Strategien in der US-Außenpolitik

A Foreign Affair

Nach dem Krieg im Kaukasus debattieren in den USA demokratische »Pragmatiker« und republikanische »Falken« über außenpolitische Strategien. Zumindest die beiden Präsidentschaftskandidaten liegen nicht so weit auseinander.

Wie sehr der Kaukasus-Konflikt die Beziehungen zwischen den USA und Russland bestimmt, zeigte sich am Rande der UN-Generalvollversammlung Ende September in New York. Euphorisch dankte der georgische Präsident Michail Saakaschwilli dem Präsidentschaftskandidaten der Republikaner, John McCain, für die Unterstützung gegen das russische Vorgehen im August. Russland ließ ein geplantes Treffen über das iranische Atomprogramm platzen, zuvor hatten die USA ihre Teilnahme am G8-Treffen unter Verweis auf den Georgien-Konflikt abgesagt. Dies war der vorläufige Höhepunkt der diplomatischen Konflikte zwischen den USA und Russland, die auch die außenpolitischen Debatten in der heißen Phase des US-Wahlkampfs prägen.
McCain hatte schon unmittelbar nach Ausbruch der militärischen Auseinandersetzungen die Gelegenheit zur außenpolitischen Profilierung genutzt. Im Rahmen einer Pressekonferenz des Aspen Institute wertete er die Ereignisse als »die wahrscheinlich erste internationale Krise seit dem Ende des Kalten Krieges«. McCain variierte so die geschichtsphilosophische Rhetorik des neokonservativen Vordenkers Robert Kagan, der in einer Kolumne für die Washington Post die »offizielle Rückkehr der Geschichte« verkündet und so das Leitmotiv der US-amerikanischen Debatten über die Strategie der Ost-Erweiterung der Nato sowie die zukünftigen Beziehungen zu Russland formuliert hatte. Nicht nur Kagan sieht den Konflikt im Kaukasus als Rückfall in die Geopolitik des 19. Jahrhunderts.

Das Pathos der Grand Old Party
Das historische Pathos, mit dem der Kandidat der Republikaner, der Grand Old Party, seine Führungsqualitäten als künftiger commander in chief unter Beweis stellen will, ist nicht unumstritten. McCains Einschätzung, »Im 21. Jahrhundert greifen Nationen einander nicht an«, kommentierte der bekannte rechte Journalist Pat Buchanan im American Conservative trocken: »Selbst Dick Cheney muss schallend gelacht haben.« Gerade die Strategie der Nato-Ost-Erweiterung sei »russisches Roulette« und eine Garantie für neue Kriegsgefahr, meint Buchanan.
Sarah Palin, die Kandidatin der Republikaner für die Vizepräsidentschaft, hält einen Krieg offenbar für möglich. In einem Interview mit dem Fernsehsender ABC befürwortete sie die Aufnahme der Ukraine und Georgiens in die Nato. Auf die Frage, ob sie einen Krieg im Konflikt um die georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien unterstützen würde, antwortete sie vielsagend, dass Hilfsmaßnahmen für Verbündete eine Konsequenz der Nato-Mitgliedschaft seien.
Bereits im August schlug McCain vor, die »Verteidigung der Freiheit« durch den Ausschluss Russ­lands aus den Reihen der G8-Staaten zu forcieren. Diese Ansicht vertrat er schon vor dem Konflikt im Kaukasus, im Winter 2007 schrieb er in einem Aufsatz für das außenpolitische Strategiemagazin Foreign Affairs, dass die G8 »wieder ein Club der führenden marktwirtschaftlichen Demokratien werden« und deshalb »Brasilien und Indien einschließen, aber Russland ausschließen« solle. Auch in anderen zentralen Fragen wie der Stationierung eines Raketenabwehrsystems in Europa bezog er Position gegen die »neoimperiale« Politik Russlands.
McCains Losung »Wir sind alle Georgier« fasst die Absicht zusammen, gegen die Hegemoniebestrebungen Russlands in den ehemaligen sowjetischen Teilrepubliken vorzugehen. Georgien, durch dessen Hauptstadt Tiflis Straßen mit Namen wie »George-Walker-Bush-Boulevard« verlaufen, gehört spätestens seit der von den USA unterstützten »Rosenrevolution« zu den wichtigsten Alliierten des Westens in der ehemals so­wjetischen Hemisphäre. 2 000 Soldaten, zu deren Ausbildung die USA beigetragen hatten, stellte Georgien für den Irak-Krieg zur Verfügung.
Im Gegensatz zum republikanischen »Hard­liner« McCain nimmt der demokratische Herausforderer Barack Obama eine nuanciertere Position ein. Der Vorsitzende des Senatsunterausschusses für Europa unterstützt wie McCain den Membership Action Plan zur Aufnahme der ­Ukraine und Georgiens in die Nato. Wie McCain bedauerte er, dass auf dem Nato-Gipfel in Bukarest im April eine schnelle Aufnahme beider Länder abgelehnt wurde. Anders als sein republikanischer Kontrahent äußerte Obama jedoch Bedenken gegen das »unbewährte« Raketenabwehrprogramm und will Russland nicht aus den Reihen der G8-Staaten ausschließen.
Offensiver agierte dagegen Obamas running mate, der Vizepräsidentschaftskandidat Joe Biden. Nach einem Besuch in Tiflis forderte Biden eine Milliarde Dollar »Nothilfe« für Georgien – was nichts anderes als die Unterstützung weiterer militärischer Aufrüstung bedeutet. Deutlich wurde hier die Arbeitsteilung im Lager der Demokraten. Während Obama sich den außenpolitischen »Prag­matikern« zurechnet, steht Biden zumindest rhetorisch dem »Falken« McCain in keiner Weise nach.

Angst im »neuen Europa«
Der Georgien-Konflikt enthüllte auch die Lobbytätigkeit der Republikaner. Die Washington Post deckte auf, dass Randy Scheunemann, ein außenpolitischer Berater McCains und Mitglied im Project for the New American Century, einem neokonservativen Think Tank, zu den führenden Beratern Georgiens zählt. Scheunemanns 2001 gegründete PR-Firma Orion Strategies hatte den Recherchen des Blattes zufolge in den USA intensive Lobbyarbeit für die Aufnahme Georgiens in die Nato und für weitere US-amerikanische Militär­hilfe betrieben. 800 000 Dollar hat Georgien nach Angaben der Washington Post für Scheunemanns inzwischen beendete »Beratertätigkeit« bezahlt.
Die Aufdeckung der personellen Verflechtungen zwischen dem Team McCains und der georgischen Regierung wurde zur Kenntnis genommen, taugte aber nur begrenzt zum Skandal. Auch deshalb, weil in den USA seit Wochen ohnehin unmissverständlich ausgesprochen wird, worüber der russische Präsident Wladimir Putin in mehreren Interviews weitaus zurückhaltender spekulierte. Der russische Angriff auf Georgien sei »zu einer unerwarteten Quelle der Unterstützung für große US-amerikanische Waffenprogramme geworden«, schrieb das Wall Street Journal. Der Publizist Robert Scheer erläuterte im San Francisco Chronicle, warum der Kandidat der Republikaner einen »neuen Kalten Krieg« brauche: »McCain kann nur als Kriegspräsident gewinnen«.
Eine Ansicht, die vom russischen Außenminister Sergej Lawrow geteilt wird. Allerdings verdeckt der Blick auf die personellen Verflechtungen zwischen der Grand Old Party und der Regierung Saakaschwillis, dass auch die Demokraten intensive Lobbyarbeit in Georgien betreiben. Koordiniert wird diese durch das National Democratic Institute for Foreign Affairs, das von Bill Clintons Außenministerin Madeleine K. Albright geleitet wird und auf dessen Infrastruktur Biden bei seinem Aufenthalt in Tiflis zurückgriff.
Die schon während des Irak-Kriegs beliebte journalistische »Entlarvung« vorzugsweise neokonservativer Netzwerke, die aus McCains Berater Randy Scheunemann einen Wiedergänger des legendären Paul Wolfowitz macht, ist zudem nur begrenzt aussagekräftig. Eine wichtige Rolle für die Hegemoniebestrebungen der USA spielen nicht nur in Tiflis ansässige Institutionen wie das von George Soros gegründete, den Demokraten nahe stehende Open Society Institute. Die USA können ihre Politik gegen den »russischen Aggressor« mit den Bedrohungsängsten in den baltischen Staaten und Polen begründen. Teile der Bevölkerung in den von Donald Rumsfeld dem »neuen Europa« zugerechneten Staaten begrüßt die Anwesenheit US-amerikanischer Institutionen als Absicherung gegen die rigide Politik Russlands.
Die öffentliche Auseinandersetzung verläuft entlang der idealtypischen Linie zwischen »Falken« und pragmatischen Realisten. Für Robert Kagan, der im Wall Street Journal mit Verweis auf den Georgien-Konflikt die »Realisten« unter den Außenpolitikern als blauäugige Idealisten bezeichnete, ist eine harte Politik gegen Russlands »Revanchismus« das Gebot der Stunde. Die Frage sei, ob die Vereinigten Staaten mit dem nötigen »Idealismus tun, was eine starke demokratische Gesellschaft tun kann, um diese Welt zu formen«.
Die Gegenposition nahm Martha Brill-Olcott vom Think Tank Carnegie Endowment for Peace ein. In der liberalen Zeitschrift The New Republic schrieb sie, Russland sei gestärkt aus dem Kon­flikt hervorgegangen und es werde nicht möglich sein, die Russen aus den in Georgien eingenommenen Stellungen zu vertreiben. Überdies sei eine Stärkung der russischen Position in der Region zu erwarten, beispielsweise in Aserbaidschan. Diese Möglichkeit müsse der nächste US-Präsident berücksichtigen.

Demokratieexport ohne Gift
Für Francis Fukuyama, der 1992 das »Ende der Geschichte« prophezeit hatte, ist der Konflikt im Kaukasus Ausdruck einer Veränderung der internationalen Kräfteverhältnisse. In der Financial Times bemerkte Fukuyama, man könne von Glück sprechen, dass Georgien nicht schon in der Nato sei und alle Mitgliedsländer in ein Abenteuer mit nicht vorhersehbaren Konsequenzen gezogen habe. Fukuyama zitiert Tom Carothers vom Carnegie Endowment for Peace, dem zufolge es gelte, das Konzept des »Demokratieexports« zu »entgiften«. Es solle vom schlechten Image gereinigt werden, das Bush ihm durch den Irak-Krieg verschafft habe.
Eine zentrale Ursache der jüngsten Auseinandersetzung mit Russland ist der Aufstieg der so genannten Bric-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China), deren Einfluss durch die ökonomische Krise in den USA weiter gestärkt wird. Gerade das Team Obamas hat in den letzten Monaten neben einigen dem Wahlkampf geschuldeten bellizistischen Parolen vor allem eine Politik der Kooperation und der Bündnisse mit diesen Staaten propagiert. Zeitweise schien es, als sei im Falle eines Wahlsieges Obamas die Zeit der Falken vorbei.
Obamas führender außenpolitischer Berater Zbigniew Brzezinski, als ehemaliger nationaler Sicherheitsberater Jimmy Carters der Doyen der Außenpolitik, gibt Aufschluss über tatsächliche Optionen. In seinem 2007 erschienenen Buch »The Second Chance« formuliert er eine furiose Abrechnung mit der Außenpolitik der letzten drei US-Präsidenten. Keiner von ihnen habe es geschafft, die einmalige Chance zum dauerhaften Ausbau der Hegemonie zu ergreifen, die sich für die USA nach 1989 ergeben hatte. Dies sei jedoch nach wie vor das vorrangige Ziel. Brzezinski verweist auf den Machtzuwachs der Bric-Staaten seit den neunziger Jahren. Er befürwortet Kooperation und ein multilaterales Vorgehen, doch erscheint dies als ein taktisches Zugeständnis. Das eigentliche Ziel gab er bereits 1997 in seinem viel beachteten Werk »Die einzige Weltmacht« vor: den Ausbau der globalen Hegemonie der USA.

Wem gehört die Seidenstraße?
Brzezinskis präsentierte damals zum Beispiel Strategien zur Dreiteilung Russlands und zum Ausbau der US-Hegemonie über die zentralasiatischen Länder. In einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt verglich Brzezinski Russlands derzeitige Politik mit dem Vorgehen Hitlers und Stalins in der Tschechoslowakei und Finnland in den dreißiger Jahren. »Wenn Russland diesen Kurs weiterfährt, muss es letztendlich innerhalb der Staatengemeinschaft isoliert werden«, meint Brzezinski.
Brzezinskis Ideen fanden in den politischen Institutionen der USA Gehör. Der 1999 vom Kongress verabschiedete und bis 2006 mehrmals erneuerte Silk Road Strategy Act stützt sich vor allem auf Brzezinskis Sichtweise. Das Gesetz sieht eine Unterstützung der zentralasiatischen Staaten vor, um den Einfluss der USA zu stärken und durch verstärkte Energielieferungen aus dieser Region die Abhängigkeit vom Nahen und Mittleren Osten zu reduzieren.
In der Rhetorik von McCain und Obama gibt es Differenzen über die Frage, wie die US-Hegemonie aufrechterhalten werden soll. Fundamentale Unterschiede existieren nicht. Die Gebiete, die Russland in seinen außenpolitischen Konzepten und Militärdoktrinen als »Zonen vitalen Interesses« bezeichnet, sollen weiterhin unter US-amerikanischen Einfluss gebracht werden. Die USA und Russland sprechen einander das Recht auf Einflussnahme im Kaukasus und in Zentralasien ab.
Der Grundirrtum der derzeitigen Debatte ist jedoch, in der »russischen Aggression« (US-Außenministerin Condoleezza Rice) einen Rückfall ins 19. Jahrhundert zu sehen. Die Geschichte ist am 8. August 2008, dem Beginn der Kriegshandlungen im Kaukasus, nicht wiedergekehrt. Die Geopolitik des 19. Jahrhunderts war nie ganz verschwunden.