Amok-Fernsehen

Der Amoklauf von Winnenden war kaum zu Ende, da zeichnete sich bereits zweierlei ab. Erstens: Die deutschen Fernsehjournalisten gehören zum Verabscheuungswürdigsten, was es im internationalen TV so gibt. Und zweitens: Es geht immer noch schlimmer. Dass an diesem Tag eine N-TV-Moderatorin ihr ganz persönliches Waterloo erlebte, gehörte ganz unbedingt zu den Highlights – schließlich erlebt man es nur ausgesprochen selten, dass ein telefonisch zugeschalteter Experte das Studio-Personal gleich nach der ersten Frage in wirklich ­jedem Punkt korrigiert, um am Ende mitzuteilen, dass Amokläufer durch exzessive Bericht­erstattung wie die von N-TV Nachahmer fänden und er nunmehr für ein derart blödsinniges Gespräch nicht mehr zur Verfügung stehe.
Dieser Sternstunde der Interviewgeschichte folgte dann jedoch doch nur wieder das, was immer folgt: Interviews mit geschockten Zwölfjährigen, wie es denn so war, als sie miterleben mussten, dass die Mutter eines Opfers neben ihnen zusammenbrach. Und eine Modera­torin, die ihr Äußerstes gab, um aus den Außenreportern wichtige Infos von den Eltern der ­ermordeten Kinder herauszupressen.
Noch dreister reagierte RTL2: »Big Brother«, im absoluten Quotentief begriffen, hoffte, vom Amoklauf profitieren zu können. Und so wurden die Container-Bewohner vor den Fernseher gesetzt, wo sie die Berichterstattung über die Morde verfolgen mussten. Pflichtgemäß brachen die Doku-Soap-Mitwirkenden daraufhin weinend zusammen, lamentierten viel über den Zustand der Welt im Allgemeinen und die Bösartigkeit von Waffen im Besonderen, bildeten Kuschelkreise, um sich über den erlittenen Schock hinwegzutrösten, und betonten in ihren Statements immer wieder, entsetzt, fassungslos und überhaupt zu sein. Was insgesamt fast noch ekliger als die Berichterstattung bei N-TV war …