein Versuch, politisch wieder in die Offensive zu kommen. Die Verhandlungen über die Gesundheitsreform schleppen sich dahin, das Projekt, im­merhin das Kernstück der Reformpläne Obamas, könnte scheitern. Die Wähler hätten dann wenige Gründe, ihm im Jahr 2012 eine zweite Amtszeit zu verschaffen.
Auch der demokratische Präsident William Clinton hatte sich um eine Gesundheitsreform bemüht, er scheiterte 1994, im gleichen Jahr gewannen die Republikaner die Kongresswahlen haushoch. Fortan näherte sich Clinton innenpolitisch den Positionen der Republikaner an. Er wurde zwar erneut gewählt, in der zweiten Amtszeit konn­te er jedoch lediglich eine Reihe wirtschaftsliberaler Reformen des Sozialstaats und des Außenhandels erreichen. Die Geschichte könnte sich wiederholen, Umfragen bestätigen derzeit, dass die Republikaner wieder populärer werden. Der versprochene change könnte ausbleiben, neben der Gesundheitsreform und der Reform des Bankensektors wären davon auch alle Bestrebungen betroffen, eine neue Politik gegen den Klimawandel durchzusetzen.
Die Vermutung liegt daher nahe, dass Obama mit seinem Vorschlag zur Bankenreform primär ein strategisches Ziel verfolgt und ein populäres Thema aufgreift, um seine Reformpolitik zu retten. Den Umfragen zufolge gibt es in der Bevölkerung eine weit verbreitete Empörung über die Großbanken. Viele Amerikaner haben ihre in Aktien und anderen Papieren angelegten Ersparnisse verloren, das hat existenzielle Folgen, wenn es sich um Fonds für die Alterssicherung und ähnliche Zwecke handelte. Die Banker wurden mit gewaltigen Beträgen an staatlicher Unterstützung bedacht, zahlten sich aber jüngst Boni in Höhe von 185 Milliarden Dollar aus und machen auch sonst weiter, als wäre nichts geschehen. Obama und die Demokraten hoffen nun, diese Wut populistisch für sich nutzen und die Wahlen gewinnen zu können.

Auch gegen die Uneinigkeit in seiner Partei will Obama offenbar etwas unternehmen. Der New York Times zufolge hat der Präsident in der vergan­genen Woche begonnen, die Kontrolle über die demokratische Partei zu übernehmen. Viele demokratische Strategen hatten eine solche Politik seit langem für nötig befunden. Doch bislang zögerte Obama, seine Außenseiterposition in der eigenen Partei aufzugeben und sich um mehr Ein­fluss auf den Apparat zu bemühen. Der sichtbarste Beweis der neuen Akkumulation der Macht ist die am Wochenende bekanntgegebene Berufung seines ehemaligen Wahlkampfmanagers David Plouffe, der sich Ende 2008 eine Auszeit gönnte und nicht mit dem Präsidenten nach Washington ging. Plouffe wird nun der Stabschef bei allen im Herbst dieses Jahres anstehenden Wahlkämpfen für den Kongress und die Gouverneursposten sein.
Damit versucht Obama nicht nur, die Demokraten rechtzeitig auf eine gemeinsame Politik zu verpflichten, sondern auch, seine eigene politische Zukunft zu sichern. Gelingt ihm dies nicht, so droht ihm das Schicksal William Clintons. Auch wenn Obama wohl nicht wie sein demokratischer Vorgänger wegen einer Sexaffäre, sondern eher als begnadeter Redner in Erinnerung bleiben wird, könnte er wie Clinton als sympathischer, aber mittelmäßiger Präsident in die Geschichte eingehen.