Der Film »Coco Chanel«

Mutter Couture

Das Biopic »Coco Chanel« schildert die Anfänge der wohl einflussreichsten Designerin der Modegeschichte. Auch wenn der Film ­allzu kritische Blicke auf ihre Biografie vermeidet, wird dennoch deutlich: Die Säulenheilige der französischen Couture war nicht nur verdammt ehrgeizig, sie schreckte auch vor der Kollaboration nicht zurück.

Vor 100 Jahren begann Coco Chanel, Hüte zu kreieren, zunächst auf dem Landsitz ihres Geliebten Etienne Balsan, 1910 eröffnete sie in dessen Pariser Wohnung ihr erstes Atelier. Anlässlich des Jubiläums der bescheidenen Anfänge des spä­teren Modeimperiums brach in diesem Frühling in Frankreich eine Chanelmania aus. Reflexartig liefert das Kino das naheliegende Format des in den vergangenen Jahren überstrapazierten Biopics. Mit »Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft« konzentriert sich Anne Fontaine auf die frühen Jahre von Gabrielle Chanel, hier geht es um die Kunst, »Chanel« zu werden.
Die zeitliche Beschränkung ist eine gute und zugleich schlechte Wahl. Der Film arbeitet nicht stumpf die Stationen eines 87 Jahre währenden Lebens ab, und die Regisseurin entzieht sich der Gefahr, sich in der Reproduktion von ikonografisch überdeterminierten Bildern zu verlieren.
Coco Chanel ist in Interviews Fragen zu ihrer ärmlichen Kindheit und Jugend im Waisenhaus immer diskret ausgewichen, schwieg eisern oder führte die Fragesteller mit frei erfundenen Anekdoten und falschen Informationen gezielt in die Irre. Ebenso ungern sprach Madame Chanel über ihre Kollaboration mit dem NS-Regime, ihre bis weit in die Nachkriegszeit dauernde Liaison mit »Spatz«, dem zweitrangigen Nazi-Spion Hans Günther von Dincklage, oder die »Operation Modellhut«, die sie mit dem ziemlich hochkarätigen SS-Brigadeführer Walter Schellenberg, Leiter des Auslandsnachrichtendienstes im Reichsicherheitshauptamt, plante. Ihre Versuche, aus der Emigration ihrer jüdischen Geschäftspartner Paul und Pierre Wertheimer Kapital zu schlagen, passen nicht ganz in das Bild einer Säulen­heiligen der Pariser Couture. Im Fall der Modepionierin Coco Chanel lohnt sich ein Blick hinter alle Fassaden dieser ambivalenten Biografie, der sich nicht nur auf die Anfänge ihrer Karriere oder die mythentauglichen Freundschaften mit Colette, Picasso und Cocteau beschränkt.
Der Film beginnt mit einer Kutschfahrt durch die novemberkalte und karge Landschaft der Auvergne. Ziel ist ein von Nonnen geführtes Waisenhaus, in dem der Vater seine beiden Töchter abliefert, um grußlos aus deren Leben zu verschwinden. Jahre später wird Chanel, ­gespielt von Audrey Tautou, einem Liebhaber erzählen, dass ihr Vater, ein erfolgreicher Geschäftsmann im fernen Amerika, ihr den Kosenamen »Coco« gegeben habe. Zu Beginn richtet der Film den Fokus auf die an Selbstzerstörung grenzende Brutalität, mit der Chanel das eigene Bild der Stilikone entwirft. Der Vater zog als promiskuitiver Hausierer über Frankreichs Jahrmärkte, »Coco« nannten sie die grölenden Soldaten, vor denen sie abends im Varieté »Rotonde« mit dünner Stimme den Chanson »Ko-Ko-Ri-Ko« sang, um ihr spärliches Näherinnengehalt aufzubessern.
In diesem Umfeld lernt sie Etienne kennen, mit dem sie für einige Zeit zusammenleben wird. Benoît Poelvoorde verkörpert das Klischee des dekadenten französischen Adels des Fin de Siècle, der sich die ermüdende Langeweile mit Pferderennen, Kostümfesten und nicht ganz standesgemäßen Liebschaften versüßt. Als Mätresse verschafft sich Coco Zutritt zu seinem Haus, alle Versuche, den lästigen »illegitimen« Gast loswerden, boykottiert sie, Gabrielle Chanel ist gekommen, um zu bleiben.
Fontaine und ihre Hauptdarstellerin erzählen kein Aschenputtelmärchen, sondern eine weibliche Version der Erfolgsgeschichte vom Tellerwäscher zum Millionär. Der Film arbei­tet hochartifiziell mit dem Außenseitermotiv und spricht mit der Sprache der Mode, die Kostümierung sendet subtile Nachrichten an die Zuschauer. Audrey Tautous Kleider erinnern nicht zufällig an die strenge Uniformierung von Nonnen, einerseits wird hier ein ­biografisches Detail weitergeführt, andererseits wirkt diese Chanel wie ein düsterer En­gel, der kargere Zeiten ankündigt. Die schwarzen Kleider, die strenge Formgebung, das and­rogyne Spiel mit Reithosen und Pyjamas sind Vorboten der Moderne. Als garçonne durchquert Tautou ganz lässig die Welt der Sitzschönheiten und Bienenköniginnen der Belle Époque, deren bodenlange enge Röcke nur eine Fortbewegung im Schneckentempo zulassen. Die historische Semantik der Mode kommuniziert nicht nur den gesellschaftlichen Status, sondern regelt auch die Konstruktion der Geschlechter. Chanel inszeniert in diesem Umfeld ihr Anderssein, die fehlende gesellschaft­liche Reputation des mit Lohnarbeit vertrauten Waisenkinds wird zum Distinktionsmerkmal. In fast jeder Einstellung folgt der Film der Perspektive seiner Hauptdarstellerin. Missbilligende Blicke fallen auf mit Obstimitaten und Pfauenfedern absurd dekorierte Hüte, Berge von Rüschen oder das grotesk geschnürte Korsett, dessen Stahlfedern nur noch Karikaturen des Weiblichen hervorbringen. Den demonstrativen Müßiggang der Damenwelt und ihr Dasein als lebendige Ausstellungsobjekte kann man auch als modische Kollateralschäden bezeichnen. Die durch die enge Schnürung hervorgerufenen Ohnmachtsanfälle der Damen gaben den Männern zumindest die Möglichkeit, ei­ne Fiktion von Ritterlichkeit aufrechtzuerhalten.
Später wird Chanel die Mode dieser Zeit mit »Sahnetorten im Schaufenster« vergleichen und sich als Anarchistin mit dem »tiefen Drang zu Zerstörung und Neuanfang« bezeichnen. Sie kreierte Hosen, Modeschmuck, Badeanzüge und Kleider, in denen man nicht nur gehen, sondern auch rennen konnte. Das Korsett, das schon Mitte des 19. Jahrhunderts von Frauenrechtlerinnen als Instrument der Unterdrückung und Einengung kritisiert wurde, schaffte allerdings nicht Chanel, sondern ihr Konkurrent Paul Poiret ab.
Die Filmfigur schreitet nicht ganz so radikal zur Tat, nach einer langen Zeit distanzierter Beobachtung beginnt Coco, vorsichtig in die Kostümierung der feinen Gesellschaft einzugreifen, der sie auf Etiennes Landsitz begeg­net. Sie lockert Korsagen, entfernt meterhohe Straußenfedern und verleiht ihre Strohhüte, wenn die Damen mit dem Equipment der armen Bevölkerung schockieren oder die Pracht ihrer Kleider effektvoll kontrastieren möchten. Das Biopic orientiert sich zwar an dem emanzipatorischen Potenzial dieser Biografie, verschenkt aber viele Möglichkeiten. Audrey Tautou ist in ihrer Rolle witzig, stur, stolz und spielt souverän mit Andeutungen der Facetten der späteren Chanel-Ikonografie, im Film muss ihr aber ein Mann die Idee einflüstern, Modedesignerin zu werden. Mit dem Kapital für das Hut­atelier, das ihr der zweite Liebhaber Arthur »Boy« Capel vorstreckt, beginnt hier die Erfolgsgeschichte des Chanel-Imperiums. Bei einer gemeinsamen Reise führt Capel sie in die Luxuswelt des noblen Badeorts Deauville ein. Chanel sammelt Eindrücke, die bald zur Essenz ihrer Mode werden, die weiten Jacken der Hafenarbeiter, die geringelten Shirts der Matrosen werden in Frauenmode transformiert. Mit einer opulent gestalteten Szenerie setzt der Film das Rollenklischee von Mäzen und Mätresse nahtlos fort. Als der hübsche und leider bereits verheiratete Boy bei einem Autounfall tödlich verunglückt, wird er zur Legende stilisiert. Die aktuelle Form des Biopics scheint auf die romantische Liebe ebenso wenig verzichten zu können wie der Western auf das Pferd. Im wirklichen Leben konnte Chanel das Geld, das Boy ihr vorgestreckt hatte, in kürzester Zeit zurückzahlen, man hätte den Fokus also auch auf eine sehr gut funktionierende, gleichberechtigte Geschäftsbeziehung legen können.
Der Film liefert keinerlei zeitliche Orientierung: Dass Chanels Durchbruch als neuer Stern am Modehimmel ziemlich exakt mit dem Ersten Weltkrieg zusammenfiel, wird nicht thematisiert. Die Damen der Pariser Gesellschaft waren nicht ganz freiwillig verrückt nach avantgardistischer Couture. Coco Chanel entdeckte die Marktlücke der Krankenschwesternuniform, die eine gewaltige Umsatzsteigerung brachte. Mit der Umstellung auf Kriegsproduktion wurden das Geld und die Stoffe knapp, Chanels berühmtes kurzes schwarzes Jersey­kleid war zuerst eine geniale Notlösung, bevor es zur viel kopierten Uniform eines neuen Typus des Working Girls wurde. »Mode ist Krieg«, sagt Kim Basinger als Catwalk-Reporterin Kitty Potter in Robert Altmans Film »Prêt-à-Porter«, in der Wirtschaftswunderzeit nach dem Zweiten Weltkrieg feierten die Modegazetten Diors ­restriktive Mode als New Look. Da waren sie wieder, die Wespentaille und das aufgepols­terte Dekolletee als modische Reverenz an das Korsett, das in den neunziger Jahren von Vivienne Westwood und vor allem bei Jean-Paul Gaultiers Kostümen für Madonnas »Blond Ambition Tour« als travestierte Hyperfetischisierung des Weiblichen ironisch zitiert wurde. Coco Chanel begründete ihre Rückkehr in die Modewelt – sie hatte sich zusammen mit dem Nazi-Spion Dincklage ins Schweizer »Exil« zurückgezogen – mit ihrer Wut über die frauenverachtenden Entwürfe Diors.

»Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft« (F 2009). Regie: Anne Fontaine. Buch: Edmonde Charles-Roux, Anne Fontaine, Camille Fontaine. Darsteller: Audrey Tautou, Benoît Poelvoorde, Alessandro Nivola, Marie Gillain, Emmanuelle Devos. Start: 15. August