Seelenfänger vor Gericht
Die falsche Toleranz hat ein Ende. Seit 1995 wird Scientology in Frankreich offiziell als Sekte eingestuft, trotzdem haben führende Politiker sie vor allem in der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts hofiert. Damit dürfte nun Schluss sein. In der vergangenen Woche forderte die Staatsanwaltschaft in Paris in einem Aufsehen erregenden Prozess die Auflösung von Scientology. Zum ersten Mal sind nicht nur Einzelpersonen, sondern ist die gesamte Struktur von Scientology, inklusive Buchhandlung, angeklagt. Wegen »bandenmäßig betriebener Betrügerei«, Erpressung von früheren Mitgliedern und »Betätigung als Apotheker« ohne Qualifikation bzw. Zulassung soll die Sekte zwei Millionen Euro Strafe zahlen, bevor sie aufgelöst wird. Sechs Anführer von Scientology in Frankreich sollen zudem zu Haftstrafen von bis zu vier Jahren auf Bewährung sowie Geldstrafen von bis zu 150 000 Euro verurteilt werden. Ein Urteil wird für Ende Oktober erwartet.
Dass die Staatsanwaltschaft solche Anträge stellte, wird yals ein deutliches Anzeichen für eine veränderte Herangehensweise der Politik betrachtet: In Frankreich sind die Staatsanwälte an Weisungen aus dem Justizministerium gebunden.
Die Ungezwungenheit hochrangiger französischer Politiker im Umgang mit prominenten Scientologen erreichte am 30. August 2004 ihren Höhepunkt. An jenem Tag empfing der damalige Wirtschafts- und Finanzminister Nicolas Sarkozy den US-Schauspieler Tom Cruise im Ministerium. Nach Berichten unterhielten die beiden Herren sich über »Spiritualität«. Dies zur selben Zeit, als Sarkozy ein Buch über die »positive Rolle der Religionen« bei der Stabilisierung der herrschenden Sozialordnung in einem katholischen Verlag veröffentlichte. Darin wurde unter anderem die These vertreten, die Republik könne ohne Religionen »keine dauerhaften Werte« vermitteln. Tom Cruise ist bekanntlich einer der prominentesten Repräsentanten der 1954 gegründeten Scientologensekte.
Scientology ist seit 1973 in den USA als »Religionsgemeinschaft« anerkannt, ihre Aktivitäten fallen daher unter den Grundsatz der Glaubensfreiheit. Auch in verschiedenen europäischen Ländern, etwa in Spanien, Ungarn oder Slowenien, gilt Scientology als Kirche. Ähnliches versuchte die Vereinigung auch in Frankreich zu erreichen: Ihre dortige Sprecherin, Danièle Gounord, ist der Ansicht, es handele sich bei ihrer Gruppe um eine »minoritäre Glaubensrichtung«, die es vor Verfolgungen aufgrund ihrer Glaubensinhalte in Schutz zu nehmen gelte. Der Ende Mai begonnene Prozess sei folglich ein »Häresieprozess«.
Im Prozess sagten zwei frühere Anhänger von Scientology, Aude-Claire Malton und Eric A., darüber aus, wie ihnen 21 500 Euro innerhalb von zwei Monaten bzw. 50 000 Euro innerhalb von drei Monaten aus der Tasche gezogen wurden. In einer psychischen und persönlichen Krisensituation hätten sie auf Anzeigen geantwortet, in denen die Sekte ihre »Persönlichkeitstests« anbot. Das Ergebnis dieser Tests lautete: »Wir haben Persönlichkeitsschäden bei Ihnen festgestellt, aber wir können sie reparieren, dafür können wir Ihnen spezielle Kurse und Instrumente zur Verfügung stellen.«
Dazu zählt ein so genannter Elektrometer, ein einfaches Spannungsmessgerät, das für 4 500 Euro verkauft wird und das sonst für vielleicht 15 Euro zu haben wäre. Die gutgläubigen Anhänger werden in ein »Kursprogramm« hineingezogen, das ihnen keine Zeit mehr lässt, einen klaren Gedanken zu fassen.
Aude-Claire Malton etwa berichtet, zehn Tage in einem Vollzeitkurs verbracht zu haben. Sie habe vierstündige Saunagänge absolviert und sei mit Vitaminen bombardiert worden, ihre Ernährung sei dabei knapp gehalten worden. Am Schluss habe sie sich kaum noch kontrollieren können, als man sie Fortsetzungsprogramme kaufen und Schecks unterschreiben ließ. Alle Etappen des Programms werden in der Regel von Rekrutierungsexperten unter Ausnutzung neuester Marketingmethoden angeleitet, die Sekte ist, was ihre Aktivitäten angeht, eng mit Wirtschaftsstrukturen verflochten.
Alain Rosenberg, Direktor von Scientology in Frankreich, antwortete dem Gericht mit einer Gegenfrage: »Glauben Sie wirklich, dass die Erhebung zum Göttlichen einen Preis hat?« Ansonsten behaupteten die Führungsleute, es habe sich bei den Riesensummen um »Spenden« gehandelt, die freiwillig abgegeben worden seien. Warum für diese angeblichen Spenden eine genau aufgeschlüsselte Preistabelle geführt wurde, konnten sie allerdings nicht erklären.