Freie Radios in der deutschen Provinz

Berlin ist eine Dauerveranstaltung

Schwäbisch Hall hat es, Freudenstadt hat es, Berlin hat es nicht: ein freies Radio.

»In Hauptstädten haben es freie Radios schwer, weil es da die Befürchtung gibt, dass dort zur Revolution aufgerufen wird.« Martin Busche klingt ein bisschen resigniert, wenn er auf Berlin zu sprechen kommt. Seit 1990 hat der Journalist nicht nur für verschiedene Zeitungen, Verbände und Unternehmen gearbeitet, sondern auch für freie Radios in Hamburg und Dresden. Vor mehr als zehn Jahren schrieb er in der Jungle World über den Kampf für ein freies Radio in Berlin. Damals wie heute gilt: »Selbst Kleinstädte wie Schwäbisch Hall oder Freudenstadt leisten sich solche Sender.«

Im Jahr 2005 erreichten Berliner Radiogruppen nach jahrelanger Lobbyarbeit, dass sich die Fraktionen der SPD, der PDS und der Grünen – also eine deutliche Mehrheit – für ein freies Radio in der Stadt aussprachen. Eine Gesetzesänderung scheiterte aber daran, dass in puncto Massenmedien Berlin und Brandenburg zusammengehören und dem Vernehmen nach die in Brandenburg damals mitregierende CDU sich querstellte.
Nun aber regiert dort wie in Berlin ein Bündnis aus SPD und Linkspartei, so dass jetzt eigentlich alles ganz einfach sein sollte. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu jedoch nur: »Die Koalition wird prüfen, mit welchen Mitteln die lokale und regionale mediale Vielfalt gesichert und ausgebaut werden kann.«
Thomas Kralinski, der Geschäftsführer der SPD-Fraktion, weist darauf hin, dass der Medienstaatsvertrag erst in diesem Jahr novelliert wurde, und fügt hinzu: »Zu gegebener Zeit werden wir überprüfen, ob es Nachsteuerungsbedarf gibt.« Das scheint Gabriele Hillers Sicht der Dinge zu bestätigen. Die medienpolitische Sprecherin der »Linken« im Berliner Abgeordnetenhaus vermutet, dass die Initiative vor vier Jahren nicht nur an der CDU scheiterte. Auch die Brandenburger SPD tue sich schwer mit dem Thema.
Zumindest Frank Zimmermann, Hillers Amtskollege bei der Berliner SPD, will das Gesetz nach wie vor verändern: »Ziel ist eine UKW-Frequenz für einen nicht-kommerziellen Anbieter.« Obwohl der Brandenburger Koalitionsvertrag das nicht vorsieht und die Vorgespräche noch nicht weit gediehen seien, gibt er sich optimistisch. Hiller hingegen ist »nicht zuversichtlich, sondern skeptisch«. Man müsse nun geschickt vorgehen.

Derweil diskutieren einige Berliner Radiogruppen über eine schriftliche Intervention. Der Bund Freier Radios beschloss Ende Oktober einen Appell, der den Berliner und Brandenburger Regierungsfraktionen zugestellt wurde. Andere Initiativen in Berlin und Brandenburg haben mittlerweile einen pragmatischeren Weg gewählt, um eine Frequenz zu ergattern: temporär Radio machen. Zur Begleitung von Veranstaltungen gewährt dies die Medienanstalt Berlin-Brandenburg immer wieder. So sagt Paul Motikat von den Radiopiloten: »Wir brauchen kein freies Radio, wir können Veranstaltungsradio machen – Berlin ist ja ganzjährig Dauerveranstaltung.« Mit öffentlichen Kampagnen habe er dagegen eher schlechte Erfahrungen, sie seien auch bei der Medienanstalt unbeliebt. So sei ja auch die Berliner Radiokampagne e.V. letztlich »gegen den Baum gefahren«. Temporär Radio zu machen – wie zuletzt im Herbstradio, an dem fast alle Berliner Radiogruppen beteiligt waren –, bringe mehr, als Kampagnen-Papiere zu schreiben.
Kyra von der Radiokampagne sieht allerdings noch genügend Potenzial, um auch politisch auf die veränderte Situation zu reagieren. Eigentlich sei ja alles klar: »Vor zehn Jahren gab es ein Treffen, da waren sich alle einig: Wenn die CDU in Brandenburg weg ist, geht es los.« Im Laufe der Jahre hätten sich aber viele Leute bei der Kampagnenarbeit zermürbt, das Interesse an konkreter Lobbyarbeit sei deutlich geschwunden. Doch noch im Januar 2008 hätten sich Dutzende von Radiomachern aus den beiden Bundesländern getroffen. Jan von der Radiogruppe Polyphon sagt: »Ich glaube, nach dem Herbstradio geht es gleich wieder los.«