Gespräch über Brothers Keepers, Nazis und die deutsche Justiz

Tibor Sturm aka Quiet Storm: »Ich kann nicht mehr diese soften Mellow-Dinger machen«

Der Rapper Tibor Sturm aka »Quiet Storm« ist Mitglied des antirassistischen Musikprojekts »Brothers Keepers«. 2005 wurde der kampfsporterfahrene Musiker in Nürnberg von sechs Neonazis angegriffen, setzte sich zur Wehr und verletzte dabei ­einen der Angreifer. Fast drei Jahre später wurde er wegen angeblichem Notwehr­exzess zu sieben Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.

Ende Januar bist du nach sieben Monaten Haft entlassen worden. Wie kam es zu deinem ­Gefängnisaufenthalt?
Am 20. Dezember 2005 war ich auf einer Party in Nürnberg, auf der wir einen Freund verabschiedet haben, der abgeschoben werden sollte. Weil ich deshalb sehr traurig war, bin ich früh gegangen. Auf dem Nachhauseweg bin ich dann an einer Gruppe Nazis vorbeigelaufen, habe sie aber zunächst nicht weiter beachtet. Dann habe ich plötzlich »Haut den Nigger um« und »Haut den Nigger tot« gehört und bin einfach gelaufen, einfach weggerannt. Nach 20 bis 30 Metern bin ich dann stehengeblieben. Da hatte ich auch gleich die erste Faust im Gesicht, bin bald zu Boden gegangen und habe Tritte abbekommen. Da habe ich irgend­etwas zu greifen bekommen, bin aufgestanden und habe durchgezogen. Später bemerkte ich dann, dass es ein Ast war.
Dass du dich auf diese Weise verteidigt hast, hat dich ins Gefängnis gebracht, weil dein Verhalten als »Notwehrexzess« ausgelegt wurde. Denkst du manchmal darüber nach, ob es besser gewesen wäre, einfach weiterzurennen?
Nein, keine Sekunde! Ich bereue nicht, dass ich mein afrodeutsches Dasein, mein Leben verteidigt habe. Ich habe mich auch nie bei dem vermeint­lichen Opfer entschuldigt, was auch den Knast­aufenthalt mitverursacht hat. Ich bin einerseits wegen dem Adrenalin stehen geblieben, wegen der Anspannung. Da hatte ich bereits Todesangst. Andererseits hat sich während dieser 20, 30 Meter aber auch dieses ganze Weglaufleben in mir noch einmal durchgespielt. Wenn in der Schule »Wer hat Angst vorm schwarzen Mann« gespielt wurde, war der »schwarze Mann« immer ich! Da sind dann alle vor mir weggerannt. Später wurde mir dann ins Gesicht gesagt, du kriegst die Wohnung nicht, weil du ein Schwarzer bist. Nur, dass die das nicht so politisch korrekt ausgedrückt haben. Damals bin ich einfach gegangen, ohne mich mit der Person gebührend auseinander­zusetzen. Und das war nicht nur einmal so.
Die Drohung der Nazis hat dann das Fass zum Überlaufen gebracht. Mit den subtileren Formen des Rassismus bin ich als schwarzes Kind in einer weißen, bayrischen Kleinstadt groß geworden. Aber jetzt wollte ich einfach nicht mehr wegrennen, sondern bin einfach stehen geblieben. Dafür wurde ich dann meiner Freiheit beraubt. Da kannst du dann nicht mehr einfach mal kurz rausgehen, wenn dein Kopf zu voll ist oder du einfach einen schönen Sommertag genießen willst. Stattdessen wird dir von morgens bis abends vorgeschrieben, was du zu tun und was du zu lassen hast. Das Urteil war keine Niederlage in der Hinsicht, dass ich gegen die Rechten verloren hätte, sondern weil ich meine Freiheit verloren habe, also ein Stück des Lebens, das ich verteidigt habe.
Der Naziangriff ist mehr als drei Jahre her. Was ist eigentlich mit den Angreifern geschehen?
Im Wiederaufnahmeverfahren gibt es jetzt eine neue Anklage gegen die Nazis: gemeinschaftliche schwere Körperverletzung. Davor ging es nur um Einzeltaten. Das erste Verfahren wurde eingestellt, weil es angeblich keine ausreichenden Beweise gab. Unmittelbar nach dem Angriff in Nürnberg wurden auch alle Angreifer von der anwesenden Polizei weggeschickt und bekamen Platzverweise – außer dem Nazi, der K.O. war. Später haben sie dann behauptet, sie seien nur zu Hilfe gekommen, weil ich ihren Kameraden zusammengeschlagen hätte.
Kommt es häufiger vor, dass Opfer von Nazi­gewalt wegen Notwehrexzess verurteilt werden, während man die rechten Täter laufen lässt?
Durch die Reaktionen auf den Film »Lebe deinen Albtraum«, in dem ich von meinem Fall erzähle, weiß ich von vielen anderen, denen es ähnlich ging. Viele haben detailliert geschildert, dass es bei ihnen im Endeffekt genau so ablief wie bei mir. Meine Geschichte ist wirklich kein Einzelfall. Die Angreifer sind dann auf einmal die Opfer, und du wirst der angebliche Täter. Und die werden auch nicht belangt.
Auch hinter Gittern hattest du keine Ruhe vor Nazis. Welche Rolle spielten rechte Seilschaften im Gefängnis?
Das Gefängnis hatte ja insgesamt nur 30 Insassen. Im obersten Stockwerk gab es ein aktives NPD-Mitglied und etwa zehn Mitläufer, die waren da am Ruder. Die haben eines Tages lautstark Wit­ze über Schwarze erzählt und »Heil Hitler« gerufen. Ich war unten im Erdgeschoß und habe das gehört. Der Rädelsführer der Nazis hat sich nach einem Freigang in die Gemeinschaftszelle gesetzt und erzählt, er habe jetzt in Israel angerufen und denen gesagt, die sollen wieder kommen, weil Auschwitz bald wieder eröffnet wird. Es kam aber nie zu einer Anzeige, weil der Knast in dieser Hinsicht ein eigener Rechtsraum ist, in dem man das Recht auch mal ein bisschen beugen kann. Dir wird da einfach nicht geglaubt, wenn du kein Beamter bist.
Du machst seit vielen Jahren antirassistische Workshops mit Jugendlichen. Erzählst du ihnen heute andere Dinge als vor dem Angriff?
Wenn es um Gewaltprävention geht oder auch darum, wie man sich im Notfall verhalten sollte, dann ja. Dann gebe ich heute verstärkt Hinweise, wie richtiges Notwehrverhalten aussieht, das muss man wirklich wissen und auch können, egal wie viel Angst man hat. Sonst hast du schlechtere Karten bei einer eventuellen Anklage. Im Hinblick auf den Knast erzähle ich wenig, da gibt es einfach nichts zu erzählen.
Nach deiner Entlassung musstest du wegen Morddrohungen Bayern verlassen und nach Berlin ziehen. Fühlst du dich hier sicherer?
Es ist wirklich blöd, dass ich meine Familie und meine Freunde in Bayern zurücklassen musste, aber es ging nicht anders. Ich bekam Morddrohungen per Telefon, obwohl ich erst drei Wochen vorher eine neue Nummer bekommen hatte. Woher die Nazis diese Nummer hatten, ist mir ein großes Rätsel. Am Telefon sagten sie dann zum Beispiel: »Wir führen zu Ende, was unser Kamerad nicht geschafft hat. Wir werden kurzen Prozess mit dir machen.« Deshalb bin ich umgezogen.
Angesichts dieser Drohungen muss ich von einer tatsächlichen Gefährdung ausgehen. 250 der gewalttätigsten Nazis, die Deutschland zu bieten hat, leben in Nordbayern, die schrecken wirklich vor wenig bis nichts zurück. Ich habe einfach keinen Bock darauf, paranoid zu werden und nicht mehr vor die Türe zu gehen. Da fühle ich mich in Berlin schon sicherer. Hier ist einfach klarer, wo ich mich aufhalten kann und wo ich besser nicht hin sollte.
Du machst seit Jahren unter dem Namen »Quiet Storm« Musik. Haben deine Erfahrungen mit Nazis und der deutschen Justiz deine Musik beeinflusst?
Es hat mich auf jeden Fall beeinflusst! Mein erstes Stück nach der Entlassung, »Schwarz und deutsch«, ist eine ganz klare Ansage. Da rappe ich »Du drohst mir mit Mord, dann will ich ­sehen, wie gut du fighten kannst, und danach leiden kannst, du Thor-Steinar-Hans, hör’ zu, ich habe was, wofür du mich beneiden kannst.« Ich mache eine klare Ansage an die Nazis: Ihr könnt mir mit dem Tode drohen, aber ihr könnt mir meine Musik nicht nehmen. Meine Texte sind insgesamt aggressiver, ich kann jetzt einfach nicht mehr diese soften Mellow-Dinger machen.
Im deutschen HipHop kann man seit einigen Jahren eine stärkere Hinwendung zur deutschen Nation und allgemein eine gewisse Deutsch­tümelei beobachten. Jüngst hat etwa Massiv seine Liebe zu Deutschland entdeckt.
Massiv ist für mich nicht ernst zu nehmen, weil er selbst noch nicht angekommen ist, wo er hin will. Von seinem Deutschland-Lied habe ich bisher nur ein kurzes Video gesehen, aber ich denke, der Text spricht für sich. Dazu muss man nichts mehr sagen. Ich kann mit so was nichts anfangen.
Und was ist mit Samy Deluxe, der in seinem Lied »Dis wo ich herkomm« feststellt, dass Hitler eigentlich Österreicher war?
Ja, natürlich war Hitler ein Österreicher, aber darauf kommt es nicht an, sondern darauf, dass die Deutschen nach jemandem wie ihm gesucht und letzten Endes seine Ideen durchgezogen haben. Einerseits kann man in einer Situation, in der die Vergangenheit von einem Großteil der Bevölkerung totgeschwiegen wird, nicht einfach irgendwas in die Runde werfen und sagen, der Typ war doch Österreicher. Andererseits könnte ich aber nachvollziehen, wenn Samy Deluxe das alles ironisch meint, sich einfach lustig machen möchte. Ich bin da zwiespältig.
Und Fler mit seiner Schwarz-Rot-Gold- und Frakturschrift-Ästhetik?
Fler ist nur ein Instrument einer rassistisch agierenden Mehrheitsgesellschaft. Er hält sich mit allzu offen rechten Statements zurück und hat sich so seine Fangemeinde gesichert. Er spielt mit den Skandalen. Seinem Plattenlabel ist es scheinbar egal, dass er bei sämtlichen rechten HipHop-Crews beliebt ist.
»Fremd im eigenen Land« war für mich die mit Abstand dümmste Kampagne, die man machen kann. Er hat einen Titel benutzt, den Advanced Chemistry 1992 verwendet haben – als Statement von Menschen, die nicht deutsch aussehen und deshalb hier zu Fremden gemacht werden, obwohl hier auch ihr eigenes Land ist. Und jetzt kommt da 15 Jahre später ein Biodeutscher, klaut sich den Titel und überträgt das alles auch noch auf sein Deutschsein. Das ist nicht nur einen kleinen Aufreger wert, sondern eigentlich ein Skandal. Ich befürchte, dass es in seinem nächsten Album auch wieder in Richtung »blaue Augen, weiße Haut, tätowiert, breit gebaut« gehen wird.