Style Wars. Diskurspiraterie von rechts

Unnachahmlich links

Die extreme Rechte in der Bundesrepublik Deutschland hat sich verändert; der derzeitige neofaschistische Stil wird vielfach als Patchwork linker Aktionsformen und habituelle Angleichung an die politischen Gegner beschrieben. Rechte »Diskurspiraterien« nannte der Publizist Alfred Schobert diese Strategien der Aneignung linker Positionen. Sie bieten Anlass für antifaschistische Klärungsprozesse und eine Kritik der altvertrauten Stilfolklore.

Die NPD und »Freie Kameradschaften« propagieren »antikapitalistische« Positionen und fordern: »Weg mit Hartz IV!« Die Autonomen Nationalisten (AN) kritisieren den Neoliberalismus, entwenden linksradikale Aktionsformen wie den »Schwarzen Block« und übernehmen das Konterfei von Che Guevara in ihr Repertoire. Stolz umhüllen sich die Mitglieder der AN mit dem traditionellen Accessoire linksautonomer Antiimperialisten, dem Palästinensertuch. Alain de Benoist, »Vordenker« jener »Neuen« Rechten, die trotz ihrer kalkulierten Distanzierung weiterhin eine Scharnierfunktion zwischen Neonazismus und Konservatismus hat, verkündet: »Je liberaler die Rechte wird, desto mehr stimme ich mit dem kritischen Denken der Linken überein.« Und Götz Kubitschek vom neurechten Institut für Staatspolitik initiiert mit unverhüllter Reminiszenz an die Traditionslinie des Happenings und der ansonsten so verfemten Studentenrevolte eine »konservativ-subversive Aktion«, die nach der Aufmerksamkeit der Medien giert und deren Akteure auf Veranstaltungen des Gegners das Wort ergreifen.

Die neuen »linken Leute von rechts« wirken an der Oberfläche wie eine Bestätigung für die Totalitarismustheoretiker in Wissenschaft und Verfassungsschutz, welche insbesondere die Agitation der modernen »Antikapitalisten von rechts« in NPD & Co. verdoppeln. Die Spezifika des völkischen Antikapitalismus werden nicht analysiert, stattdessen affirmieren die »Experten« unkritisch die Selbstdarstellung der rechten »Sozialrevolutionäre«. Mit Blick auf die soziale Demagogie der NPD schreibt der Chemnitzer »Extremismusforscher« Eckard Jesse, die Partei habe die Entwicklung zu einer »aggressiv-antikapitalistischen Kraft« vollzogen. Der Verfassungsschutz sieht die NPD auf dem Weg zu einer »sozialrevolutionären Partei mit antikapitalistischer Diktion«. Die liberale Öffentlichkeit reagiert angesichts der Links-Rechts-Rochaden verwirrt: »Autonome« Neonazis in Baggy Pants recken im »Black Block« die kommunis­tische Kämpferfaust, verwenden Anglizismen und tragen Blech im Gesicht. Gepiercte Neonazis inszenieren sich als popkulturell inspirierte Normabweichler im neuesten Mainstream der Minderheiten – da fühlt sich selbst mancher Altfaschist wie ein Zwangsneurotiker in der öffentlichen Badeanstalt: Auch in den eigenen Reihen lauern Keime der undeutschen Zersetzung!

Die vorherrschende Fixierung auf phänomenologische Ähnlichkeiten verkennt jedoch die Inhalte des faschistischen Stils und der volksgemeinschaftlichen Programmatik. Als politische Unterscheidungskriterien definieren sich »links« und »rechts« zudem nicht primär durch Symbole, sondern durch Inhalte. Auch die »soziale Frage« kennt eine genuin völkische Antwort. In ihrem Grundsatzprogramm bekennt sich die NPD »zu einem freien und sozialverpflichteten Unternehmertum«. Die Reduktion des »Antikapitalismus von rechts« auf Zins und Zirkulationssphäre sowie die antisemitisch codierte Personifizierung des »raffenden Kapitals« (USA, Ostküste, Wall Street) sind Spezifika bereits des historischen Faschismus. Eine Kritik der Aneignung des Mehrwerts und der privaten Aneignung kollektiv geschaffener Güter bleibt aus. Die Eigentumsfrage wird nicht gestellt. Hinter dem Konzept einer »raum­orientierten Volkswirtschaft« verbirgt sich die Sehnsucht nach der »Volksgemeinschaft«. Der »Antikapitalismus« der extremen Rechten richtet sich gegen die modernistischen Konsequenzen eines »zersetzenden« und »farbenblinden« Liberalkapitalismus, durch dessen hochtechnologische Produktionsweise alles »Ständische und Stehende verdampft« (Marx/Engels).
Anhand seiner Grundkategorien wäre linker Antikapitalismus von seinen reaktionären, dem Idyll der Scholle verhafteten Blut- und Bodenvarianten präzise abzugrenzen. Diese Arbeit am Begriff gilt jedoch oft als »zu theoretisch«. Die Irritation über die modernen Nazis ist deshalb nicht zuletzt das Resultat einer begriffsleeren politischen Aufklärung. In staatlich geförderten Workshops nimmt ein besorgtes Lehrpersonal lieber Nachhilfestunden über die politische Bedeutung der Schnürsenkel ihrer Schützlinge. Manch konservativer Gymnasialdirektor besitzt sogar schwarze Listen mit verdächtigen Marken wie Storch Heinar. Style matters! Zum hilflosen Antifaschismus wird die Kritik des Versteckspiels, wenn sie sich mit einer Dechiffrierung der Stilmaskeraden rechter Jugendsubkulturen begnügt und deren Lust an Stahlgewittern im sozialpädagogischen Duktus als »Erlebniswelt« interpretiert.

In dieser Situation ein »linkes« Copyright auf »eigene« Symbole anzumelden, ist müßig. Es gibt keinen Patentschutz auf politische Zeichen. Als Signifikant ist »Che Guevara« keine historische Person, sondern ein seines Signifikats beraubter leerer Bedeutungsträger, der im Stadion des FC Bayern oder in den »schwarzen Blöcken« der AN Unterschiedlichstes symbolisieren kann. Die Imitation der Antifa-Ästhetik verdeutlicht dabei den Epigonenstatus der modernen Nazis. »Neu« ist lediglich deren Erscheinungsbild. »Nazis sind Pop«, wie Burkhard Schröder bereits im Jahr 2000 dia­gnostizierte. Der völkisch umcodierte Inhalt weist die Rechtsextremen jedoch weiter als bloße Wiedergänger aus: Die AN »supporten« im schönsten BSE-Englisch ihren »local n.s.-block« – und »recyceln« ungebrochen Gottfried Feders »Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft«. Die Vordenker der NPD wollen den Antikapitalismus »aus den Traditionsbeständen der Linken herausbrechen« – und kommen nicht über Joseph Goebbels hinaus. Die Jungkonservativen aus dem Umfeld des Instituts für Staatspolitik suggerieren in bedeutungsschwangeren Filmchen auf Youtube ästhetische Stärke – und bleiben doch nur Kopisten der »Konservativen Revolution«. Überdies richten sich die »neu«-rechten Rebellendarsteller des Instituts für Staatspolitik eher an imaginierte denn an real vorgefundene Eliten. Und im Unterschied zur NPD bevorzugt die metapolitische Fraktion statt antikapitalistischer Phrasen einen Agitprop von rechts, dessen Selbstinszenierung etwas Närrisches anhaftet.
Die Veränderungen im neonazistischen Spek­trum stehen in einer langen Traditionslinie. Als »Linke« verklärte Nationalrevolutionäre und Querfrontler propagierten bereits in der Weimarer Republik vorzugsweise Vaterland, Krieg und Tod. Seinerzeit erkannte Ernst Bloch in den nazistischen »Entwendungen aus der Kommune« eine Strategie, um mittels »sozialistischer« Phraseologie vertraute Bildersprachen übernehmen und umdeuten zu können. Die Neuformation martia­lischer Märsche von Aktivisten der Antifa in uniformierter Anonymität wäre eine anachronistische Antwort auf rechte Diskurspiraterien. Radikal gegen deren »Propaganda der Tat« stünde eine emanzipatorische Ausdrucksform, welche die Konsequenz der Forderung nach einer Gesellschaft der Freien und Gleichen ist. »Links« wäre eine Partizipationskultur, die keinen Ausschluss von Flüchtlingen kennt. Gerade ein gegen die Beschwörung der »Vielfalt der Völker« gerichtetes univer­salistisches Ethos, wie es die Linke hat, können die modernen Nazis nicht okkupieren – gerade weil sie den zugrunde liegenden Humanismus verachten. Deshalb sorgt nicht die Neudefinition ideologisch aufgeladener Embleme aus den jugendkulturellen Style Wars für eine Klärung des Unterschieds. Eine politische Praxis, in der Individuen »ohne Angst verschieden« (Adorno) sein können, wäre hingegen keine leichte Beute.