Die KSK-Prekären
Die Aufregung war groß. Anfang September wies der Deutsche Kulturrat mit einer Eilmeldung darauf hin, dass am 19. September auf einer Bundesratssitzung die Künstlersozialkasse (KSK) »abgeschafft oder zumindest unternehmerfreundlich reformiert werden soll«. Dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHT) war es anscheinend gelungen, dieses schon lange verfolgte Vorhaben in eine Beschlussempfehlung eines Ausschusses hineinzuschmuggeln. Denn als der Sturm der Empörung losbrach, wollte es keiner gewesen sein. Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) bezeichnete den Vorschlag als »unverantwortlich und abwegig«, für Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) ist die KSK »unverzichtbar«, und am Ende handelte es sich um »ein bedauerliches Missverständnis«. Trotzdem forderte der Deutsche Kulturrat den DIHT noch einmal nachdrücklich auf, »jetzt seine Attacken auf die Künstlersozialversicherung einzustellen«.
Seit 1983 können und müssen sich selbständige Künstler und Publizisten, die hauptberuflich von ihren Honoraren leben und einen Mindestgewinn von rund 400 Euro im Monat erreichen, bei der in Wilhelmshaven angesiedelte KSK versichern. Von ihrem Gewinn, der quasi wie ein Brutto-Arbeitslohn angesehen wird, führen sie wie jeder Arbeitnehmer jeweils die Hälfte der Kosten für Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung an die KSK ab. Dies sind zurzeit knapp unter 20 Prozent des Bruttoverdiensts, also mindestens etwa 80 Euro im Monat, bei höherem Gewinn natürlich entsprechend mehr. Zum Vergleich: einen selbständigen Tischler kostet allein die Kranken- und Pflegeversicherung bei einer gesetzlichen Krankenkasse mindestens 220 Euro im Monat. Nicht viel billiger kommt ein Langzeitstudent weg. Eine Versicherung gegen Arbeitslosigkeit ist über die KSK nicht möglich.
Die andere Hälfte der Beiträge holt sich die KSK, die inzwischen jährlich rund 600 Millionen Euro umsetzt, zu 40 Prozent durch einen Bundeszuschuss und zu 60 Prozent bei den Kunst und Publizistik verwertenden Unternehmen. Knapp fünf Prozent der als Honorare ausgezahlten Summen müssen von diesen Firmen zusätzlich an die KSK abgeführt werden. Dies sind zum einen natürlich die Verlage, aber eben auch immer mehr Unternehmen, die zum Beispiel PR-Aufträge an Journalisten vergeben oder sich von Web-Designern ihren Internet-Auftritt künstlerisch gestalten lassen. Waren es bei Gründung der KSK noch 12 000 Mitglieder, so wächst in den letzten Jahren die Mitgliederzahl stetig an. Allein in den vergangenen sechs Jahren stieg die Zahl um rund 40 Prozent, inzwischen sind 160 000 Menschen über die KSK sozialversichert. Etwa die Hälfte der Versicherten sind bildende Künstler, die übrigen Schauspieler, Musiker oder Journalisten, die durchschnittlich rund 12 600 Euro im Jahr verdienen.
Dabei ist es nicht selten der Staat, der Arbeitnehmer in die KSK drängt, zum Beispiel wenn Städtische Musikschulen, die bislang fest angestellte Lehrer beschäftigen, auf Honorarkräfte umstellen und diese somit in die KSK drängen. »Selbständigkeit in kreativen Berufen ist oft eine gewählte, eine gewünschte Existenzform, aber natürlich nicht immer«, bemerkt selbst Franz-Josef Lersch-Mense, der zuständige Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales bei einem kulturpolitischen Gespräch im Willy-Brandt-Haus in Berlin. »Es ist gelegentlich und immer häufiger auch eine erzwungene Existenzform, die auch damit zusammenhängt, dass natürlich feste Planstellen, gerade auch im öffentlichen Bereich, was Kulturberufe angeht, eher zurückgefahren werden und vielfach eben auch kreativ Tätige in diesen Bereichen in selbständige Existenzen gedrängt werden.«
Aber auch wegen der enormen Ausweitung der kreativen Berufe, nicht nur der so genannten digitalen Bohème, wollen in den vergangenen Jahren immer mehr Menschen in die KSK. Die wiederum reagiert darauf mit einer immer strengeren Auslegung ihrer Aufnahmekriterien. Ablehnungen werden somit häufiger. Erst auf Widerspruch und nach dem Einsenden von unzähligen Belegen erfolgt dann schließlich die Aufnahme. Im Kern dreht sich der Streit darum, ob es sich bei der selbständigen Tätigkeit um eine »eigenkreative Leistung« handelt. Während dies bei Schriftstellerinnen oder Musikern noch relativ einfach zu entscheiden ist, wird es bei Übersetzerinnen schon schwieriger. So gilt die Übertragung von Gedichten ins Deutsche als »KSK-fähig«, aber nicht das Übersetzen von Bedienungsanleitungen. Größter ungelöster Konfliktpunkt in diesem Bereich sind die rund 30 000 in der KSK versicherten Web-Designer. Handelt es sich hierbei um einen technischen oder künstlerischen Beruf? Voriges Jahr entschied das Bundessozialgericht, dass Kunsthandwerker wie Instrumentenbauer und Goldschmiede nicht in die KSK dürfen, auch wenn sie eine »gewisse gestalterische Leistung« erbringen. Auch Tätowierern verweigerte das Gericht den Zutritt. Und während Schauspielerinnen eindeutig in die KSK dürfen, müssen Darsteller in Porno-Filmen außen vor bleiben, da es sich hier nicht um Kunst handle.
Den jetzigen Konflikt im Bundesrat löste jedoch die Künstlersozialabgabe für Unternehmen aus. Diese beschränkt sich nämlich nicht nur auf Verlage, Theater, Galerien, Museen und Zirkusunternehmen, sondern gilt für alle Firmen, welche die Dienste von Künstlern in Anspruch nehmen. Seit die Überwachung der Abgabepflicht von der KSK an die Deutsche Rentenversicherung übertragen wurde, werden im Rahmen der üblichen Betriebsprüfungen immer mehr Unternehmen mit Nachforderungen konfrontiert, die »nicht nur gelegentlich« Aufträge an selbstständige Künstler und Publizisten erteilen. Neben dem klassischen Beispiel eines Handwerksbetriebs, der sich von einem Web-Designer einen Internet-Auftritt gestalten lässt, gehört dazu auch ein Supermarkt, der wiederholt eine Musik-Band vor dem Eingang spielen lässt, um Kunden anzulocken. Entsprechend »lästig« finden die Manager die Künstlersozialabgabe und gehen mit ihren Interessenverbänden dagegen vor.
Dabei könnte das Prinzip der KSK auch auf ganz andere Bereiche der gesellschaftlichen Produktion übertragen werden, in denen sich die Unternehmen durch Out-Sourcing immer mehr ihrem Beitrag zur Sozialversicherung entziehen. Denn neben den rund eine Million klassischen Selbständigen der »freien Berufe« wie Ärzten, Anwälten, Architekten und eben den Künstlern gibt es eine wachsende Zahl, bis zu 1,5 Millionen, von Solo-Unternehmern, die zum Beispiel »im Auftrag der Deutschen Post AG« mit ihren eigenen Fahrzeugen und auf eigene Rechnung die Briefkästen leeren.
Deshalb verweist die Auseinandersetzung um die KSK auch auf eine viel breitere gesellschaftliche Debatte um die neue Schicht der »prekarisierten Selbständigen« und wer eigentlich den »Arbeitgeberbeitrag« für ihre Sozialversicherung bezahlt. Für Veronika Mirschel vom Referat Selbständige bei Verdi bedeutet dies vor allem, dass man zwei Dinge nicht vermengen solle. »Eine Sache ist, die KSK so wie sie ist zu erhalten. Sie ist allein wegen des Kunstbegriffs eine Sonderform«, sagt sie. »Und eine andere Sache ist es, wie es gelingen kann, die Arbeitgeber an den Sozialkosten der Solo-Selbständigen zu beteiligen.« Beispielsweise müssen die Beschäftigten im Bildungsbereich, in dem auch immer mehr Tätigkeiten auf Honorarbasis umgestellt werden, »ein Wahnsinnsgeld für Krankenkasse und Rente bezahlen«. Deshalb fordert Mirschel, dass die Unternehmen einen Beitrag zur Sozialversicherung auf das Honorar drauflegen müssen.
Doch gleichzeitig bewirken die Angriffe der Unternehmer auf die KSK auch immer wieder eine Selbstvergewisserung der Künstler und Künstlerinnen und ihrer gesellschaftlichen Aufgabe. So heißt es in einer Stellungnahme der 23 deutschen Musikhochschulen: »Die Künstlersozialkasse (KSK) bildet für viele Künstler und Musiker die einzige Form der sozialen Absicherung. Ihre Abschaffung bzw. ›unternehmensfreundliche Reform‹ bedeutet einen Schlag ins Gesicht gerade derjenigen, die trotz großem Engagement und Idealismus nicht gerade zu den Gewinnern der Ökonomisierung unser Gesellschaft gehören, einer Gesellschaft, die gerade beginnt zu begreifen, welche Bedeutung die ›kreative Klasse‹ für ihre Zukunft besitzt.«